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Es war ein Paukenschlag: 2022 trat Andreas Sturm als Generalvikar im Bistum Speyer zurück, aus der Kirche aus und zu den Altkatholiken über. Für wie reformfähig er die römisch-katholischen Kirche heute hält, erzählte er in Saerbeck im Kreis Steinfurt. Vor großem Publikum.
Es besteht Gesprächsbedarf, wenn es darum geht, wie es mit der katholischen Kirche in Deutschland weitergeht: Mehr als 250 Interessierte folgten der Einladung der Pfarrei St. Georg in Saerbeck im Kreis Steinfurt, um im Pfarrheim mit dem früheren Generalvikar des Bistums Speyer, Andreas Sturm, über die Gründe seines Kirchenaustritts zu sprechen.
„Ich hatte nicht mehr die Hoffnung, die Kirche von innen her zu reformieren. Die Haltung, der Reformprozess des Synodalen Weges könne Veränderungen herbeiführen, die konnte ich nicht mehr teilen“, sagt Sturm, um zugleich zu versichern: „Ich bin ohne Ärger und Wut aus der Kirche gegangen. Ich hatte einfach keine Kraft mehr, in der römisch-katholischen Kirche zu bleiben“, bekannte Sturm.
Provokanter Buchtitel
Das Warten auf Reformen und das „zögerliche Verhalten“ der deutschen Kirche habe er nicht mehr ertragen können. „Ich zweifle an der Reformfähigkeit der Kirche. Ich hatte auf Veränderungen gehofft. Sie sind nicht gekommen.“
Es war ein Paukenschlag, als Sturm im Frühjahr 2022 zunächst seinen Rücktritt als Generalvikar erklärte, dann seinen Kirchenaustritt bekanntgab und diesen mit seinem vielbeachteten Buch „Ich muss raus aus dieser Kirche“ begründete. Der Titel der Publikation wie der Untertitel „Weil ich Mensch bleiben will“ seien durchaus provokativ, meinte Sturm.
Andreas Sturm: „Ich bin kein Nestbeschmutzer“
Eigentlich sollte das Buch „Wege der Entfremdung“ heißen, doch der Herder-Verlag habe dann eine zugespitzte Formulierung favorisiert. „Damit kann ich auch leben“, sagte der Autor und fügte an: „Es geht nicht um eine Abrechnung. Kommt jetzt ein Nestbeschmutzer nach Saerbeck? Nein, darum geht es mir nicht. Das bin ich auch nicht. Und es tut mir leid, wenn ich Menschen mit meinem Austritt enttäuscht habe.“
Der 49-Jährige wechselte unmittelbar nach seinem Austritt aus der römisch-katholischen Kirche in die Altkatholische Kirche über und übernahm dort eine Gemeinde in Süddeutschland. Die Altkatholiken gründeten sich nach dem Ersten Vatikanischen Konzil 1870, weil sie die dogmatische Definition von der päpstlichen Unfehlbarkeit nicht mittragen wollten. Sie lehnen den Zölibat ab und erlauben seit einiger Zeit die Priesterweihe von Frauen.
Neue Heimat bei den Altkatholiken
„Die altkatholische Kirche steht für das, wie ich mir die Kirche vorstelle: Für die Gleichberechtigung von Mann und Frau und für eine priesterliche Lebensform ohne Zölibat.“
Sein Kommen nach Saerbeck will Sturm nicht als „Werbeveranstaltung“ für die Altkatholiken verstanden wissen. Vielmehr sei er gern der Einladung des in der Saerbecker Pfarrei aktiven Arbeitskreises Kunst-Kultur-Kirche gefolgt, seinen Beitrag in der Themenreihe „Sattelfest? Im Heute glauben und Kirche sein“ zu leisten.
Überhöhung der A-Sexualität
Den Reformstau der Kirche macht Sturm an der unzureichenden Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche, an der fehlenden Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche und am Zölibat fest. „Auch die Sexualmoral der Kirche braucht eine Neubewertung. Der obligatorische Zölibat ist Grund für die negative Sicht auf Sexualität und für eine Überhöhung der Asexualität“, meint Sturm.
Er habe versucht, in diesem Themenfeld in der Kirche Veränderungen durchzusetzen, wie etwa bei Segnungen für homosexuelle Beziehungen. Dem Zölibat sei er, wie er sagt, „nicht gerecht geworden“. „Als Generalvikar stand ich aber für den Zölibat. Die innere Zerrissenheit konnte ich kaum noch aushalten.“ Viele Priester wünschten sich ein Ende der zölibatären Lebensform.
Offene Debattenkultur in Saerbeck
In der Diskussion zeigen sich mehrere Gemeindemitglieder beeindruckt von der Offenheit des früheren Generalvikars: „Dass Sie hier im Pfarrheim mit uns diskutieren können, ist gut. Sie sprechen aus, was viele Katholiken denken“, sagt eine Teilnehmerin.
In ihren Statements wünschen sich Gemeindemitglieder weitere Gesprächsrunden dieser Art, um zeigen zu können, dass in den Pfarreien eine offene Debattenkultur geführt wird: „In vielen Familien wird über einen Kirchenaustritt gesprochen. Die Enttäuschungen sind groß. Selbst wer sich noch als sehr katholisch empfindet, findet kaum noch Argumente für einen Kirchenverbleib“, meinte ein Teilnehmer.
Positives Erleben von Kirche vor Ort
Das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs, die fehlende Berücksichtigung der Berufungsgeschichten von Frauen und eine Sexualmoral, die zu schwierigen Gewissensentscheidungen führt erwähnen Teilnehmende als „Hemmschuh“, in der katholischen Kirche aktiv zu sein. Positiv vermerken einige Gemeindemitglieder das „positive Erleben von Kirche vor Ort“, an der Basis, wo christliches Leben sichtbar werde.
In seiner Schlussbemerkung nimmt Andreas Sturm das Bild von der Zerrissenheit der Christen auf: „Ich hoffe, dass der Heilige Geist alle Kirchen wieder zusammenführt.“ Hohen Respekt habe er vor der Ordensfrau und Delegierten beim Synodalen Weg, Schwester Philippa Rath, die nicht müde werde, couragiert für die Reform der Kirche einzustehen. „Ihr Einsatz ist bewundernswert. Doch diese Kraft hatte ich nicht mehr.“