Daniel Gewand und die Herausforderung, übers Wasser zu gehen

Auslegung der Lesungen vom 19. Sonntag im Jahreskreis (A)

In Münster kann man zurzeit übers Wasser gehen. Das ist nichts Neues, das hat Jesus ja auch schon gemacht. Aber war das auch ein Trick, eine Illusion? Falsche Frage, findet Daniel Gewand, Pastoralreferent in Coesfeld in seiner Auslegung der Lesungen dieses Sonntags.

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In Münster kann man zurzeit übers Wasser gehen. Das ist nichts Neues, das hat Jesus ja auch schon gemacht. Aber war das auch ein Trick, eine Illusion? Falsche Frage, findet Daniel Gewand, Pastoralreferent in Coesfeld in seiner Auslegung der Lesungen dieses Sonntags.

„2017 kann in Münster jeder übers Wasser gehen“, so kündigte die Zeitung „Westfälischen Nachrichten“ vor einem Jahr die fünfte „Skulptur Projekte“ an. Mittlerweile sind die alle zehn Jahre stattfindenden „Skulptur Projekte“ eröffnet. Im Stadthafen Münster kann jeder und jede das Hafenbecken überqueren und „on water“ gehen. „On water“ heißt die Skulptur von Ayşe Erkmen, die sie dort installiert hat. „Übers Wasser“ geht dort jedoch niemand.

Knapp unter der Wasseroberfläche hat die deutsch-türkische Künstlerin einen Steg aus Gitterrosten auf Containern installiert. So kann jeder und jede im Münsteraner Stadthafen vom Nordkai zum Südkai und zurück gehen. Je nach Wasserstand steht man dabei nur mit der Fußsohle oder bis zu den Waden im Wasser. Je weiter man von der begehbaren Skulptur entfernt am Ufer steht, desto mehr entsteht der Eindruck, dass in Münster wirklich jede und jeder übers Wasser gehen kann. Es handelt sich um ein Kunstprojekt, eine Inszenierung, eine Illusion.

 

Übers Wasser: eine Illusion?

 

Und Jesu Gang übers Wasser? Eine Inszenierung? Eine Illusion? – Ich war nicht dabei, ich kann es nicht sagen. Für mich geht es bei dem Evangelium von Jesu Gang über das Wasser weniger um Gottes Sohn, der übers Wasser geht. Denn für Jesus – wahrer Mensch und wahrer Gott – ist ein Gang übers Wasser nichts Besonderes.

Das Evangelium vom 19. Sonntag im Jahreskreis (A) zum Sehen und Hören auf unserem Youtube-Kanal.

Ich möchte den Fokus stattdessen auf Petrus richten, der nur kurz übers Wasser geht, untergeht und von Jesus gerettet wird. Das Untergehen eines Menschen ist ebenfalls nichts Besonderes, denn Menschen können nicht übers Wasser gehen. Petrus ist ein Mensch – ein Mensch voller Angst, Zweifel und Gottvertrauen – wie der Prophet Elija, von dem wir in der ersten Lesung hören (in der Einheitsübersetzung steht nur etwas von Übernachten, nicht Verstecken): Elija übernachtet auf seiner Flucht vor seinen Verfolgern und geplagt von Selbstzweifeln in einer Höhle am Gottesberg Horeb. Auf Gott vertrauend klettert er jedoch aus seinem Versteck heraus, stellt sich vor die Höhle und begegnet seinem Gott im Säuseln.

 

Zweifel und Ängste

 

Gott im leisen Säuseln? Eine Inszenierung? Eine Illusion? – Ich war nicht dabei, ich kann es nicht sagen. Ich möchte aber auf die Gemeinsamkeiten der beiden Protagonisten der Lesung und des Evangeliums hinweisen: Elija und Petrus glauben beide an das Wirken Gottes in ihrer Welt. Beide sind ängstlich und voller Zweifel. Beide vertrauen ihrem Gott, lassen sich durch ihn ermutigen und wagen sich zögerlich aus ihrer Höhle hervor beziehungsweise aus dem sicheren Boot. Und beide werden von ihrem Gott nicht enttäuscht: Trotz ihrer Angst und ihrem Zweifel bleibt Gott bei ihnen, rettet sie beziehungsweise offenbart sich ihnen.

Mich ermutigen die beiden Menschen Elija und Petrus, trotz meiner Zweifel und meiner Ängste meinem Gott zu vertrauen und raus zu gehen aus meinem Versteck, auszusteigen aus meinem sicheren Boot. Selbst wenn das Wasser nicht trägt, mein Gott ist da und rettet mich. Trotz meiner Feinde darf ich mich nach draußen wagen. Obwohl ich Angst habe und zwischendurch an Gott zweifle. Mein Gott ist da.

 

Gott macht kein Getöse

 

Und Gott macht kein großes Getöse darum: Elija begegnet Gott weder im mächtigem Sturm, noch im heftigem Erdbeben oder im starkem Feuer. Elija begegnet Gott im leisen Säuseln. Gott ist da, anders, als wir Menschen es erwarten.

Der Autor
Daniel Gewand ist Pastoralreferent und Projektleiter von „frei.raum.coesfeld“.

Auch ruft Gott uns anders, als wir es erwarten: Leise, schlicht und einfach. Gott ruft Elija: „Komm heraus und stell dich auf den Berg vor den Herrn!“ Petrus wird mit der Aufforderung „Komm!“ ermutigt, aus dem Boot zu steigen. Gott braucht wenige Worte – dafür aber klare Worte: Nach seiner Rettung wird Petrus von Jesus gefragt: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Der Text überliefert keine Antwort. Petrus hat wahrscheinlich geschwiegen. Was blieb ihm auch anderes übrig?

 

Ich brauche Mut und Gottvertrauen

 

Was bleibt uns nun übrig? Alles nur Inszenierung? Alles nur eine Illusion?  – Wir dürfen unserem Gott vertrauen, trotz oder auch mit unserer Angst und unserem Zweifel – die sind menschlich. Gott ruft uns heraus aus unseren Verstecken, aus unseren sicheren Booten. Welche das sind, weiß wohl jeder und jede für sich am besten.

In der Lesung und im Evangelium spricht Gott jede und jeden von uns an und ermutigt uns rauszugehen. Er sagt: „Komm!“; „Komm heraus!“ und „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“

Christsein ist keine Inszenierung, keine Illusion. Für mein Leben als Christ brauche ich Mut und Gottvertrauen wie Elija und Petrus. Und ich muss es tun. Und damit sind wir wieder bei der Skulptur „On water“ in Münsters Stadthafen, die erst zur Skulptur wird, wenn Menschen es tun – übers Wasser gehen.

Sämtliche Texte der Lesungen und des Evangeliums vom 19. Sonntag im Jahreskreis (A) finden Sie hier.

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