Feierlicher Gottesdienst im Dom zu Münster am 17. Oktober 2021

Dokumentiert: Predigt von Bischof Felix Genn zur Eröffnung der "Weltsynode"

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Am vergangenen Sonntag hat Papst Franziskus die Weltsynode in Rom eröffnet. Heute wurde sie von Bischof Felix Genn mit einem festlichen Gottesdienst auch für das Bistum Münster begonnen. In seiner Predigt erläuterte er die geistlichen Hintergrunde, Herausforderungen - und ermutigt zur Mitarbeit. Wir dokumentieren die Predigt in Gänze.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

eine interessante Szene, die uns das heutige Evangelium schildert, ganz und gar menschlich, für jeden von uns höchst verständlich. Männer und Frauen sind mit diesem Jesus von Nazareth unterwegs. Bei Ihm spüren sie: Er ist auf jeden Fall etwas Besonderes, vielleicht oder sogar mit Sicherheit ist Er der Messias, auf den wir im Volk Israel warten, und der uns Befreiung und Rettung schenkt von aller römischen Herrschaft? Wenn Er Sein Reich aufrichtet, dann wird alles heil, dann werden Friede und Wohlergehen sein.

Dass da jemand Ambitionen hat, in diesem Reich eine besondere Stellung einzunehmen, zumal er den künftigen Herrscher dieses Reiches persönlich kennt und Ihm schon lange gefolgt ist, das ist doch wohl verständlich; und dass eine Mutter um die Position ihrer Söhne besorgt ist und für sie eintreten will, ebenso. In dem Text, den uns Markus überliefert, tritt allerdings nicht die Mutter in den Vordergrund, sondern Jakobus und Johannes sprechen selbst die Bitte aus, dass Er etwas für sie tut, wenn Er in Seiner Herrlichkeit kommt, nämlich, dass sie rechts und links neben Ihm sitzen können.

 

Eine geistliche Weltlichkeit

 

Liebe Schwestern und Brüder, wir können auch verstehen, dass die übrigen Zehn, als sie das hören, ganz ärgerlich sind, wie man sich so vordrängeln kann! Und wie reagiert Jesus? Er antwortet schlicht und einfach: „Ihr wisst nicht, um was ihr bittet“ (Mk 10,38). Allen Jüngern schließlich sagt er, dass sie doch wüssten, wie diejenigen, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Aber genau das will Er nicht. Dann aber fährt Er fort: „Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (ebd. 43-44).

Papst Franziskus weist immer wieder auf ein Wort des großen französischen Theologen Henri de Lubac hin, der in einem seiner großen Werke über die Kirche von der „geistlichen Weltlichkeit“ spricht, darunter ausdrücklich versteht, „nicht die Glorie des Herrn, sondern der Mensch und seine Vervollkommnung“ als das große Leitbild zu sehen.  Was uns heute im Evangelium geschildert wird, ist ein typisches Beispiel dieser geistlichen Weltlichkeit, die die Geschichte der Kirche durchzieht, wie jeder von uns bestätigen kann.

 

Beteiligung statt Pyramide

 

Liebe Schwestern und Brüder, wir haben uns heute hier im Dom versammelt, weil wir die Anregung von Papst Franziskus bewusst auch in unserem Bistum aufgreifen wollen, an diesem Sonntag uns weltweit in allen Ortskirchen dem großen Projekt anzuschließen, bis zum Jahre 2023 darüber nachzudenken, darüber zu beten und miteinander zu sprechen, was es eigentlich heißt, wenn die Kirche geprägt ist von der Synodalität. Das Wort ist zunächst für uns nicht so leicht erklärlich.

Leicht verständlich ist es, wenn wir daran denken, dass Kirche in den Herzen und Vorstellungen vieler Menschen zunächst einmal ein Apparat, eine Institution ist, eine Verwaltung und Administration, an deren Spitze der Bischof mit Verantwortlichen steht, insgesamt aber das Volk Gottes in geringerem Maße an dem beteiligt ist, worum es dieser Institution geht. Vielleicht sieht es dann so aus, als ob die Kirche wie eine Pyramide auf eine Spitze zuläuft, die sich im Petrusamt personalisiert. Nun aber stößt Papst Franziskus eine andere Bewegung an, indem er ausdrücklich für eine synodale Kirche in Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung wirbt, und alle einlädt, sich an diesem Prozess zu beteiligen.

