Flexible Anträge anstelle von Abrechnungspauschalen

„Borkener Modell“ rettet professionelle Familienpflege

  • Für professionelle Familienpflege fehlt oft Geld
  • Caritas in Borken entwickelt flexibles Abrechnungssystem
  • Kostenträger, Familien und Pflegepersonal profitieren

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Es ist ein unumstrittenes Angebot für Familien, die durch Erkrankung eines Elternteils in einer Notsituation sind: Der Einsatz von Familienpflegerinnen. Seit einiger Zeit steht dies aber auf der Kippe, weil die Krankenkassen eine Vergütung des Fachpersonals oft verweigern. An vielen Orten im Bistum Münster gibt es deshalb Probleme, die Familienpflege in bewährt anspruchsvoller Form aufrecht zu erhalten. Zahlen belegen das: Gab es 2014 im Bistum Münster noch 14 Dienste der Caritas dieser Art, sind es heute nur noch neun. Auch Ausbildungsgänge wurden eingestellt. In Borken entwickelte die Caritas deshalb ein neues Modell.

„In den Notsituationen ist es das Wichtigste, dass die Kinder im gewohnten Umfeld bleiben und Normalität erleben“, sagt Hildegard Welchering, die die Koordinationsstelle der Caritas für die Familienpflege in Borken leitete und in diesen Tagen in den Ruhestand geht. Für das Alltägliche, das Frühstück, den Bring- und Abholdienst der Kinder, für Putzen, Wäsche und Kochen kommen die Familienpflegerinnen in die Familien. „Dafür braucht es ausgebildete Frauen, die diese Aufgaben mit viel Herz und großer Professionalität angehen.“

 

Eine selbstbewusste Idee

 

Das „Borkener Modell“ ist seit etwa zehn Jahren ein neuer Ansatz. Welchering entwickelte es damals mit. „Es war eine selbstbewusste Idee, die Kostenträger vor die Wahl zu stellen, unser Angebote anzunehmen oder selbst Unterstützung zu erbringen, beziehungsweise andere Angebote zu vermitteln“, sagt sie.

Agnes Köhne und Hildegard Welchering im Büro der Caritas Familienpflege in Borken.
Agnes Köhne (links) übernimmt die Leitung der Caritas-Familienpflege in Borken von Hildegard Welchering. | Foto: Michael Bönte

Von den bis dahin angewandten Abrechnungspauschalen verabschiedeten sie sich in Borken. An ihre Stelle traten Anträge, welche die Notwendigkeiten und den Aufwand konkret beschrieben. Die Krankenkassen konnten das individuelle Angebot annehmen oder versuchen, eine günstigere Lösung zu finden. „Am Anfang war es schwierig, das zu etablieren“, erinnert sich Welchering. Auch weil die Krankenkassen versuchten, mit Aushilfskräften preiswerte Lösungen zu finden. „Am Ende reifte aber auch dort die Einsicht, dass die Situation der betroffenen Familien zu komplex ist, um dafür eine Unterstützung ohne Fachkräfte zusammenzubasteln.“

 

Neue Familienstrukturen, neue Arbeitszeiten

 

Hilfreich war, dass dieses Verfahren zu neuen familiären Strukturen passte. Andere Betreuungsangebote, Ganztagsschulen oder flexible Berufszeiten der Eltern bedeuteten veränderte Anforderungen. Sie können mit dem „Borkener Modell“ berücksichtigt werden. „Wenn die Kinder von 8 bis 16 Uhr in der Schule sind, muss eine Familienpflegerin nur davor und danach im Einsatz sein.“ Was in der Abrechnung natürlich auch für die Krankenkassen interessant ist.

Diese neue Flexibilität wird vom neunköpfigen Familienpflege-Team in Borken mitgetragen. Mal geht es für die Frauen früh morgens raus, um nach einer langen Pause erst am Abend wieder tätig zu werden. Damit sich solch unrhythmische Arbeitszeiten rechnen, musste die Caritas in Borken noch weiter denken. Die Familienpflegerinnen sind deshalb nicht mehr allein in Familien im Einsatz, auch Wohngruppen für Jugendliche, Senioren oder Menschen mit Behinderungen gehören mittlerweile zu ihrem Arbeitsbereich.

 

Beharrlichkeit trägt Früchte

 

Welchering, die nach mehr als 20 Jahren in der Familienpflege die Leitung der Koordinationsstelle in Borken an Agnes Köhne übergibt, freut sich, dass die anfängliche Beharrlichkeit bis heute Früchte trägt. „Weil es für alle Seiten einen Gewinn bedeutet: Die Krankenkassen bekommen professionelle Arbeit, die Familienpflegerinnen können die Familien umfassend betreuen und die Familien erhalten einen Menschen, zu dem sie Vertrauen aufbauen und den Alltag in den für sie unruhigen Zeiten meistern können.“

Ein wenig traurig ist sie, dass das „Borkener Modell“ in anderen Regionen bisher nicht oder nur ansatzweise umgesetzt werden konnte. „Das empfinde ich als wunden Punkt“, sagt sie. „Weil es kaum Mehrarbeit bedeutet, mit diesem Modell zu arbeiten.“ Dem Rückgang an qualifizierten Angeboten könnte es dagegen verhindern.

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