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Wegen der Corona-Krise gibt es derzeit keine öffentlichen Gottesdienste. Pfarrer Stefan Jürgens aus Ahaus lädt deshalb zu einer kleinen Gebetsschule für zu Hause ein. Jeden Morgen ab 7.30 Uhr. Heute mit Teil 32.
Wegen der Corona-Krise gibt es derzeit keine öffentlichen Gottesdienste. Pfarrer Stefan Jürgens aus Ahaus lädt deshalb zu einer kleinen Gebetsschule für zu Hause ein. Die Impulse bauen aufeinander auf. „Das persönliche Gebet ist mir ein Herzensanliegen“, sagt Jürgens. Viele hätten jetzt Zeit dafür. Jeden Morgen ab 7.30 Uhr gibt es an dieser Stelle eine neue Folge seiner "kleinen Gebetsschule".
Schweigen ist sicherlich die Hochform des Betens. Der Beter lässt sich anschauen von Gott. Er wird ganz und gar leer – aber nicht im esoterischen Sinn eines Leerwerdens für irgendeine Energie, sondern im Sinne einer Orientierung auf das Geheimnis Gottes hin, im Sinne einer Offenheit für Ihn.
Sören Kierkegaard schreibt: „Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht nur Schweigen ist, sondern Hören.
So ist es: Beten heißt nicht, sich selbst reden hören, beten heißt, still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört.“ Und er fordert dazu auf, „Schweigen zu schaffen“.
Das Beispiel des Elija
Dieser Erfahrung kann ich zustimmen. Die Erfahrung des gefüllten, orientierenden Schweigens vor Gott ist jedoch zumeist eine Erfahrung nach allen gesprochenen Worten; es ist gut, zunächst die Gebete der Bibel und der Glaubenstradition nachzusprechen, mitzusprechen, damit auch das Schweigen das „Du“ Gottes nicht aus dem Blick verliert.
Eine wichtige Anregung zum Schweigen finde ich in der Geschichte des Propheten Elija:
„Elija stand auf, aß und trank und wanderte ... vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb. Dort ging er in eine Höhle, um darin zu übernachten. Doch das Wort des Herrn erging an ihn: Was willst du hier, Elija? Er sagte: Mit leidenschaftlichem Eifer bin ich für den Herrn, den Gott der Heere, eingetreten, weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben. Ich allein bin übriggeblieben, und nun trachten sie auch mir nach dem Leben.
Der Herr antwortete: Komm heraus, und stell dich auf den Berg vor den Herrn! Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln.
Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle“ (1 Könige 19).
Dazu eine kleine Betrachtung:
Elija kann nicht mehr.
Leidenschaftlich hat er sich eingesetzt für seinen Gott.
Mit prophetischer Kraft hat er sich stark gemacht –
für den starken Gott Israels.
Und nun?
Alles scheint vergeblich.
Elija ist auf der Flucht.
Man trachtet ihm nach dem Leben,
und deshalb wünscht er sich den Tod.
Gott aber lässt ihn nicht allein.
Gestärkt mit Brot und Wasser,
wie durch Engelhand geführt,
wandert er zum Gottesberg Horeb –
dem Berg des Bundes,
dem Berg der Freiheit Seines Volkes.
Hier, an diesem heiligen Ort,
lässt Gott sich erfahren:
nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer.
Dieser Gott schockiert nicht mit Naturgewalten.
Elija spürt genau – Gottes stillschweigende Wesenheit!
Von Sturm, Erdbeben und Feuer bleibt er sichtlich unberührt.
Erst ein sanftes, leises Säuseln lässt ihn hörbar erahnen, wer da auf ihn zuschweigt.
Nicht ein Wettergott ist Jahwe,
nicht eine Macht der niederreißenden Gewalt,
sondern ein stiller, sanfter Gott der meditativen Zärtlichkeit.
Ein sanftes, leises Säuseln – unerhört!
Martin Buber, der jüdische Religionsphilosoph,
nennt es eine „Stimme verschwebenden Schweigens“.
Im „verschwebenden Schweigen“ singt Gott von Seiner Berührbarkeit und Nähe.
„Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel,
trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle.“
In diesem mystischen Element völliger Leere
sterben alle vertrauten Gottesbilder von Allmacht und Gewalt.
Gerade die Stille, das schweigende Nichts
wird zum schauerlich-ergreifenden Moment von Gottes Gegenwart.
Gotteserfahrung ist mitschwingendes Anteilnehmen,
Resonanz des Ewigen,
Klang aus der Wesensmitte des Seins,
schweigendes Tönen nach dem Getöse dieser Welt.
Das Schweigen Gottes in der Berührbarkeit Seines Propheten Elija –
das ist eine Grundhaltung des Glaubens:
- in die Stille kann ich mich versenken,
in die Arbeit nur vergraben.
- in die Ruhe kann ich eintauchen,
in der Hektik nur untergehen.
Stille ist eine Bewegung nach innen: sie sammelt.
Lärm ist eine Ablenkung nach außen: er zerstreut.
Jeder Klang will zur Stille reifen:
- In vielen Musikstücken sind es gerade die Pausen, in denen sich die innere Dramatik der Musik bis zum Äußersten steigert: Die Stille ist die Spannung in der Musik!
- Und der Rhythmus – er besteht aus jenen pulsierenden Impulsen, die den Raum der Stille schöpferisch gestalten: Die Stille ist der Raum des Rhythmus‘!
- Rhythmus entsteht aus den Pausen zwischen den Impulsen. Kreativität entsteht in den Pausen zwischen dem Schaffen. Die Stille ist der Raum der Schöpfung!
Die Stille ist sanft. Sie weckt Empfindungen.
Sie umschwebt uns schweigend:
nicht ohrenbetäubend wie der Lärm,
sondern herzergreifend wie die Liebe.
Nicht im Aufsehen erregenden Tun offenbart sich Gott,
sondern im hörbaren Sein.
Wenn mir einmal Hören und Sehen vergeht,
dann tauche ich ein in Gott, der unerhört auf mich zuschweigt.
Ich werde ruhig in der Gnade des Schweigens.
Ich höre von Herzen die Stimme der Stille.
Bis morgen!
Stefan Jürgens