Parlament erkennt Verfolgung nach 2014 einstimmig als Genozid an

Bundestag: Jesiden im Irak erlitten Völkermord durch Islamisten

  • Der Bundestag hat einstimmig die systematische Verfolgung und Ermordung von Jesiden durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) als Völkermord anerkannt.
  • Tausende Jesiden wurden ab August 2014 vom IS aus ihrer Heimat im Nordirak vertrieben, versklavt oder ermordet.
  • Die Jesiden selbst begrüßten die Entscheidung als historisch.

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Der Bundestag hat einstimmig die systematische Verfolgung und Ermordung von Jesiden durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) als Völkermord anerkannt. Tausende Jesiden wurden ab August 2014 vom IS aus ihrer Heimat im Nordirak vertrieben, versklavt oder ermordet. Systematisch wurden Frauen und Kinder vergewaltigt.

Die Entscheidung des Bundestags bedeute auch die Annahme des Auftrags, nach denen zu suchen, die weiterhin vermisst und verschleppt sind, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Beobachter gehen von etwa 3.000 Jesiden aus, die noch in der Gewalt der IS-Kämpfer oder vermisst sind. "Wir können den Völkermord nicht rückgängig machen, aber wir können dafür sorgen, dass die Opfer Gerechtigkeit erhalten, damit der Völkermord nicht vererbt wird", sagte Baerbock.

Jesiden: Histroischer Tag

Redner aller Fraktionen sprachen sich dafür aus, Jesiden weiterhin in Deutschland Asyl-Schutz zu gewähren. Zugleich sollten die Rückkehr Geflüchteter in ihre Heimat ermöglicht und Familien zusammengeführt werden. Bildungs- und Forschungsangebote zu fördern und ein Dokumentationszentrum einzurichten seien weitere Anliegen, um neben dem Gedenken auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung in Geschichte, Theologie und Kultur zu stärken.

Der Zentralrat der Jesiden in Deutschland sprach von einem historischen Tag. Jetzt müsse die Sindschar-Region schnell wieder aufgebaut werden, schreibt Zentralratsvorsitzende Zemfira Dlovani bei Facebook. "Ezidinnen und Eziden gehören nicht in Zelte oder Camps, sie gehören in ihre Heimat." Derzeit leben internationalen Beobachtern zufolge etwa 300.000 Jesiden in Flüchtlingslagern unter zum Teil desolaten Verhältnissen.

Jesidische Ehrengäste im Bundestag

Auch die deutsch-jesidische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal begrüßte die Anerkennung des Genozids als "mehr als ein symbolischer Akt": "Es ist eine Heilung. Denn nichts wünschen sich die Überlebenden mehr als Gerechtigkeit, dass die Welt ihr Leid sieht und die Täter bestraft werden", sagte Tekkal, die Gründerin der Menschenrechtsorganisation Hawar. Diese forderte, dass die humanitäre Lage der Jesiden im Irak verbessert und der Genozid strafrechtlich international verfolgt wird.

An der Debatte im Bundestag nahm als Gast auch das weltliche Oberhaupt der Jesiden, Hazim Tahsin Saied Beg, teil. Er hält sich derzeit mit einer jesidischen Delegation zu Besuchen in Berlin auf.

Vor einem Treffen mit der Delegation kündigte der Parlamentarische Staatssekretär im Entwicklungsministerium (BMZ), Niels Annen (SPD), eine verstärkte Hilfe des Ministeriums im Irak an: "Für die Zukunft müssen wir vor allem die strukturellen Entwicklungshemmnisse des irakischen Staates ins Visier nehmen, zuallererst die Korruption und die überbordende Bürokratie", sagte Annen.

Stichwort Jesiden:
Jesiden sind eine religiöse Minderheit unter den Kurden. Weltweit hat die monotheistische Religionsgemeinschaft mehrere hunderttausend Mitglieder. In Deutschland leben derzeit bis zu 80.000 Anhänger. Der jesidische Glaube vereint Elemente verschiedener nahöstlicher Religionen, vor allem aus dem Islam, aber auch aus dem Christentum. Im Jesidentum gibt es keine verbindliche religiöse Schrift. Die Glaubenslehren werden mündlich überliefert. Nach jesidischer Vorstellung ist Gott „einzig, allmächtig und allwissend“. Jesiden haben ein weltliches und ein religiöses Oberhaupt („Baba Sheikh“). Jeside ist nur, wer von jesidischen Eltern abstammt. Heiratet ein Jeside einen Andersgläubigen, gilt das als Austritt aus der Religionsgemeinschaft. Jesiden wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verfolgt, sowohl religiös als auch - wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Kurden - ethnisch. Fundamentalistische Muslime betrachten sie als „ungläubig“ und „vom wahren Glauben abgefallen“. Deshalb verbergen Jesiden in ihren Heimatgebieten häufig ihre Identität. Das Verhältnis zu Christen gilt nach eigenen Angaben als gut. (KNA)

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