Archäologische Arbeiten beim Umbau des Kirchplatzes von St. Stephanus Beckum

Gebeine auf ehemaligem Friedhof erzählen vom Leben vor langer Zeit

  • Bei der Umgestaltung des Kirchplatzes von St. Stephanus Beckum sind archäologische Arbeiten notwendig.
  • In der Erde rund um die Kirche werden auf einem ehemaligen Friedhof viele Gräber mit Skeletten gefunden.
  • Der Umgang mit den Gebeinen geschieht mit hoher Sensibilität.

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Der Starkregen dieser Woche hat die Arbeiten noch einmal etwas zurückgeworfen - die etwa ein Meter tiefen Gräben rund um die St.-Stephanus-Kirche in Beckum sind voll Wasser gelaufen oder verschlammt. Die archäologischen Fundstücke darin sind verschmutzt oder derzeit nicht zugänglich. Neben alten Grabplatten sind das vor allem Skelette. Denn um die Kirche wurden bis 1815 Menschen begraben. Und das seit mehr als 1.000 Jahren. Der ehemalige Friedhof aus karolingischen Zeiten ist einer der ältesten in der Region.

Für Grabungsleiter Joachim Meffert ist das eine spannende Fundgrube: „Weil wir hier so viel über das Leben und die Gesellschaft der einzelnen Epochen lernen können.“ Der promovierte Archäologe ist mit seinem Team seit vier Wochen im Einsatz.

Zuerst haben sie den Aushub des Baggers beobachtet. „Als Grabplatten und Knochen zum Vorschein kamen, haben wir sofort mit unserer Arbeit begonnen.“ Erst grob mit dem Spaten, dann immer filigraner. Bis sie die Gebeine mit dem feinen Holzspatel reinigen, fotografieren, vermessen und die Informationen dokumentieren konnten. „Der Erhaltungszustand ist oft sehr gut, da wir hier einen besonders kalkhaltigen Boden haben.“

Erstaunliche Erkenntnisse

Die Erkenntnisse sind zum Teil erstaunlich. Nicht nur Alter der Verstorbenen und Bestattungsbräuche lassen sich ableiten, auch religiöse Vorstellungen oder Krankheiten.

„Dieses Kind ist mit einer Totenkrone beerdigt worden“, sagt Meffert und zeigt auf einen grünen Punkt am Schädel. „Das waren Blumengebinde mit Schmuck, gehalten durch Kupferdrähte – eine Art Brautschmuck, mit dem darauf verwiesen wurde, was dem Kind durch seinen frühen Tod verwehrt blieb.“

Respekt vor den Verstorbenen

Das Gebiss eines anderen verstorbenen Kindes weist Spuren von Karies auf. „Das zeigt, dass in dieser Region schon früh viel Zucker gegessen wurde.“

Bei allem wissenschaftlichen Hintergrund: Meffert ist sich bewusst, welchen Wert seine Forschungsobjekte eigentlich haben. „Ich arbeite hier nicht mit Steinen – die Toten sind Menschen, die ein Leben gelebt haben.“ Wenn er sich etwa einen Tag lang mit jedem Skelett beschäftigt, geht ihm das immer wieder durch den Kopf, sagt er. „Gerade bei den vielen kleinen Skeletten mache ich mir so meine Gedanken – die Kindersterblichkeit war früher sehr hoch.“

Gegen Starkregen wappnen

Pfarrer Irmgedruth vor einem vollgeregneten Ausgrabungsbereich an der Westseite der Kirche. | Foto: Michael Bönte
Pfarrer Rainer B. Irmgedruth vor einem vollgeregneten Ausgrabungsbereiche an der Westseite der Kirche. | Foto: Michael Bönte

Das archäologische Projekt ist Teil der umfangreichen Neugestaltung des Kirchplatzes. Für die Anlage von Grünflächen, eine neue Wegführung, Begegnungsmöglichkeiten und Kunstwerken müssen Rückstaukanäle geschaffen werden, die eine Überflutung bei starken Niederschlägen verhindern.

„Beckum liegt in einer Mulde“, sagt Pfarrer Rainer B. Irmgedruth. „Die Kirche steht wie auf dem Boden einer Schüssel – die Auswirkungen des Starkregens haben das noch einmal deutlich gezeigt.“

Platz wird neu gestaltet

Der Umbau des direkten Kirchenumfelds ist dem Propst schon seit langer Zeit ein Herzensanliegen. „Wir konnten bislang keine Veranstaltungen außerhalb der Kirche machen, die Wege waren schmal und schlecht zu passieren, der Platz war trist und alles andere als gastfreundlich.“ Mit der Neugestaltung soll die Kirche einladender werden, zur Kommunikation anregen.

Doch für seinen Vorschlag, der von den Gremien der Pfarrei mitgetragen wird, gab es auch Kritik. „Der Heimatverein wollte auf keinen Fall, dass der alte Friedhof mit seinen Ursprüngen in Zeiten Karls des Großen in Mitleidenschaft gezogen wird.“

Geweihte Erde bleibt erhalten

Ein Zaun mit Sichtschutz soll die Ausgrabungen vor neugierigen Blicken schützen. | Foto: Michael Bönte
Ein Zaun mit Sichtschutz soll die Ausgrabungen vor Blicken schützen. | Foto: Michael Bönte

Der Umgang mit dem Areal geschieht deshalb mit hoher Sensibilität, sagt Irmgedruth. „Wir graben nur so tief, wie es für die Entwässerung notwendig ist. Alle Gebeine werden im Anschluss wieder in die geweihte Erde gelegt. Und wenn es zu viele gibt, werden wir uns um ein Gemeinschaftsgrab auf einem Friedhof kümmern.“ Auch soll auf dem umgestalteten Kirchplatz mit einem Ort der Erinnerung und Informationsschriften über die Geschichte des Platzes aufgeklärt werden.

Auch während der Ausgrabungen wird darauf geachtet, dass der Würde der Verstorbenen Rechnung getragen wird. Ein verstärkter, blickdichter Bauzaun soll vor neugierigen Blicken schützen. Planen bedecken die aktuell offengelegten Gräber „Wir wollen nicht, dass irgendwann Fotos der Toten in den sozialen Netzwerken auftauchen“, sagt Irmgedruth.

Geplante Einweihung im kommenden Frühjahr

Von den derzeitigen Arbeiten der Archäologen hängt ab, ob der neue Kirchplatz wie geplant im Frühjahr eingeweiht werden kann. Wie viele Gebeine noch gefunden werden ist offen. Damit auch, wieviel Zeit die Wissenschaftler noch benötigen. Weitere Starkregen würden diesen Teil des Projektes zudem weiter verzögern.

Die Umgestaltung des Kirchplatzes rund um die St.-Stephanus-Kirche in Beckum ist ein Gemeinschaftsprojekt von Stadt und Pfarrei. 2,8 Millionen Euro werden die Arbeiten kosten, etwa eine Million Euro kommt aus Fördermitteln des Landes. Das Bistum Münster und die Pfarrei bringen etwa 700.000 Euro auf. Bei den Ausgrabungen handelt es sich um ein begleitendes archäologisches Projekt des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe. Sie finden ausschließlich in dem Rahmen statt, der bei den Baumaßnahmen notwendig wird. Eigenständige, erweiterte Ausgrabungen sind nicht geplant.

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