Themenwoche „Wie klappt's mit Inklusion in unseren Gemeinden?“ (4)

Fraune: „Mir war als Rollstuhlfahrer das Priesteramt lange versperrt“

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Matthias Fraune sitzt seit seiner Jugendzeit im Rollstuhl. Sein Wunsch, Priester zu werden, erfüllte sich lange Zeit nicht. Grund war seine Behinderung.

„Lasst uns als Menschen einfach Menschen sein.“ Der Satz kommt wie selbstverständlich aus dem Mund von Matthias Fraune. Niemand solle eine Sonderrolle einnehmen. Keiner müsse auf ein Podest oder auf einen Ehrenplatz gehoben werden, auch kein Mensch mit einer Behinderung oder einem Handicap. „Wir sind alle Menschen, und alle sind wir gleich“, sagt der Seelsorger weiter.

Rücksichtnahme und Respekt gegenüber den Nächsten – das wünscht sich der 57-jährige Seelsorger aus Laer im Kreis Steinfurt. Vor einem Jahr empfing er im Paulusdom in Münster die Priesterweihe von Bischof Felix Genn.

Kirche bei Inklusion in der Pflicht

Fraune gehört zu den ganz wenigen Priestern, die als Rollstuhlfahrer den Weg in das Priesteramt geschafft haben. Er wisse von einem Rollstuhlfahrer aus dem Erzbistum Freiburg, der vor einigen Jahren geweiht worden sei, auch von einem Rollstuhlfahrer, der vor etwa 40 Jahren in Berlin von Kardinal Joachim Meisner zum Priester geweiht worden sei, mit dem einschränkenden Aufgabengebiet, nur in der Charité in Berlin als Seelsorger wirken zu können.

Was die Inklusion anbelangt, sieht Fraune nicht nur die Gesellschaft in der Pflicht. „Auch in der Kirche ist noch viel Luft nach oben, wie es oft heißt. Gerade im kirchlichen Bereich brauchen wir gegenüber Menschen mit Behinderung mehr Respekt, mehr Achtsamkeit, mehr ungezwungenen Umgang, ein intensiveres Nachdenken, und das heißt weniger Mitleid, weniger Sonderrollen, weniger Sonderstatus.“

Wege auf Friedhöfen oft zu schmal

Wer an Inklusion in der Kirche denkt, erwähnt schnell den barrierefreien Zugang zum Kirchenraum, den ausgewiesenen Platz für Rollstuhlfahrer und die Rampe für den Weg zum Altar, der durch die Stufen sonst nicht erreichbar wäre. „Da gibt es immer noch viel zu tun. In einigen Kirchen schaffe ich es nicht, den Altarraum zu erreichen. Es sind zu viele Stufen. Ich bräuchte eine Hilfestellung“, sagt Fraune.

Auch einige Friedhöfe haben Tücken für Rollstuhlfahrer. „Einige Grabfelder erreiche ich nicht. Die Gänge sind für mich zu schmal. Ich muss mich immer zuvor beim Friedhofsgärtner erkundigen, wo sich das Grab befindet. Eine Beerdigung habe ich aus diesem Grund absagen müssen“, sagt Fraune, der derzeit als Kanonikus in der Pfarrei St. Remigius in Borken wirkt.

Operation an der Wirbelsäule „verunglückte“

Für den Laerer war es ein weiter Weg, seine Berufung als Priester leben zu können. Es war ein Weg mit Hindernissen, Hürden und zufälligen Begegnungen.

Als 13-jähriger Junge hatte Matthias Fraune viel vor: Er war ein fleißiger Junge in der Schule, in seiner Heimatpfarrei St. Bartholomäus diente er als Messdiener, war als Hilfsküster und Hilfsorganist regelmäßig und gern in der Kirche. Eine Operation an der Wirbelsäule im Hüfferstift in Münster allerdings „verunglückte“.

„Erst spürte ich noch eine Bewegung in den Beinen, dann nicht mehr“, spricht Fraune offen über den radikalen Schnitt in seinem Leben. Es folgte eine weitere Operation. Mehrere Wochen lang lag er im Koma. „Man gab mir dann die Hoffnung, dass die Querschnittlähmung nicht für immer sein müsse und ich irgendwann einmal wieder laufen könne“, sagt er über die einjährige Zeit im Krankenhaus.

Mitschüler helfen bei Transport

Im Rollstuhl sitzend, bekam er viel Solidarität und Hilfe von seinen Freunden. Im Gymnasium in Borghorst (Kreis Steinfurt) trugen ihn die Mitschüler die 29 Stufen hoch in den Klassenraum im 1. Stock und mittags wieder die 29 Stufen zurück. Als die Krankenversicherung das mitbekam, war die Aufregung groß. „Sie wollte das Risiko nicht eingehen, dass ich so die Treppen hinaufkam. Einen barrierefreien Zugang gab es damals nicht.“

In der Hauptschule in Laer fand der Schüler einen behindertengerechten Platz und konnte dort die Schulzeit mit der Mittleren Reife beenden. Er machte eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten und arbeitete bis November 2016 in der Gemeindeverwaltung im Rathaus von Laer.