 

Synodaler Weg gehört dazu

 

Aus Dankbarkeit für diese Initiative wollen auch wir in unserem Bistum verstärkt über dieses Anliegen nachdenken, es miteinander besprechen und in den Gremien, in denen schon heute ein solches synodales Prinzip angewandt wird, in Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung der Kirche realisieren, um daraus unseren Beitrag für die deutsche Kirche und für die Weltkirche zu geben.

Wie jeder von uns weiß, ist der Synodale Weg, den wir seit 2020 gehen, auf dieser Linie zu sehen und auf dieser Spur zu gehen, und beides, die Initiative von Papst Franziskus und unser Synodaler Weg, können gut zusammengebracht werden und zusammen klingen.

 

Menschen lassen sich von Jesus korrigieren

 

Der Evangelienabschnitt von heute ist ein ganz kleines Beispiel für einen solchen synodalen Prozess: Menschen aus der Umgebung Jesu haben eine bestimmte Vorstellung von dem, was Er verwirklichen will, bringen es Ihm vor, lassen sich von Ihm korrigieren, zur Umkehr bewegen und in eine Tiefe führen, die Seiner Botschaft und Sendung viel gerechter wird als das, was guten Glaubens die Einzelnen sich gedacht haben.

Das führt aus einem Geist der Weltlichkeit, um dieses Wort aufzugreifen, hinaus in den Geist, der Ihn bewegt, der Ihn dazu treibt, das Reich aufzurichten, dass aber eben, wie Er Pilatus gegenüber sagt, „nicht von dieser Welt ist“ (Joh 18,36). Wir merken das an unserem Text daran, dass Jesus ausdrücklich auf Sein Schicksal verweist und die Jünger, die neben Ihm rechts und links sitzen wollen, fragt, ob sie da mitmachen: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (ebd. 45).

 

"'Projektmanager' ist der Herr selbst"

 

Was heißt das nun konkret für unseren Synodalen Weg und unseren synodalen Prozess? Zunächst ist klar, dass der eigentliche Organisator, der eigentliche Inspirator, der eigentliche „Projektmanager“ dieses Prozesses der Herr selbst in der Kraft Seines Geistes ist. Er will uns darin führen, nicht meine Vorstellungen zu verwirklichen, sondern mehr und mehr zu spüren, was Er heute der Kirche sagt.

Deshalb bezeichnet Papst Franziskus diesen Synodalen Weg als „eine Reise des Zuhörens“. Dabei kommt es ihm darauf an, einander zu begegnen, zuzuhören und so zur Unterscheidung und Entscheidung zu kommen. Das bedeutet aber ganz konkret „Dienst“, weil ich mich nämlich nicht als erstes in den Vordergrund stelle, da ich ja schon weiß, was herauskommen muss, sondern mich ganz und gar dem unterordne, was ich zunächst einmal von anderen höre; und wenn Sie sich einmal hineindenken in das, was Hören bedeutet, wird jeder von uns merken, dass Hören und Hören zwei verschiedene Dinge sein können.

 

Hören oder rote Karte

 

Das Hören, von dem Franziskus spricht, und das hier bei dem Synodalen Weg gemeint ist, ist wirklich ein Dienst, weil ich aus mir herausgehe, in den anderen hinein, um wirklich zu verstehen, was Er mir sagen will. Dahinter steckt das grundlegende Kriterium, den anderen zu achten, Sein Antlitz, besonders – wie Franziskus es immer wieder betont – „das Antlitz des Armen, des Kleinen und des Ausgeschlossenen“  zu beachten. Dann ergibt sich eine ganz andere Weise des Umgehens miteinander.

Die Meinung des anderen nicht nur äußerlich mit meinen Ohren zu hören, sondern sie innerlich auf- und wahrzunehmen, bedeutet, die Meinung des anderen auf jeden Fall zu retten und nicht von vornherein zu verurteilen. Oder anders gesagt: Nicht schon, indem ich ihm zuhöre, die Grüne oder Rote Karte innerlich oder äußerlich zu ziehen oder anschließend in einem emotionalen Ausbruch sie positiv oder negativ zu kommentieren, sondern erst einmal zu verstehen  suchen, was sich hinter seiner Aussage verbirgt, und was er meint.

