Der Theologe Johannes Vutz warnt vor zu schnellen Pandemie-Bilanzen

Ein „guter Gott“ und die Corona-Pandemie – passt das zusammen?

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Lässt sich das Bild vom guten und gerechten Gott und die Corona-Pandemie vereinbaren? Johannes W. Vutz findet, diese Frage sei bisher kaum in der Kirche angekommen. Zugleich werde das Handeln der Kirche in der Krise eher zu schnell bilanziert.

Der Historiker Volker Reinhardt wagt in seinem jüngsten Werk über die große Pest 1347-1353 („Die Macht der Seuche“) den historisch versierten Blick auch auf die Corona-Pandemie und ihre Verarbeitung. So, wie im 14. Jahrhundert – entgegen einer oft anzutreffenden Meinung und der Entstehung epochaler Werke der Geistesgeschichte wie Bocaccios Decamerone zum Trotz – die Pandemie sich nicht als Ursache eines Epochenwandels erwiesen, sondern bereits vorhandene Entwicklungen, Auf- und Abbrüche der Geistes- und Mentalitätsgeschichte aufgenommen habe, sei auch von Corona kein Epochenwandel zu erwarten.

„Grundmuster“ der damaligen Bewältigung seien vielmehr „der Wille zum Vergessen und Verdrängen und damit verbunden das Streben, in die vermeintlich gesicherte Normalität der Vor-Pandemie-Zeit zurückzukehren“. Er resümiert: „Wenn die Jahre 1347 bis 1353 die Menschen des Jahres 2021 etwas lehren können, dann ist es Gelassenheit.“

 

Für eine Bilanz zu früh

 

Ob einer solchen Erwartung keimt bei mir eine gewisse Nervosität auf. Die ersten Reflexionen über den Umgang mit der Pandemie, die seit Monaten in vielen Meetings aufkommenden Fragen, was haben „wir als Kirche“ gut gemacht, was weniger gut, wo haben wir uns als (system-)relevant erwiesen, wo wurden wir abgehängt: Ich traue mir an dieser Stelle explizit noch keine Pro- oder Re-Gnose zu.

Der Autor:
Johannes W. Vutz ist Theologe und arbeitet als Referent für Katechese und Liturgie im Bischöflich Müns­terschen Offizialat in Vechta.

Allerdings fällt mir auf: Religiös, insbesondere mit Blick auf den Dreh- und Angelpunkt aller Rede von Gott, namentlich das Gottesbild selbst, scheint die Pandemie bislang auf eine erstaunliche Verblüffungsfestigkeit zu treffen. Zumindest in der Herzmitte der Kirche – ihrer Verkündigungstätigkeit – scheint die Frage beziehungsweise die Suche nach dem guten und gerechten Gott in der Pandemie noch kaum angekommen. Hat, wer nicht sucht, eben schon gefunden?

 

Zu große Glaubens- und Gottesgewissheit?

 

„Ach wenn doch die Kirche dieser Suche eine Sprache gäbe! Wenn sie ihre eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit und die Vielschichtigkeit ihrer eigenen Tradition wahrnähme – und eingestünde: Wir haben den Wahrheitsmund bisweilen zu voll genommen – und darin Freude erweckte an dem Wandlungsgang, der uns heute auferlegt ist.“ Was der Benediktiner Elmar Salmann hier in einem jüngeren Impuls zum Ausdruck bringt, spricht mir aus der Seele. Die Suche nach einer demütig-angemessenen Gottesrede im Angesicht der Corona-Pandemie mit ihren zahllosen Leidenden und Toten, sie treibt auch mich um.

Wo bin ich in der Gefahr, den „Wahrheitsmund“ zu voll zu nehmen in meiner Gewissheit, in dieser oder jener Weise vom Gott meines Glaubens sprechen zu können? Ich gestehe gerne zu: Corona bedeutet für mich auch nach einem Jahr mehr Frage als Antwort, mehr Suche als Fund, mehr „Wandlungsgang“ als Angekommensein.

Die Positionen der Gastkommentare spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von „Kirche+Leben“ wider.

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