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Sechs Jahre ist Reinhard Marx Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Für eine zweite Amtszeit steht er nicht mehr zur Verfügung. Die Nachricht traf fast alle unerwartet. Für ihn selber ist die Entscheidung lange gereift.
Sechs Jahre ist Reinhard Marx Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Für eine zweite Amtszeit steht er nicht mehr zur Verfügung. Jetzt sollen die Jüngeren ran, wie er kundtut. Die Nachricht traf fast alle unerwartet.
Die stürmischen Zeiten haben auch die katholische Kirche in Deutschland erreicht. Nach den angekündigten Rückzügen von Annegret Kramp-Karrenbauer und Jürgen Klinsmann haben nicht nur CDU und Hertha BSC eine Personaldebatte am Hals, sondern auch die Deutsche Bischofskonferenz. Am Dienstag erklärte der Münchner Kardinal Reinhard Marx, dass er für eine zweite Amtszeit als Vorsitzender nicht mehr zur Verfügung steht. Ein Jüngerer soll ran. Gewählt wird sein Nachfolger bei der Frühjahrsvollversammlung Anfang März in Mainz.
Der Entschluss hat viele Beobachter überrascht. Schließlich ist gerade erst der doch von Marx mit auf den Weg gebrachte Reformdialog namens Synodaler Weg gestartet. Und das nicht einmal so schlecht, sieht man auf das überwiegend positive Presseecho zum Debattenauftakt in Frankfurt. Bisher ist der meist kämpferisch-optimistisch auftretende Westfale auch keiner Verantwortung aus dem Weg gegangen.
„Lange irgendwo draußen die Wiesen anschauen“
Doch hört man in sein Umfeld hinein, ist der Gedanke in Marx schon länger gereift. Mit 66 Jahren, so alt wie er derzeit ist, da fängt das Leben an, zitierte der Kardinal jüngst in einer Veranstaltung einen bekannten Schlager von Udo Jürgens. Am Ende der nächsten Amtsperiode als Vormann der deutschen Bischöfe wäre er 72. So spricht einer, der spürt, dass seine persönlichen Ressourcen bei allem Gestaltungswillen nicht unendlich sind.
In einem Weihnachtsinterview mit dem „stern“ wartete Marx unlängst mit dem Bekenntnis auf, dass die Melancholie sein ständiger Begleiter sei. „Lange irgendwo draußen sitzen und nur die Wiesen anschauen, das machte auch schon mein Vater gern.“ Von Kirchenpolitik und hoher Theologie war in dem Gespräch keine Spur zu finden. Dafür von Zweifeln – ungewohnte Töne eine Machers.
Marx: Manches war grenzwertig
Als Konferenzvorsitzender musste der Münchner Erzbischof gewaltige Schockwellen verarbeiten. Der Streit über den Kommunionempfang evangelischer Ehepartner von Katholiken wurde teils mit harten Bandagen und auch öffentlich ausgetragen. Manches sei „grenzwertig“ gewesen, sagte Marx danach. So wurden ihm Alleingänge vorgehalten, wo er sich selbst nur als Sachwalter der Mehrheitsposition sah.
Tatsächlich haben sich, seit Marx Konferenzvorsitzender ist und engster deutscher Papstvertrauter, einige aus innerkirchlichen Konflikten gewohnte Muster verändert. Wer früher bei Abstimmungen in der Bischofskonferenz unterlag, konnte in Rom meist auf offene Ohren und oft auch auf Korrekturen der deutschen Beschlusslage hoffen, waren diese zu reformerisch ausgefallen. Diese Möglichkeit erscheint begrenzter, seit die Glaubenskongregation nicht mehr von einem konservativen Deutschen geleitet wird und Marx im Zweifelsfall den letzten Gesprächstermin bei Papst Franziskus bekommt.
Konflikte in der Bischofskonferenz
Unter Marx hat sich aber auch in der Bischofskonferenz selbst etwas verschoben. War das Gremium früher auf demonstrative Geschlossenheit bedacht, treten kirchenpolitische Konflikte heute schärfer zutage. Das war auch bei der ersten Vollversammlung des Synodalen Wegs nicht zu übersehen.
Marx hält drängende Fragen für entscheidungsreif, wenn aus seiner Sicht hinreichend viele Bischöfe einig sind – selbst wenn eine Minderheit noch Gesprächsbedarf hat. Ziehen dann einzelne – wie etwa bei der Reform des kirchlichen Arbeitsrechts – zunächst nicht mit, findet er das nicht schlimm: Hauptsache, es geht voran. Mit diesem Führungsstil hat Marx Stillstand verhindert, aber auch Unmut unter manchen Mitbrüdern hervorgerufen.
Von Ruhestand war keine Rede
„Ich habe das Amt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz sehr gerne ausgeübt“, führt Marx in seiner Erklärung an und zitiert den berühmten Bibelspruch „alles hat seine Zeit“ aus dem Buch Kohelet. Daraus zu schließen, dass der Münchner Erzbischof nicht mehr mitmischen will in den Auseinandersetzungen, dürfte verfrüht sein. Gut möglich, dass er sich, von der Bürde des Moderators befreit, künftig wieder pointierter zu Wort meldet.
Mit der Leitung des päpstlichen Wirtschaftsrates und der Mitarbeit in der Kommission der Kardinäle wird Marx weiter Einfluss ausüben und auch weltkirchlich Spuren hinterlassen. Und in seinem Erzbistum München und Freising soll seine Präsenz zunehmen. Genug Aufgaben warten vor der Haustür. Gerade wurde das Generalvikariat mit einer Doppelspitze aus einem Priester und einer Juristin neu besetzt – und auch ein Strategieprozess steht an, der das Erzbistum grundlegend verändern wird. Von „Ruhestand“ war auch keine Rede.