Ortsteil geriet als Armenhaus und IS-Hochburg in Verruf

Dinslaken-Lohberg: So gelingt katholisches Leben in Ex-Zechensiedlung

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Armenhaus, boomende Bergarbeiterstadt, Salafisten-Hochburg, Ort der gescheiterten Integration: Lohberg, ein Stadtteil von Dinslaken im westlichen Ruhrgebiet, kennt viele Bezeichnungen, von denen einige nicht immer schmeichelhaft sind. Mit diesen Vorurteilen können viele Lohberger wenig anfangen, so auch engagierte Katholikinnen und Katholiken, die mit „Kirche-und-Leben.de“ über das kirchliche Leben einer kleiner werdenden Gemeinde inmitten des Strukturwandels sprachen.

Es schwingt viel Heimatliebe mit, wenn Gisela Schrör von ihrem Ort spricht: „Ich lebe seit 30 Jahren in Lohberg und habe mich immer über die Vorurteile geärgert, die Menschen außerhalb von Lohberg äußern. Ich fühle mich hier wohl, schätze den dörflichen Charakter des Stadtteils und wünsche mir, dass die positiven Seiten auch nach außen hin sichtbarer werden“, sagt Gisela Schrör.

Die wenigen Sätze der 58-jährigen Frau und Mutter machen deutlich, dass Lohberg, ein Stadtteil von Dinslaken und nördlich von Duisburg gelegen, ein besonderer Ort ist. Das meint auch Tochter Marie: „Ich fühle mich sehr wohl in Lohberg, möchte immer hierbleiben und gern später als Familie in einem Zechenhäuschen wohnen.“ Die 26-Jährige hat vor kurzem geheiratet und schwärmt von ihrem Heimatort.

 

Verwurzelt in der Kirche

 

Familie Schrör ist nicht nur im Ort verwurzelt, sondern auch in der katholischen Gemeinde St. Marien, die seit einigen Jahren zur Pfarrei St. Vincentius in Dinslaken gehört. Gisela Schrör ist seit ihrem Wohnortwechsel von Lünen-Brambauer nach Lohberg in der kirchlichen Gemeinde engagiert, Tochter Marie Müller ist Sprecherin des Gemeinde-Ausschusses, Leiterin der Messdiener-Gemeinschaft, in der Jugendarbeit aktiv und war schon mehrere Jahre im Pfarreirat dabei.

Familienvater Martin Schrör arbeitet ebenso wie seine Frau Gisela und Tochter Marie im Gemeinde-Ausschuss mit und ist frisch gewähltes Mitglied im Pfarreirat. Zeitweise waren Vater und Tochter gemeinsam im Pfarreirat.

 

Engagierte Gemeindemitglieder

 

Ohne zu übertreiben, darf man sagen, dass ohne Familie Schrör das katholische Leben in Lohberg ein bisschen bescheidener ausfallen würde. „Wir sind gern katholisch. Wir sind in der Kirche beheimatet. Wir finden unsere Gemeinde in Lohberg super“, sagt Gisela Schrör und ergänzt, dass viele engagierte Frauen und Männer das katholische Leben in der früheren Zechensiedlung prägen.

Dazu zählt Marianne Floer, die 1978 nach Lohberg kam und bis heute treibende Kraft ist, wenn es gilt, rund um St. Marien etwas auf die Beine zu stellen, seien es Wallfahrten nach Kevelaer, ökumenische Frauentreffen, Taizé-Gebete, Mitarbeit im Brasilienkreis oder Treffen mit muslimischen Frauen bei religiösen Festen. „Ich wohne zwar seit einigen Jahren in Dinslaken, aber Lohberg ist meine innere Heimat geblieben“, sagt die 81-Jährige.

 

Erste Gottesdienste in der Lohnhalle

 

Als die Gemeinde vor zwei Jahren ihr 100-jähriges Jubiläum feierte, standen viele Begegnungen auf dem Programm. Marie Schrör überreichte nach dem Festgottesdienst Weihbischof Rolf Lohmann einen großen Kalender mit Bildern des Ortes und mit dem Kirchturm als Cover-Motiv.

„Hier in Lohberg leben wir die Spanne zwischen Montanindustrie, Bergbau und Glauben, waren doch damals vor dem Kirchbau die ersten Gottesdienste der jungen Gemeinde in der Lohnhalle der Zeche gefeiert worden“, hatte Diakon Michael van Meerbeck gesagt. Er ist der feste Ansprechpartner im Seelsorgeteam der Pfarrei für die Lohberger Gemeinde.

 

„Die ärmste Gemeinde im Bistum“

 

Um den Ort zu verstehen, lohnt ein Blick in seine Geschichte: Lohberg entstand 1907 als Bergarbeitersiedlung. Die Zeche Lohberg-Osterfeld lag in direkter räumlicher Nähe und bot vielen Menschen Brot und Arbeit. Die Siedlung wuchs.

Die Katholiken legten Hand an und bauten 1930/31 eine Kirche. Die Marien-Kirche ist eins der wenigen Zeugnisse expressionistischen Kirchenbaus im Bistum Münster. Pastor Albert Nienhaus bettelte damals auf mehr als hundert Kanzeln für die „ärmste Gemeinde des Bistums“.

