Interview mit Bischof Felix Genn und Stephan Buttgereit zum Synodal-Forum über priesterliche Existenz

"An der Frage des Zölibats wird sich zeigen: Sind wir wirklich synodal?"

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Felix Genn und Stephan Buttgereit leiten beim Synodalen Weg das Forum „Priesterliche Existenz heute“. Im Interview sprechen der Bischof von Münster und der Generalsekretär des Bundesverbandes des Sozialdienstes Katholischer Männer aus Haltern über die Überhöhung des Priesteramts, die Debatte um den Zölibat und ein schwer auflösbares Dilemma.

Ihr Forum ist das einzige mit männlicher Doppelspitze. Wie ist es dazu gekommen?

Stephan Buttgereit: Die Vorsitzenden der Foren wurden von der Bischofskonferenz und vom Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) vorgeschlagen. Die Bischöfe sind alles Männer, aber das ZdK wollte nicht nur Frauen benennen, sondern auch einen männlichen Laien. Das bin ich dann geworden. Und weil ich beruflich viel mit Männerarbeit zu tun habe, passe ich in dieses Forum ganz gut rein.

Sie haben dann zwei Frauen als geistliche Begleiterinnen gewählt. Ist das die Ergänzung?

Felix Genn: Das kann man vielleicht so sagen, aber vor allem bringen Ursula Becker und Schwester Katharina Kluitmann die entsprechenden Kompetenzen und Erfahrungen mit.

Buttgereit: Es war uns aber schon wichtig, Frauen zu wählen. Nicht wegen der Geschlechterparität, sondern um den weiblichen Blick auf den ganzen Prozess zu haben. Als Seismograph, wenn etwas nicht richtig läuft.

In diesem Forum sind die Kleriker in der Mehrheit. Was ist die Rolle der Laien?

Buttgereit: Die Laien sind Teil der Kirche und spiegeln, wie sie Priester wahrnehmen, etwa in ihren Gemeinden. Deshalb ist es wichtig, dass es in diesem Forum die Vielfalt der Meinungen gibt, unter Priestern wie unter Laien.

Genn: Die Priester sind für das Volk Gottes da, schon deshalb ist es wichtig, auf die Stimme der Gläubigen zu hören. Zudem kann durch die Laien manches deutlich werden, was vielleicht von einem Priester übersehen werden kann.

Von Priestern hört man oft, dass sie sich angegriffen fühlen, unter Generalverdacht, nicht wertgeschätzt. Ist das Forum auch ein Ort, wo das ausgesprochen werden kann?

Genn: Ja, und ich verstehe unser Forum auch ganz konkret als Ort, wo der Beruf des Priesters wertgeschätzt wird. Es gab in der Synodalversammlung Einzelstimmen, wo ich dachte: Jetzt wird mein Beruf „abgeschossen“. Solche Stimmen gibt es in unserem Forum nicht.

Buttgereit: Diese Priester sind für unser Forum ganz entscheidend, denn sie sagen uns: Was ist denn die Realität von Priestersein heute? Unter anderem aus ihrem Erfahrungsschatz haben wir die Themen entwickelt, die wir besprechen.

Wenn Sie wie heute eine Forumssitzung vor sich haben: Denken Sie dann „Oje“ oder „O, schön“?

Felix Genn ist Bischof von Münster und Vorsitzender der Kommission für geistliche Berufe und kirchliche Dienste der Deutschen Bischofskonferenz.
Felix Genn ist Bischof von Münster und Vorsitzender der Kommission für geistliche Berufe und kirchliche Dienste der Deutschen Bischofskonferenz. | Foto: Michael Bönte

Genn: Erst mal bin ich froh, dass wir ein Forum haben, in dem über das Priestersein gesprochen wird. Aber es kommt natürlich auch eine Verantwortung auf mich zu, der ich mich aber stelle. Was die Vielfalt der Meinungen betrifft: Spannungen sind da, aber auch nicht so, dass ich denken würde: Um Gottes Willen!

Buttgereit: Es stimmt, die Verantwortung ist groß. Wir wissen, dass wir Ergebnisse liefern müssen, die die katholische Kirche in Deutschland weiterbringen. Und, ja, es gibt Spannungen, aber das Forum ist auch so angelegt, dass wir in den Diskurs kommen. Das ist manchmal anstrengend, aber nur so kommen wir weiter.

Wie fundamental sind die Unterschiede? Streiten Sie beispielsweise darüber, ob das Priesteramt überhaupt sinnvoll ist?

