Oberster Glaubenshüter des Vatikan hatte Niveau der Wissenschaft kritisiert

Schüller widerspricht Fernández: So renommiert ist deutsche Theologie

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In Deutschland gebe es "keine Theologen von dem beeindruckenden Niveau der Vergangenheit", beklagte Víctor Manuel Fernández, der neue Leiter der Glaubenskongregation. Thomas Schüller, Kirchenrechtler in Münster, einer der größten theologischen Fakuläten weltweit, widerspricht im Interview mit "Kirche-und-Leben.de" energisch.

Herr Professor Schüller, der neue oberste Glaubenshüter im Vatikan wirft der katholischen Kirche in Deutschland "ernste Probleme" vor, weil sie heute nicht mehr Theologen von dem Format früherer Zeiten habe. Wie empfinden Sie das?

Das ist ein leider immer wieder bemühtes Narrativ linker wie rechter Pressuregroups, die so versuchen, je nach kirchenpolitischer Interessenlage die katholische Kirche in Deutschland zu desavouieren, weil ihnen Themen, Köpfe, Schwerpunkte nicht passen. Man fragt sich, ab wann Erzbischof Fernández im fernen Argentinien aufgehört hat, deutsche und europäische Theologie wahrzunehmen – zumal die zweifellos großen Theologen Karl Rahner und Joseph Ratzinger ja zunächst auch vom Lehramt sehr kritisch beäugt wurden.

Sie nennen bewusst nicht nur die deutsche, sondern auch die europäische Theologie. Ist das eine ohne das andere nicht mehr zu denken?

Man kann nicht von einer deutschen-nationalen Theologie sprechen, weil die Theologinnen und Theologen aus Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zutiefst international vernetzt waren – und es bis heute sind. Wenn man sich die großen Menschheitsfragen anschaut – etwa Klimakrise, Gewalt, totalitäre Systeme -, dann funktioniert das nur im internationalen Austausch mit anderen Theologinnen und Theologen. Dazu gibt es auf europäischer Ebene hervorragende Netzwerke. Daran, dass Fernández an diesem Punkt nur deutsch denkt, erkennt man die schlechte kirchenpolitische Absicht.

Wo sehen Sie die Stärke der katholischen Theologie in Deutschland?

Die Stärke ist vor allem die Tatsache, dass Theologie hierzulande an staatlichen Universitäten getrieben wird. Damit sind wir herausgefordert, nicht in den nur eigenen kirchlichen vier Wänden wie in den kirchlichen Hochschulen zu leben, sondern uns mit den Fragen der Soziologie, der Naturwissenschaften, der Geisteswissenschaften, aber auch der Jurisprudenz auseinanderzusetzen. Wir stehen damit in einem Geflecht von Wissenschaften, die Fragen an die Theologie herantragen – so wie wir das unsererseits tun. Denken Sie nur an ethische Fragen des Lebensanfangs und -endes, des Friedens. Das ist die große Stärke der Theologie in Deutschland.

Abseits von Rahner und Ratzinger – welche Namen machen die katholische Theologie hierzulande aus?