 

Aufstände der Kommunisten

 

In einem Zeitungsbericht zur Kirchweihe 1931 hieß es: „Ein seltenes Beispiel echt katholischen Geistes zeigt Lohberg, dessen Bevölkerung zu 97 Prozent aus armen Bergleuten sich zusammensetzt, die unter der gegenwärtigen Wirtschaftskrise besonders zu leiden haben. Und doch bauen sich diese ärmsten, aber auch treuesten Katholiken ein herrliches Gotteshaus.“ Auch Gisela Schrör und Marianne Floer sagen über St. Marien: „Es ist wahrlich ein schönes Gotteshaus.“

Die Geschichte des Orts kennt viele dunkle Seiten, die wie ein Mikrokosmos die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Ruhrgebiets aufzeigt. Bei Aufständen nach dem Ersten Weltkrieg 1919/20 kamen mehrere Lohberger Kommunisten ums Leben. Revolutionäre Spartakisten ermordeten den Bergwerksdirektor der Zeche Sebold. „Diese Ereignisse bleiben im Ort präsent“, sagt Floer. In der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1930/31 waren von den 4000 Bergleuten nur noch 1000 beschäftigt. Die politischen Unruhen nahmen zu.

 

Kampf um die Arbeitsplätze

 

2005 beendete die Zeche ihren Betrieb. An den vielen Protestaktionen in den 1990er Jahren gegen die Zechenschließungen und für den Erhalt der Arbeitsplätze beteiligten sich auch die christlichen Gemeinden in Lohberg.

Eine besondere Protestaktion und für viele Lohberger unvergessen war der weihnachtliche ökumenische Gottesdienst an Heiligabend 1996 auf der vierten Sohle des Bergwerks in 854 Meter Tiefe, den der katholische Pfarrer Wilhelm Lepping und der evangelische Pfarrer Harro Düx mit Bergleuten feierten.

 

Strukturwandel nach der Zechenschließung

 

Der Strukturwandel setzte nach der Zechenschließung mit Wucht ein. Nach Statistiken war 2009 jeder vierte Bewohner des Orts arbeitslos gemeldet, davon 36 Prozent mit ausländischen Wurzeln. Mehr als die Hälfte der 6000 in Lohberg lebenden Menschen hat einen türkischen Migrationshintergrund. Von den unter 25-Jährigen war fast jeder Fünfte ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Den Daten des Sozialberichts von 2009 war zu entnehmen, dass jeder fünfte Bewohner als arm galt.

„Vieles hat sich in den letzten Jahren gebessert“, sagt Gisela Schrör. Die Arbeitslosenquote sei gesunken. Junge Menschen hätten heute bessere Perspektiven. Um die Jugendarbeit und die Freizeitgestaltung zu fördern, eröffnete der Caritasverband das Don-Bosco-Haus mit geschützten Räumen für die Jugendlichen.

 

Anhänger des Islamischen Staates

 

Traurige Berühmtheit erlangte Lohberg durch Anhänger des Islamischen Staates (IS), die 2011 von dort aus nach Syrien in den Bürgerkrieg zogen. Behörden sprachen von der „Lohberger Brigade“, wie die Gruppe von rund 25 Personen aus der salafistischen-dschihadistischen Szene bezeichnet wird. Einige sogenannte IS-Kämpfer kamen ums Leben, einige kehrten wieder nach Deutschland zurück.

Dass Lohberg mit dem IS und als Synonym für eine gescheiterte Integrationspolitik in Verbindung gebracht worden ist, ärgert Gisela Schrör noch heute: „Es handelte sich um wenige IS-Anhänger, die meisten kamen auch von außerhalb. Fernsehteams zogen durch unseren Ort auf der Suche nach Sensationsmeldungen. Wir bekamen ein schlechtes Image.“ Der schlechte Ruf von damals als Salafisten-Hochburg hänge bis heute nach.

 

Gute Nachbarschaft mit Muslimen

 

Gegen dieses „schlechte Image“ arbeiten Familie Schrör und Marianne Floer. Sie setzen auf ein friedliches Miteinander in der Nachbarschaft und auf einen vertrauensvollen Dialog mit der islamischen Gemeinde.

„Der Dialog unter den Religionen ist uns immer wichtig gewesen“, sagt Floer. So werde beispielsweise das Friedensgebet des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) mit den Muslimen gebetet.

 

Gegen Vorurteile aufräumen

 

Familie Schrör zählt auch zu den Mitmachenden des „Forums Lohberg“, das den Stadtteil voranbringen möchte und gegen Vorurteile aufräumen will: „Alle Akteure im Stadtteil sind eingeladen, sich einzubringen und der Welt zu zeigen, in welch lebenswertem und liebenswertem Ort sie leben“, sagt Gisela Schrör.

Das katholische Leben im Ort zusammen mit vielen anderen fortzuführen, ist für sie selbstverständlich, auch wenn die Zahl der Gemeindemitglieder weiter sinken wird. Gab es im Ort zu den guten Zeiten des Bergbaus in den 1950er Jahren rund 5000 Katholiken, so sank die Zahl der Katholiken auf etwa 2000 im Jahr 2005. Heute zählt die Gemeinde knapp 1500 Mitglieder.

 

Ökumene ist selbstverständlich

 

Vor sechs Jahren schloss die evangelische Kirche ihre Lutherkirche in Lohberg. Ursprüngliche Pläne für ein Kolumbarium (Urnenbegräbnisstätte) scheiterten. Nun steht das Gotteshaus zum Verkauf.

„Ja, das ist traurig für unsere evangelischen Mitchristen“, sagt Floer. Da es ein gutes ökumenisches Miteinander gebe, kämen evangelische Christen gern in die St.-Marien-Kirche und zu den ökumenisch ausgerichteten Frauen-Treffs. „Einige evangelische Frauen kommen auch zur katholischen Frauenmesse.“

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