Bischofskonferenz-Vorsitzender über Veränderungen, den Papst und Kirchenaustritte

Bätzing: Hohes Reformtempo in der Kirche, aber ich wünschte mir mehr

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Die katholische Kirche feiert Weihnachten 2022 in unruhigen Zeiten. Im Interview spricht der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, über Frust bei den Engagierten, das Tempo der Veränderung in der Kirche, den Reformeifer des Papstes und die Fehler früherer Bischöfe beim Thema Missbrauch.

Bischof Bätzing, Weihnachten 2022 fällt in eine Energiekrise. Was tun die Kirchen?

Die enorm gestiegenen Energiepreise bringen auch für die Kirchen eine erhebliche Belastung mit. Deshalb haben sich 18 Diözesen in Deutschland zusammengetan und Empfehlungen an die Gemeinden gegeben. Die sehen auch vor, die Heiztemperaturen in Kirchen stark herunterzufahren auf fünf oder sechs Grad – und auf ein Aufheizen für Gottesdienste zu verzichten. Die Kirchengemeinden entscheiden das letztlich, da die Kirchen in ihrem Eigentum sind. Ich höre auch, dass Gemeinden sagen: Heiligabend und Weihnachten leisten wir uns eine höhere Temperatur, um Menschen nicht vom Besuch der Weihnachtsgottesdienste abzuhalten, die ja sehr beliebt sind. Das trage ich gerne mit.

Laut dem neuen Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung denkt jedes vierte Kirchenmitglied in Deutschland über einen Austritt nach. Wie reagieren Sie auf solche Zahlen?

Mir ist es wichtig, dass die Menschen unseren Willen zur Veränderung wahrnehmen. Das allein reicht natürlich nicht, dass die Menschen in Scharen zurückkämen. Oft sind es Prozesse der Entfremdung, die sich über Jahre oder Jahrzehnte entwickelt haben. Wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen und sie fragen: Was brauchst du von uns? So kann es dazu kommen, dass sie den Glauben als Option für ihr Leben wieder deutlicher erkennen und das mit der Kirche verbinden.

Inzwischen erwägen aber auch viele Engagierte einen Austritt.

Ja, das verschärft das Problem. Viele, die sich jahrzehntelang für ihre Pfarrei, das Bistum oder in der Caritas ehrenamtlich engagiert haben, sagen: Der Riss geht so tief, ich kann das nicht mehr. Mir ist das Ausmaß dieser Wut und Frustration bewusst.

Genügt Ihnen das Tempo der Veränderungen in der Kirche in Deutschland?

Sagen Sie mir mal, in welchen Jahren und in welchen Generationen es Bischöfe gab, die überhaupt ein solches Tempo an den Tag gelegt haben. Ich wünschte, es ginge schneller, aber wir müssen auch möglichst zusammenbleiben und möglichst viele mitnehmen.

Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf von der Universität Münster hält die reformorientierten Bischöfe in Deutschland für mutlos. Aus seiner Sicht sollte eine Gruppe von etwa zehn Bischöfen beim Papst einen Indult – eine Sondergenehmigung – beantragen, um Diakoninnen zu weihen. Falls der Papst ablehnt, sollten die Bischöfe der Gruppe ihren Amtsverzicht anbieten.

(Bätzing lacht.) Nun ist der Kirchenhistoriker Wolf kein Bischof. Er steht nicht in dieser Verantwortung. Mich bewegt derzeit eher die Frage einer möglichen Priesterweihe von verheirateten Männern, sogenannten „viri probati“. Zuletzt habe ich verheiratete Diakone geweiht und mich innerlich gefragt: Warum sollen die nicht Priester sein können?

Wie bewerten Sie den Reformeifer von Papst Franziskus?

Der Papst ist eindeutig ein Reformer. Die fast zehn Jahre Franziskus sind ein Glücksfall für die katholische Kirche. Nicht nur wegen seiner eigenen Glaubwürdigkeit im Leben und Verkünden, sondern auch mit Blick auf die Wege, die er öffnet. Auch wenn er uns in Deutschland manchmal kritisch gegenübersteht – er sieht: Kirche wird nur überleben, wenn alle gehört werden. Dahinter werden wir nicht mehr zurückfallen können. Bei Fragen, die alle angehen, ist aber noch viel Luft nach oben, wenn es um transparente Entscheidungswege geht, die viele einbeziehen.

Warum, glauben Sie, haben frühere Bischofsgenerationen bei sexualisierter Gewalt weggeschaut?

Offensichtlich galt die Maxime: Die Institution ist um jeden Preis zu schützen. Das Leid der Opfer wurde schlicht und ergreifend nicht gesehen, nicht zur Kenntnis genommen, auch weil es keinen direkten Kontakt mit den Betroffenen gab. Und die Betroffenen waren in der Regel nicht so weit, dass sie aufstehen konnten, sie hatten keine Stimme. Das hat sich Gott sei Dank geändert, und das verändert uns alle.

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