Genn: Wir haben darüber gesprochen, ja, und wir haben es sogar bewusst zur Abstimmung gebracht. Das Ergebnis war: Dass es innerhalb des allgemeinen Priestertums das sakramentale Priestertum des Dienstes gibt und geben soll, ist Fundament unseres Forums.

Das heißt, die hierarchische Struktur der Kirche ist gesetzt?

Genn: „Hierarchische Struktur“ ist hier ein missverständlicher Begriff. Diese Wahrnehmung ergibt sich nur, wenn mit dem sakramentalen Priestertum verbunden ist, dass der Priester immer und überall das Sagen haben muss. Das ist vielleicht heute in vielen Fällen so, muss und sollte aber nicht so bleiben.

Buttgereit: Wir haben darüber gesprochen, auch weil es unter Priestern die Frage gibt: Sind wir überhaupt noch gewollt? Ja, sind sie. Das heißt aber nicht, dass man nicht an der Hierarchie rütteln kann. Priester haben eine bestimmte Rolle und Funktion inne, aber nicht in dem Sinne, dass sie in der Hierarchie über uns stehen.

Genn: Das stimmt, wenn man das Wort Hierarchie, wie das heute meist geschieht, soziologisch benutzt. Hierarchie ist wörtlich aber die Erinnerung an den heiligen Ursprung. Deshalb hat das für mich nichts mit Machtfunktionen zu tun.

Bei ihren bisherigen Diskussionen ist ein Stichwort die Überhöhung und Sakralisierung des Priesteramts. Was meinen Sie damit genau?

Genn: Diese Begriffe sind erwachsen aus der Erfahrung des sexuellen Missbrauchs. Da sind Menschen missbraucht worden von Männern, die sie in gewisser Weise in einer heiligen Aura gesehen haben. Und wenn Betroffene sich zum Beispiel den Eltern anvertraut haben, wurden sie dafür oft auch noch getadelt oder sogar bestraft. Es darf nicht sein, dass diejenigen, die das Priesteramt innehaben, als unantastbar angesehen werden, als Menschen, bei denen es unvorstellbar erscheint, dass sie auch massive Fehler und sogar Verbrechen begehen. Heute ist die Gefahr einer solchen Überhöhung aber, so denke ich, deutlich geringer.

Buttgereit: Was ich den Laien ein Stück zum Vorwurf mache, ist ihr Anteil, den sie an der Überhöhung haben. Da müssen Sie nur mal in die Gemeinden schauen, wenn der Bischof zu Besuch kommt, dann wissen Sie, was ich meine. Das ist wie bei Asterix und Obelix: Der Häuptling steht oben auf dem Schild, aber unter ihm stehen Leute, die ihn hochheben; sie könnten ihn auch laufen lassen.

Genn: An diesem Beispiel sehen Sie, wie wunderbar sich Priester und Laien in unserem Forum ergänzen. Es geht ja nicht nur um Dogmatik, sondern darum, wie Priestersein heute und morgen gelebt werden kann. Und da ist wichtig, dass alle, Priester und Laien, sich ihrer Würde bewusst sind, denn dann braucht man niemanden zu überhöhen. Diese Überhöhung macht mir manchmal auch persönlich zu schaffen. Wenn ich morgens in den Spiegel schaue, sage ich ja nicht: „Guten Morgen, Exzellenz!“ Ich möchte auf kein Schild, sondern nur mit Respekt behandelt werden, wie jeder andere auch.

Buttgereit: Im Hinblick auf die Priesterausbildung schauen wir deshalb zum Beispiel, welche Persönlichkeiten wir brauchen. Bringt jemand, der Priester werden will, seine Person in die Rolle ein oder will er eine Rolle übernehmen, weil er vorher keine Persönlichkeit hatte?

In den bisher vorliegenden Papieren ist auch von „realistischen Anforderungen“ die Rede. Sprechen Sie darüber, wie das in Zeiten von XXL-Pfarreien überhaupt möglich ist?

Stephan Buttgereit ist studierter Dipl.-Sozialarbeiter und Generalsekretär des Bundesverbandes des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) mit Sitz in Düsseldorf. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. | Foto: Johannes Bernard
Stephan Buttgereit ist studierter Dipl.-Sozialarbeiter und Generalsekretär des Bundesverbandes des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) mit Sitz in Düsseldorf. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. | Foto: Johannes Bernard

Buttgereit: Natürlich ist das ein Thema, denn Priester sind Seelsorger und nicht wenige leiden daran, dass sie das nicht mehr sein können, dass sie quasi ihres Ursprungsamtes beraubt sind. Deshalb ist schon die Frage, wie die Strukturen sein müssen, dass man in diesem Amt auch überleben kann, dass Priester nicht nur Amtsträger, sondern auch Menschen sind. Wie können sie Beziehungen leben, Freundschaften, Hobbys, Sport?

