Lena Bloemacher im Interview zum Vorstoß von SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese

Pflichtdienst: BDKJ hält Diskussion für abstrus und gefährlich

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Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Dirk Wiese, hat heute angekündigt, die SPD wolle die Einführung eines sozialen Pflichtdienstes angehen. Am Mittag distanzierte sich die Parlamentarische Geschäftsführerin seiner Fraktion, Katja Mast: "Die SPD-Fraktion plant keinen Pflichtdienst." Doch die Partei wie auch die CDU und ebenso Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier haben die Debatte immer wieder angeheizt. Und was sagen Jugendverbände? "Kirche-und-Leben.de" hat die Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ), Lena Bloemacher, gefragt.

Frau Bloemacher, kann ein sozialer Pflichtdienst zu mehr Respekt und einem besseren Miteinander führen, wie es der SPD-Politiker Dirk Wiese behauptet?

Ein sozialer Freiwilligendienst kann das sicherlich. Ein Pflichtdienst kann das nicht. Natürlich ist es ein gutes Ziel, einen besseren Zusammenhalt in der Gesellschaft zu schaffen. Aber daraus zu schließen, dass dafür (a) die junge Generation verantwortlich sein müsste und (b) dies durch Pflicht zu regeln sei, ist völlig falsch. Dieser Gedankenschluss stört mich massiv.

Dazu kommt, dass Herr Wiese diese Diskussion zwei Wochen nach Veröffentlichung eines Haushaltsentwurfs anstößt, in dem fast ein Viertel der Mittel für Freiwilligendienste gestrichen werden soll. Man muss sich nochmal klar machen: Genau diese Freiwilligendienste leisten einen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft. Das ist abstrus. Anstatt über einen Pflichtdienst zu diskutieren, während Freiwilligendienste kaputtgespart werden sollen, müssen die vorhandenen Strukturen ausgebaut und attraktiver werden.

Warum ist der BDKJ gegen die Verpflichtung junger Menschen zu sozialem Engagement?

Weil wir sicher sind, dass Pflicht nicht dazu dient, dass sich junge Menschen auch über den Dienst hinaus, langfristig und nachhaltig in dem Bereich engagieren. Allein die zu erwartende Gegenwehr und die Debatte können der Engagement-Kultur schaden. Und dann gibt es auch die organisatorischen Fragen, die so ein Pflichtdienst mit sich bringt. Wir sind gemeinsam mit dem Deutschen Caritasverband Zentralstelle für die Träger von Freiwilligendiensten und stehen so in engem Kontakt mit den Einsatzstellen und den Trägern der Bildungs- und Begleitangebote im Freiwilligendienst:

Wir sehen, dass die Träger mit der bisherigen Finanzierung schon an der Grenze ihrer Betreuungsmöglichkeiten für junge Menschen sind. Es fehlen außerdem Fachkräfte in den Einsatzstellen. Schauen Sie sich die Pflegeheime an, in denen dann (möglicherweise unwillige oder ungeeignete) Pflichtdienstleistende arbeiten sollen: Das Personal dort ist doch ohnehin schon am Limit. Wie sollen da noch etliche junge Menschen aus dem Pflichtdienst gut angeleitet und begleitet werden?

Und wenn eben nicht nur möglichst günstige Arbeitskräfte gesucht werden, dann gehört dazu, dass es eine geeignete pädagogische Begleitung gibt. Damit junge Menschen motiviert sind, damit der Dienst ein Lern- und Orientierungsjahr sein kann, damit Kompetenzen in einem unterstützenden Umfeld erworben werden können, damit letztendlich Demokratiebildung passieren und Herr Wieses Wunsch nach „mehr Respekt im Umgang und einem stärkeren Miteinander“ Realität werden kann.

Könnte so nicht auch ein Teil des Fachkräftemangels behoben werden?

Ein Dienst in einer Einrichtung muss immer arbeitsmarktneutral sein. Und ein*e 18- oder 20-Jährige*r kann ungelernt niemals eine Fachkraft ersetzen.

Wenn ein sozialer Pflichtdienst nicht sinnvoll ist, wie kann dann ein Freiwilliges Soziales Jahr oder Bundesfreiwilligendienst attraktiver werden – denn auch da fehlen ja Leute?

Attraktiver wird ein freiwilliger Dienst, wenn die Wertschätzung in der Gesellschaft dafür steigt. Und wenn es bessere Rahmenbedingungen gibt. Das Taschengeld ist viel zu niedrig, das müsste erhöht werden. Wer kann von durchschnittlich 400 Euro Taschengeld leben? Es gibt im Gegensatz zu Soldat*innen zudem kein Angebot zur kostenlosen Nutzung des ÖPNV. Die Anfahrt zur Freiwilligenstelle muss immer noch selbst getragen werden. Es gibt für diejenigen, die nicht zuhause wohnen können, wenig Wohngeld oder andere Fördermöglichkeiten. Damit sind die Herausforderungen von junge Menschen aus ärmeren Familien schon riesig und viele können aufgrund der schlechten Rahmenbedinungen keinen Freiwilligendienst machen.

Und ehrlich gesagt: Diese ständige Debatte um einen möglichen Pflichtdienst macht ein FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) oder einen BFD (Bundesfreiwilligendienst) auch nicht attraktiver. Da kommt bei den Jugendlichen am Ende an: Ihr macht nicht genug für die Gesellschaft. Auch tragen die geplanten Kürzung von Geldern im Freiwilligenbereich nicht gerade dazu bei, dass ein Freiwilligendienst attraktiver wird.

Auf der einen Seite gibt es die von Ihnen angesprochenen Haushaltskürzungen im Freiwilligenbereich, auf der anderen Seite wird über einen sozialen Pflichtdienst debattiert, der nach Schätzungen mehrere Milliarden Euro kosten würde. Wie passt das zusammen? Wie können Sie sich das erklären?

Gar nicht. Meiner Meinung nach ist das eine Nebelkerze. Die Standards, die jetzt schon in den Freiwilligendiensten angewandt werden, müssten dann mindestens auch für den sozialen Pflichtdienst gelten. Denken wir nur an die pädagogische Begleitung: Wo soll diese pädagogische Begleitung und das Geld dafür herkommen?

Wenn man die Leute auf der Straße fragt, ob sie für einen Pflichtdienst sind, dann haben Umfragen in den letzten Monaten immer wieder eine Mehrheit gefunden, die sich dafür ausspricht. Die Frage ist aber zu stark vereinfacht. Denn wenn man den Menschen erstmal die Fakten wie beispielsweise die Kosten oder die tatsächlichen Rahmenbedingungen eines solchen Pflichtdienstes vorlegen würde, dann wäre die Antwort bestimmt meist auch eine andere.

Unabhängig davon müsste man auch schauen, ob man Menschen gesetzlich zu einem sozialen Dienst überhaupt verpflichten könnte. Damals gab es die Dienstpflicht ja als Ersatzdienst für die Wehrpflicht. Ohne Wiedereinführung einer Wehrpflicht, gegen die diverse inhaltliche und organisatorische Argumente sprechen, sehe ich keine gesetzliche Grundlage für einen Pflichtdienst.

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