Thomas Schüller zu Rechtgläubig- und Geschmacklosigkeit

Beten für Tod des Papstes? Zeit für verbale Abrüstung in der Kirche!

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Um den richtigen Kurs in der Kirche streiten selbst höchste Kreise in einer Vehemenz, die auch vor verbalen Totalausfällen nicht zurückschreckt, sagt der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller im Gast-Kommentar. Seine Empfehlung klingt nur auf den ersten Blick harmlos. 

Der Ton zwischen den verschiedenen Blasen, die in der katholischen Kirche um die Deutungshoheit ringen, wird zusehends rauer. Schnell spricht man anderen dann ihr Katholisch sein ab. Unfehlbare Urteile über andere vermitteln den Eindruck, es gebe neben dem einen wirklichen Papst unzählige selbst ernannte Päpstinnen und Päpste.

Seit Franziskus im Amt ist, erlauben vermeintlich konservative Kreise es sich sogar, dem Papst vom anderen Ende der Welt die Rechtgläubigkeit abzusprechen. Es sind dieselben Leute, die in den Pontifikaten Johannes Pauls II. und Benedikts XVI. allen Liberalen in der katholischen Kirche ihre skeptische Distanz unter die Nase gerieben und für kritische Theolog:innen Sanktionen gefordert haben. Jetzt ist es selbst unter Kardinälen und Bischöfen chic und hip, Franziskus mit Ungehorsam zu begegnen oder – geschmack- und geistlos genug – für seinen baldigen Tod zu beten, wie erzkonservative Priester im spanischen Toledo es getan haben.

Ignatius: Die Aussage des Nächsten retten

Der Synodale Weg in Deutschland verleitet selbst besonnene und gemeinhin für klug erachtete Kardinäle wie Walter Kasper (Rom) und Christoph Schönborn (Wien), angeheizt durch fragwürdige Internet-Portale, zu ökumenisch unfreundlichen und in der Sache polemischen Ausfällen.

Es wird Zeit für verbale Abrüstung. Ignatius von Loyola (1491 bis 1556) rät jedem Christen, die Aussage des Nächsten retten zu wollen, statt sie zu verurteilen. Einen Versuch ist es immer wert, auch noch in der noch so abwegig erscheinenden Meinung eines anderen den Funken an Wahrheit zu erkennen, der das eigene Urteil verändern könnte. Der Gründer des Jesuitenordens mahnt zu Besonnenheit und zur Bereitschaft, den anderen zu verstehen. Das kann buchstäblich eine Zumutung sein und viel Kraft kosten.

Menschenwürde ist nicht verhandelbar

Der Autor
Thomas Schüller ist Direktor des Instituts für Kanonisches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Mitglied des Synodalen Ausschusses.

Mir selbst fällt es, ehrlich gesagt, nicht leicht, vor allem wenn ich Machtmissbrauch in der Kirche wahrnehme. Die leidvolle Erfahrung zwischen zerstrittenen Völkern oder Familien lehrt aber: Brücken sind schneller abgerissen als wieder aufgebaut. Brückenbauer:innen sind also gefragt, die Spannungen aushalten und abbauen lehren. 

Aber Achtung: Auch zum Brückenbauen braucht es den eigenen Standpunkt und das Einstehen für die, die unter ungerechten Verhältnissen leiden. Den Populisten und Extremisten in der Gesellschaft und in der Kirche ist daher unerschrocken die Stirn zu bieten. Verständnis hört dort auf, wo das Evangelium verraten wird. Die Menschenwürde ist nicht verhandelbar. Sie ist gesetzt.

In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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