Birgit Hollenhorst zum heilsamen Bild des Baumes

Auslegung der Lesungen vom 8. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr C

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Vom Erdboden, den Wurzeln, dem Baum und seinen Früchten sprechen an diesem Sonntag sowohl die alttestamentliche Lesung als auch das Evangelium. Letzteres nimmt ein weiteres Bild in den Blick: das vom Stachel im Auge. Was es damit auf sich hat, erläutert Birgit Hollenhorst in ihrer Schriftauslegung.

Auf den ersten Blick scheinen sich die Lesung aus dem Buch Jesus Sirach und das Lukas-Evangelium zu widersprechen: Jesus Sirach ermahnt dazu, den anderen genauer anzuschauen, um ihn nicht zu früh zu loben. Jesus mahnt dagegen nach dem Lukas-Evangelium, sich nicht so sehr mit dem anderen zu beschäftigen, mit dessen Splittern und Fehlern, sondern eher mit dem Balken im eigenen Auge. Wohin soll ich nun meine kritische Aufmerksamkeit richten – auf den anderen, auf mich?

Eine erste Erklärung für den Widerspruch sind wohl die unterschiedlichen Adressaten: Die Weisheitslehrer des Buches Jesus Sirach wollen vor allem Verantwortungsträger des größeren jüdischen Volkes ansprechen und sie vor vorschneller Kumpanei warnen. Es geht um den Umgang mit eher Fremden. Wir im Westfälischen würden den weisen Rat wohl so formulieren: Man kennt jemanden erst, wenn man einen Sack Salz mit ihm gegessen hat. Lukas hingegen hat bei seiner Niederschrift überlieferter Mahnungen aus dem Mund Jesu vor allem das recht nahe persönliche Zusammen­leben der kleinen christlichen Urgemeinden vor Augen, in denen so mancher Konflikt aufkam.

Heuchelei und Unrecht

Die Lesungen vom 8. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) zum Hören finden Sie hier.

Im Kern aber geht es beiden Autoren um Heuchelei, um den unehrlichen Umgang miteinander: das Kompliment für den Fremden, den man kaum kennt, der als hilfreich-besorgter Hinweis getarnte Angriff auf den „Bruder“ in der Gemeinde. Da werden gute Beziehungen nur geheuchelt.

Schauen wir typische Kommunikationsereignisse in unserem Alltag an: Da regt sich jemand auf über das Verhalten eines anderen, über eine politische Entscheidung, über ein ihn selbst treffendes Unrecht. Und schnell findet sich jemand, der beispringt, nickt, ohne nachzudenken, ob der andere diese Anerkennung für seine Abwertungen sachlich wirklich verdient.

Lob und Urteil liegen nah beieinander

Die Bereitschaft des einen zu einem eher unbedachten Lob liegt also nahe bei der Bereitschaft eines anderen, ebenso unbedacht einen anderen zu verurteilen. Beides hat offensichtlich die gleiche Wurzel.

Eine Wurzel hat auch jeder Baum, und so sind wir bei dem Bild, das an diesem Sonntag den alttestamentlichen Text mit dem Evangelium verbindet. Die Frucht eines Baumes, so lesen wir in Jesus Sirach, zeigt die Güte des Bodens, in dem die Wurzel des Baumes steckt. Und im Lukas-Evangelium heißt es: Jeden Baum erkennt man an seinen Früchten.

Die Frucht guter Beziehungen

Birgit Hollenhorst ist Klinikseelsorgerin in der Klinik Maria Frieden, Telgte
Birgit Hollenhorst ist Klinikseelsorgerin in der Klinik Maria Frieden, Telgte

Aber was ist der gute Boden, durch den der Baum auch gute Früchte hervorbringen kann? Beispielsweise die Frucht ehrlicher guter Beziehungen. Hier hilft uns die heutige Lesung aus dem Korintherbrief weiter: Der gute Boden ist nicht etwa das Gesetz, das regelt, was gut und was falsch ist, woran man sich halten und andere beurteilen kann. Paulus sagt dagegen: „Die Kraft der Sünde ist das Gesetz.“ Das spricht nicht gegen ein gutes und gerechtes Rechtssystem. Aber der ängstliche Gehorsam gegenüber Recht und Ordnung bringt die Welt nicht ins Lot.

Der gute Boden, aus dem ehrliche Beziehungen wachsen können, ist etwas anderes. Es ist das Vertrauen auf Gottes Heil. „Tod, wo ist dein Sieg?“ fragt Paulus. Der Tod hat nicht mehr das letzte Wort. Das Heil Gottes wird kommen!

Wenn der Tod nicht mehr das letzte Wort hat

Wenn der Tod nicht mehr das letzte Wort hat, dann werde ich in meinem Leben nicht zu kurz kommen. Mein Leben wird – vielleicht auf verschlungenen und schwierigen Wegen – zum Heil führen. Meine Selbstoptimierung auf Kosten anderer ist nicht mehr nötig. Ich muss mich nicht dadurch besser fühlen, dass ich andere schlecht mache. Ich muss andere nicht durch Komplimente zum Mittel meiner Zwecke machen. Ich werde genau hinschauen und mit kritischem Blick sowohl mein eigenes Verhalten als auch das der anderen beurteilen und darauf ehrliche Beziehungen aufbauen.

Wenn der Tod nicht das letzte Wort hat, werde ich die Macken der anderen mit Gelassenheit nehmen und mich mehr damit beschäftigen, wie ich selbst der Welt guttun kann. Dann wird auch Macht zum Dienst, der Jünger dem Meister ebenbürtig. Die Fähigkeit zur Selbstironie und viel Humor sind auf dem Weg dahin hilfreich – Karneval kann dazu ein gutes Übungsfeld bieten.

Das Bild vom Baum ist ein liebevolles, heilsames Bild, denn: ein Baum wächst. Es ist ein Prozess, sich immer wieder in das Vertrauen auf Gottes Heil einzuüben und daraus leben zu lernen. Es ist ein Werden, immer mehr, wie Paulus es von seiner Gemeinde in Korinth schreibt, „standhaft und unerschütterlich .. voll Eifer“ gute Früchte zu bringen.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 8. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) finden Sie hier.

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