Karl Weber zur Gefahr obrigkeitsstaatlichen Handelns

Besser Freiwilligenarbeit ausbauen statt soziales Pflichtjahr verordnen

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Die Idee der Politik klingt vernünftig: In Zeiten brüchigen Zusammenhalts in der Gesellschaft soll ein soziales Pflichtjahr helfen. Die Idee ist gleichwohl nicht neu, wäre aber mit mehr staatlicher Zurückhaltung effektiver, sagt Sozial-Experte Karl Weber in seinem Gast-Kommentar.

In den vergangenen Tagen wurde in Verbindung mit der möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht erneut ein sozialer Pflichtdienst für alle ins Spiel gebracht. Diese Debatte wird im neuen Jahr garantiert wieder aufflammen. Die Gräben in der Gesellschaft vertiefen sich. Auf den ersten Blick weist ein staatlich organisierter sozialer Dienst einen Weg zu mehr Zusammenhalt in einer zerklüfteten Gesellschaft. 

Befürworter wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und mit ihm parteiübergreifend weitere Politikerinnen und Politiker versprechen sich ein neues Verständnis untereinander, wenn Menschen unterschiedlichster Herkunft im Altenheim, bei der Feuerwehr und im Rettungsdienst, in Sport-, Flüchtlings- und Umweltprojekten unter staatlicher Regie verpflichtend zusammenarbeiten. 

Der Pflichtdienst soll zudem altersunabhängig organisiert sein, um die Last des Engagements nicht einseitig den Jüngeren aufzubürden. Laut Umfragen kann sich eine Mehrheit der Bevölkerung ein soziales Pflichtjahr durchaus vorstellen.

Motivation braucht Verantwortungsübernahme

Ob die Zustimmung aber anhält, wenn mit den ersten Einberufungsbescheiden in persönliche Lebensentscheidungen eingegriffen wird, ist mehr als fraglich. Und damit sind wir bei der berechtigten Kritik an diesem Konzept. 

Denn Motivation für dauerhaftes Handeln im Gemeinwesen lebt im Wesentlichen von der inneren Einsicht zur Verantwortungsübernahme. Erfahrungen der Herkunft, Familien und Gruppen aus dem persönlichen Umfeld setzen hier Maßstäbe. Die Wirkungen der staatlich verordneten und wahrscheinlich nur sehr kurzen mehrmonatigen Pflichtzeit darauf sind absehbar begrenzt.

Viel Luft nach oben

Der Autor
Karl Weber, Theologe und Historiker, ist Vorstand im Caritasverband für das Bistum Limburg.

Das heißt nicht, dass der Staat sich aus dem Feld der freiwilligen Dienste heraushalten sollte. Im Gegenteil: In Zukunft braucht es neben der Finanzierung verstärkt den kritischen Dialog mit ihm und den bisherigen und hoffentlich auch neuen Trägern von Freiwilligenarbeit zu konzeptionellen Fragen. Wie kommt es zu ungewöhnlichen Kooperationen? Wie können neue Zielgruppen erschlossen werden und welche Bildungselemente unterstützen Freiwillige auf ihrem Weg? Da ist noch viel Luft nach oben.

Langfristig bringt es also mehr, wenn ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Gruppen, darunter trotz abnehmender Mitgliedszahlen auch die Kirchen, seine bereits vorhandene Expertise in der Freiwilligenarbeit weiter ausbaut und für soziales Engagement in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen eintritt. Ein koordinierender Staat im Hintergrund bewirkt in seiner vornehmen Zurückhaltung mehr für sein berechtigtes Anliegen als es ein Rückgriff auf obrigkeitsstaatliche Elemente vermag.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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