Genn: Wir thematisieren nicht im engeren Sinne Gemeindestrukturen. Aber schon, wie es gelingen kann, dass Leute nicht überfordert werden. Das ist ein grundsätzliches Problem aller Sorgeberufe: Weil wir es mit Menschen zu tun haben, ist das Arbeitsfeld uferlos. Ich sage meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer: Arbeiten Sie nur so viel, wie Sie können. Das gilt auch für Laientheologinnen und -theologen: Es gibt Ehen, die scheitern, weil sich einer nur noch im Pfarrbüro aufhält.

Stichwort Ehe: Inwieweit ist der Zölibat ein Thema in ihrem Forum und wie stark wird darüber gestritten?

Genn: Das Thema Zölibat liegt gerade heute an, und wir sind gespannt, was wir da an Erfahrungsberichten bekommen. Wir haben Gäste eingeladen, die von ihren Erfahrungen erzählen, darunter zum Beispiel auch ein verheirateter Priester. Aber wir stehen da erst am Anfang und können von konkreten Handlungsoptionen noch nicht sprechen.

Erwarten Sie, dass es sehr kontrovers wird?

Buttgereit: Ja. Der Zölibat ist auch deshalb ein Streitthema, weil er eine sehr persönliche Ebene hat. Wenn wir so viele Priester hier bei uns im Forum haben, dann wissen wir, dass wir das nicht auf einer Meta-Ebene besprechen können. Aber es ist natürlich auch Aufgabe jedes einzelnen, von der persönlichen Ebene Abstand zu nehmen, damit wir auf einer sachlichen Ebene diskutieren können. Deshalb haben wir zum Beispiel Videos machen lassen, in denen Fachleute das Thema von allen Seiten beleuchten – historisch, kirchenrechtlich, systemisch – und es nicht gleich einseitig bewerten, sondern sachlich herleiten.

Gibt es schon erste Erkenntnisse?

Buttgereit: Uns ist wichtig, nicht zu kurz zu springen und nicht nur den Zölibat komplett abzulehnen. Es muss auch um die Frage gehen: Was braucht es, um den Zölibat gut leben zu können? Da sind wir dann wieder bei einer gereiften Persönlichkeit und gereiften Sexualität. Und wenn jemand – das sage ich jetzt als Stephan Buttgereit, nicht als Vorsitzender – die bewusste Entscheidung trifft, zur Ehre Gottes und als äußeres Zeichen möchte ich gern zölibatär leben, dann hat das meine volle Hochachtung, und dann dürfen wir nicht dahin kommen, dass sich jemand dafür rechtfertigen muss.

Aber darum geht es ja auch nicht, sondern um die Freiwilligkeit des Zölibats.

Genn: Ja, aber wir wollen tatsächlich erst einmal breit schauen. Und dann müssen wir sehen, wo es einen Dissens gibt, und das wird meines Erachtens tatsächlich in der Frage von Freiwilligkeit oder Pflicht sein. Auch in der Frage der viri probati, also der erprobten Männer, die auch als Verheiratete zu Priestern geweiht werden können oder eben nicht. Ich selber bin skeptisch, den Zölibat freizustellen, denn als Bischof sehe ich auch meine weltkirchliche Verantwortung. Ich akzeptiere dann auch, dass Menschen sagen, ich werde kein Priester, weil ich die Berufung zum Zölibat nicht habe. Vielleicht wählen sie dann einen anderen Beruf der Kirche.

Haben Sie die Erwartung, dass es in ihrem Forum zu einer klaren Position kommen wird?

Genn: Das weiß ich nicht. Ich bin mir sehr unsicher, ob es im Forum und dann auch noch in der Synodalversammlung zu einer Zweidrittelmehrheit kommen wird. Das Entscheidende ist aber, dass nicht von der einen Seite kommt „Der Pflichtzölibat muss aufgehoben werden!“ und von der anderen Seite „Das geht überhaupt nicht!“, sondern dass das Thema überhaupt besprechbar wird.