Da könnte ich eine ganze Reihe lebender und aktiver Theologinnen und Theologen aus Deutschland aufzählen, die weltweite Anerkennung genießen: Ich nenne etwa meinen Vorgänger hier in Münster, Klaus Lüdicke, dessen Kirchenrechtskommentar das Standardwerk schlechthin ist. Ich nenne den Jesuiten Christoph Theobald, der als Deutscher in Frankreich wunderbare Texte für eine „Théologie nouvelle“, für eine spirituelle Theologie geschrieben hat. Ich denke an Margit Eckholt, die als Schülerin von Peter Hünermann das Gespräch gerade mit der lateinamerikanischen Theologie pflegt. Ich denke an Walter Kasper, Johanna Rahner oder an Dorothea Sattler in Münster, die in weltweiten ökumenischen Kontakten als anerkannte Fachfrauen und -männer der ökumenischen Theologie gelten. Ich denke an den Fachbereich Theologie der Goethe-Universität in Frankfurt, die seit Jahr und Tag den Schwerpunkt der interkulturellen Theologie pflegt. Ich nenne Martin Stuflesser in Würzburg für die Liturgiewissenschaft, Karl-Heinz Menke in Bonn und Jan-Heiner Tück in Wien, die im guten Sinn konservative dogmatische Theologie betreiben und deren Bücher in viele Sprachen übersetzt wurden. Ich nenne aber auch nicht zuletzt Michael Seewald in Münster, dessen Werk zahlreiche internationale Ausgaben erfährt. Es gibt nicht mehr diese zwei, drei Leuchtgestalten, keine Schulenbildung um eine Person. Nein, die Theologie ist pluraler – und damit auch anschlussfähiger.

Wie nehmen Sie das Verhältnis von universitärer theologischer Lehre und kirchlichem Lehramt wahr?

Das ist wie immer ein spannungsvolles Verhältnis, das in den unterschiedlichen Rollen begründet liegt: Die wissenschaftliche Theologie hat die Aufgabe, das Evangelium immer wieder neu in die jeweilige Zeit hinein zu übersetzen und damit immer wieder neu die jeweiligen Menschheitsfragen im Licht des Evangeliums aufzugreifen. Sie hat damit auch ein kritisches Potenzial in Bezug auf die überkommene Lehre. Dazu sagt Fernández in dem betreffenden Interview übrigens durchaus Starkes: Das "depositum fidei", also das Glaubensgut der Kirche, sei kein statischer Block. Zugleich hat das Dikasterium für die Glaubenslehre die Aufgabe zu schauen, dass die Theologie auf dem Boden der katholischen Lehre bleibt. Das führt mal zu weniger, mal zu mehr Spannungen. Unter der bisherigen Leitung von Kardinal Ladaria dominierte eine eher ängstliche Haltung. Der neue Präfekt hingegen hat gesagt, dass er das ändern möchte. Aber an den Taten wird man ihn erkennen. Auf jeden Fall sollte er keine Vorurteile schüren, wie in diesem Interview geschehen. Das ist Populismus.

Insgesamt habe die katholische Kirche in Deutschland ernsthafte Probleme und müsse mehr über Neu-Evangelisation nachdenken, so Fernández. Wie bewerten Sie diese Analyse des neuen Chefs des Glaubensdikasteriums?

Das ist ebenfalls ein beliebtes Narrativ: In Lateinamerika, Afrika und Ozeanien lebt die junge Kirche, dort glaubt man: Ihr in Europa habt das Geld, seid aber arm an Glauben. In der Tat haben wir in Europa ein Problem, unseren Glauben immer wieder zu inkulturieren. Das machen bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen wirklich schwer. Aber das plumpe Ausspielen von Neu-Evangelisierung und einer kritischen, von der Vernunft getragenen Theologie ist reiner Peronismus argentinischer Spielart. Da erinnere ich gern an Joseph Ratzinger, der gesagt hat: Glaube und Vernunft widersprechen sich nicht, sondern sie ergänzen sich im Idealfall. Johannes Paul II. greift das vor exakt 25 Jahren genau so in seiner Enzyklika „Fides et ratio“ auf.

Fernández nun gilt ja als Chefberater von Papst Franziskus – und in seinen Schriften, „Laudato si“ ausdrücklich ausgenommen, haben wir es eher mit einer Theologie zu tun, die auf hehre Vokabeln wie „Neu-Evangelisierung“, „Synodalität“, „Heiliger Geist“ ausgerichtet, aber nicht von einer theologisch durchdachten Theologie gefüllt ist. Das ist das große Manko dieses Pontifikats. Augenscheinlich ist Fernández eine der tragenden Säulen in diesem pontifikalen Projekt. Dies würde für die Zukunft nichts Gutes verheißen.

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