Berufung zum Priester

Installiert ist eine Rampe für den Rollstuhlfahrer Matthias Fraune auf der Rückseite des Altarraums. | Foto: Johannes Bernard
Installiert ist eine Rampe für den Rollstuhlfahrer Matthias Fraune auf der Rückseite des Altarraums. | Foto: Johannes Bernard

Der Wunsch, Priester zu werden, ließ ihn in all den Jahren nicht los. „Mein Glaube hat mir geholfen, mit der Behinderung zu leben. Priester zu werden, war mein Wunsch auch ohne meine Lähmung. Das kirchliche Leben war mir vertraut“, sagt er über seine Jugendzeit.

1984 unternahm er als damals 18-Jähriger den ersten Anlauf, in Münster vorstellig zu werden, wie man trotz einer Behinderung Priester werden könne. „Damals sagte man mir: Machen Sie erst eine Ausbildung. Vielleicht besteht später nach dem Ahlener Modell die Möglichkeit zur Priesterweihe“, erinnert sich Fraune an ein Gespräch mit einem Pfarrer, der mit der Berufungspastoral beauftragt war. Das Ahlener Modell sah vor, berufstätigen Männern auch ohne Abitur die theologische Ausbildung zu ermöglichen.

Auf Brief an Bischof Lettmann folgte Ablehnung

Einen zweiten Anlauf unternahm Fraune 1991, als er Bischof Reinhard Lettmann einen Brief schrieb, mit der Bitte, ob er ihn nicht als Priesteramtskandidat aufnehmen könne. „Lettmann wirkte hilflos. Er nahm den Brief mit in den Priesterrat und besprach meinen Fall. Wie ich später hörte, waren Lettmann und der Priesterrat für einen Versuch offen, doch ein Entscheidungsträger wehrte sich strikt dagegen. Er konnte und wollte sich vielleicht nicht vorstellen, wenn ein Mann im Rollstuhl am Altar sitzt. Dessen Einstellung ist beschämend und hatte mich damals verletzt“, erinnert sich Fraune an die Gespräche und die dann erfolgte Ablehnung.

Ein Verantwortlicher habe ihm gesagt, die Priesterweihe lohne sich für ihn nicht, da er nur in einer Behinderteneinrichtung Dienst tun könne.

Winterkamp macht Mut

Kirche und Theologie ließen den Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung aber nicht los. Er spielte nach wie vor regelmäßig die Kirchenorgel – das Pedalspiel verlegte er mit seiner linken Hand auf das erste Manual. „Man weiß sich zu helfen“, sagt er schmunzelnd.

Einen dritten Anlauf nahm Fraune bei einer Wallfahrt in Rom 2012, als er den damaligen Vorsitzenden des Diözesancaritasverbands und heutigen Generalvikar Klaus Winterkamp traf und mit ihm über seinen Priesterwunsch sprach. „Winterkamp machte mir Mut und meinte: Melden Sie sich bei mir.“

Regelung im Kirchenrecht

Es folgten Gespräche mit der Familie sowie mit den Ortspfarrern Johannes Gospos und Andreas Ulrich sowie ein Treffen mit dem damaligen Regens des Priesterseminars Borromaeum, Hartmut Niehues, „auf neutralem Boden“ im Landesmuseum Münster. Immer ein Thema der Gespräche war die Bestimmung des Kirchenrechts, welche Voraussetzungen ein Mann erfüllen muss, der Priester werden will.

Danach darf der Priesteramtskandidat mit „keinerlei Irregularitäten“ behaftet sein und muss über „physische und psychische Gesundheit“ verfügen. In der Regel entscheidet der Bischof in Abstimmung mit dem Leiter des Priesterseminars darüber, ob jemand Priester werden kann. Fraune ist zu hundert Prozent schwerbehindert und hat die Pflegestufe III.

Fraune: „Es gibt keine Menschen zweiter Klasse“

Nach der Zustimmung studierte Fraune – im Erdgeschoss des Borromaeums wohnend – Theologie im Fernkurs an der Domschule Würzburg. Parallel dazu machte er eine Ausbildung zum Krankenhausseelsorger. Seinen ersten Gottesdienst als Priester nach der Weihe an Pfingsten 2022 feierte Fraune in seiner Heimatkirche St. Bartholomäus.

Als Priester ist es ihm wichtig, dass es keine Menschen zweiter Klasse gibt: „Jeder Mensch wird so, wie er ist, von Gott geliebt.“ In diesem Sinn hofft er auf eine Kirche, für die Inklusion eine Selbstverständlichkeit ist. „Aber da haben wir noch Luft nach oben.“

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