Buttgereit: Für mich wäre es wirklich fatal, wenn diese wichtige Frage durch Veto-Möglichkeiten erst gar nicht in die Synodalversammlung kommt. Selbst wenn wir keine Mehrheit in unserem Forum hätten, müssen wir das einbringen. Sonst würde es vielleicht heißen, dass die Diskussion durch die Mehrheit der Priester und Bischöfe blockiert worden ist.

Genn: Man muss das Verfahren vielleicht noch einmal erklären: Wir hier im Forum machen einen Text, der mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden muss und dann in die Synodalversammlung eingebracht wird. Über diesen Text wird dort dann weiterdiskutiert und wir bekommen von der Versammlung Hausaufgaben zurück.

Buttgereit: Aber was nicht in unserem Text steht, kann auch nicht diskutiert werden. Und das Zeichen wäre fatal, wenn aus unserem Forum, wo die Kleriker in der Mehrheit sind, wichtige Fragestellungen blockiert werden. Deshalb werden wir dafür werben, nicht nur über den Inhalt abzustimmen, sondern auch über das Politikum, die Frage in die Vollversammlung einzubringen.

Genn: An dem Punkt wird sich zeigen: Sind wir wirklich synodal? Das heißt: Hören wir so lange aufeinander, dass wir zu einem gemeinsamen Entschluss kommen? Ganz konkret: Wenn wir zu einer Handlungsoption kommen, zu der ich in der Abstimmung ‚Nein‘ sage, würde ich es trotzdem für richtig halten, dass sie in die Synodalversammlung gegeben wird. Auch wenn dann vielleicht Leute sagen: „Genn hätte das verhindern müssen!“

Gilt das auch für das Konfliktthema Frauenpriestertum?

Genn: Nein, weil wir es nicht in unserem Forum diskutieren. Wir haben am Anfang darüber abgestimmt und mit Mehrheit entschieden, dass wir wollen, dass dieses Thema im Frauenforum besprochen wird.

Noch mal zurück zum grundsätzlichen Anliegen des Forums: Ein Kernproblem unserer Kirche ist der Priestermangel. Möchten Sie durch Reformvorschläge das Amt wieder attraktiver machen?

Genn: Als Bischof sage ich: Ja. Das Erste ist natürlich, den jetzigen Priestern zu helfen, ihre Berufung gut zu leben, aber dadurch auch eine Dimension für morgen zu eröffnen. Denn wenn die priesterliche Existenz heute überzeugend lebbar ist, dann kann sie auch morgen anziehend sein.

Buttgereit: Mein Ziel ist es nicht, den Beruf attraktiver zu machen, sondern klarzumachen, was von einem Priester erwartet wird, was es braucht, um Priester zu sein – und wie man diesen Beruf lebbar machen kann. Wobei das natürlich auch schon Quatsch ist: Er muss nicht nur lebbar, sondern sinnstiftend sein, erfüllend. Wenn uns das gelingt, kann das die Attraktivität für Menschen, die sich berufen fühlen, schon steigern.

Sie haben als Aufgabe des Forums den Grundlagentext angesprochen, den Sie für die Synodalversammlung vorbereiten. Ist er das einzige Ziel?

Genn: Das Ziel ist ein Text, der gelebt wird. Aber damit er gelebt werden kann, muss es ihn geben.

Buttgereit: Genau. Der Text ist nur ein Puzzleteil. Er muss andockfähig sein in der Kirche in Deutschland. Aber manches von dem, was wir erarbeiten, mag auch hilfreich sein für die Weltkirche. Was mir auch wichtig ist: Der Text muss die Lebenswirklichkeit der Laien erreichen. Was nützt uns das, wenn hochtheologische Texte herauskommen, die hinterher keiner versteht und die nichts ändern? Das ist aber auch ein Dilemma: Wenn wir mit Rom darüber reden wollen, dann müssen wir theologisch in der ersten Liga spielen. Wenn ich das aber tue, hänge ich viele ab, die sagen: Das ist ja wunderbar verkopft und verschwurbelt, aber ich verstehe es nicht, und es trifft meine Lebenswirklichkeit nicht.

Ist es ein Vorteil, dass Sie kein Theologe sind, Herr Buttgereit?

Buttgereit: Ich bin da ambivalent. Denn wenn es ins theologisch Eingemachte geht, kann ich nur die weiße Fahne schwingen. Aber trotzdem kann ich dadurch auch als Korrektiv wirken. Und meine Lernkurve steigt steil an.

Genn: Also ich sehe das positiv!

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