 

Versuch und Irrtum, Schweigen und Unterscheiden

 

Liebe Schwestern und Brüder, das ist letztlich ein Akt und ein Weg des Glaubens, weil ich nämlich von vornherein annehme, dass Gott mich überraschen kann und mir Wege zeigt, so dass nicht das herauskommen muss, was ich meine, sondern tatsächlich Gott eine Chance gebe, mir das Ergebnis wie eine Frucht, die gereift ist, zu schenken. Das bedeutet auch die Bereitschaft, sich in die unterschiedlichen Bewegungen hineinzustellen, die im Laufe eines solchen Weges sich immer wieder zeigen.

Das ist manchmal Versuch und Irrtum, wie man aber erst im Nachhinein merkt, das kann manchmal wirklich hoch hergehen und zu heftigen Auseinandersetzungen führen, wenn anschließend wieder die Bereitschaft gegeben ist, im schweigenden Aufnehmen des anderen die Stimme des Geistes zu suchen oder zumindest zu einer Unterscheidung zu kommen, weil sie sich von dem, was ich empfinde, völlig absetzt.

In dieses Hören, liebe Schwestern und Brüder, gehört unbedingt hinein das Hören auf das Wort der Schrift, weil der Herr hier in „eigener Sache“ zu uns spricht, und dieses Wort der Schrift hat sich im Laufe der Geschichte der Kirche in ihrer Tradition ausgeformt. Dafür stehe ich als Bischof in ganz besonderer Weise in Verantwortung.

 

Brauchen wir Priester?

 

Ich will es einmal an einem Beispiel aus der letzten Synodalversammlung verdeutlichen: Dort wurde nämlich die Frage gestellt, ob es nicht notwendig sei, sich darüber zu verständigen, ob wir heute Priester brauchen. Daraus wurde sofort gefolgert, dass die Synodalversammlung in ihrer Mehrheit das Priestertum abschaffen will. Ist das aber wirklich gemeint? Ich kann mir eine Katholische Kirche ohne das priesterliche Weiheamt nicht vorstellen, weil ich als Bischof verantwortlich bin, auf dem Boden des II. Vatikanischen Konzils und der gesamten Tradition der Kirche zu bleiben.

Und doch kann ich aus diesem Anliegen, darüber zu diskutieren, etwas hören - nämlich: Angesichts des furchtbaren Missbrauchs, der gerade in der Gruppe der Priester so schwerwiegend geschehen ist, stellt sich die Frage: Was soll das sein, als Priester in der Kirche zu leben, wenn so etwas passiert? Was braucht es dann für Priester, wenn das nicht passieren darf und soll? Dann bekommt die Frage eine andere Färbung, als wenn ich einfach dagegen halte, es müsse Priester geben – was selbstverständlich ist – oder dagegen halte, dass man daran ja schon sehe, auf welche Abwege dieser Synodale Prozess gerate.

 

Was können Sie tun? 

 

Liebe Schwestern und Brüder, es entsteht nun die Frage, was Sie als einzelne Gläubige in diesem Zusammenhang tun können. Worin besteht Ihr Dienst? Zunächst einmal das umzusetzen, wo Sie als Christin und Christ im Gespräch mit anderen sind, wo Sie in Gremien und Verbänden und Gruppen Verantwortung tragen, die Reise des Zuhörens mitzugehen und darüber nachzudenken und zu sprechen und zu beten, was der Kirche von heute als Gemeinschaft und in ihrer Sendung für die Welt dient.

Das kann mitunter auch ein ganz schmerzlicher Prozess sein, spricht doch Jesus nicht umsonst auch von dem Kelch des Leidens, wenn man denn von seiner „geistlichen Weltlichkeit“ umkehren soll in die Atmosphäre, die Ihn bestimmt, wenn man vom Herrschen-wollen hinübergeht in den Dienst.

 

Internet und Gebet

 

Dann bedeutet es auch, liebe Schwestern und Brüder, sich aktiv zu beteiligen, was heute über das Internet und die verschiedenen Felder möglich ist, die Sie sicherlich unter diesem Stichwort finden werden.

Und nicht zuletzt: Schenken wir einander unser Gebet, unsere Hingabe an den Herrn, damit wir alle uns davon leiten lassen, dass Er der Herr des Verfahrens ist, dass Er uns überraschen kann, und dass Er uns auch in dieser Stunde der Kirche mit Seinem Geist dient und auf den Weg führt, der Seinem Reich und Seiner Botschaft am meisten entspricht.

Amen.

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