Joachim Frank über das "Gemeinsame Wort" von katholischer und evangelischer Kirche

Gegen eine Ökumene des Versagens hilft nur Glaubwürdigkeit

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Es ist 60 Seiten lang und hat kaum Beachtung gefunden: das jüngste Gemeinsame Wort von katholischer und evangelischer Kirche. Zu Unrecht, sagt Joachim Frank im Gast-Kommentar. Allemal angesichts bleibender Abgründe auf beiden Seiten.

Angesichts innerkatholischer Kontroversen um Fragen von Lehre und Kirchenverfassung ist das Verhältnis der christlichen Kirchen untereinander zurzeit kein Thema, das die Gemüter sonderlich erregt. So segelt auch auf das jüngst veröffentlichte gemeinsame Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland zu den „Chancen einer prozessorientierten Ökumene“ unter dem Radar der (kirchen-)öffentlichen Aufmerksamkeit.

Das ist schade. Denn das 60-Seiten-Papier schlägt bemerkenswerte Töne an und ermutigt Christinnen und Christen aller Konfessionen, auf dem Weg zur Einheit von unten voranzuschreiten, nüchtern und zugleich couragiert.

Warum nicht? Weil Rom es nicht will?

Der Autor
Joachim Frank ist DuMont-Chefkorrespondent und Mitglied der Chefredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“, Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP) und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Frank ist Träger des „Stern-Preises“ 2023.

Der Perspektivwechsel ist wichtig. Theologisch ist alles vorgedacht, was die Kirchenspaltung überwinden könnte. Doch die letzten Empfehlungen, wie aus ökumenischen Einsichten ökumenisches Handeln wird, hat der Vatikan kurzerhand vom Tisch gefegt. An die Stelle des Arguments tritt – wie so oft – die Arroganz der Macht: Gemeinsames Abendmahl? Kommt nicht in Frage. Und warum nicht? Weil Rom es nicht will.

In dieser Konstellation wäre es – mit Paul Watzlawick – eine „Anleitung zum Unglücklichsein“, weiter auf Öffnungen von oben zu warten. Und wohlweislich entsagen die Autorinnen und Autoren des Ökumene-Papiers (von katholischer Seite sind das die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop und der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding) dem Einheitspathos früherer Dokumente. Sie setzen auf die Ökumene der Praxis.

Wo immer möglich, gemeinsam

„Wir wollen nicht mehr Kirche sein ohne euch.“ So lautet eine der „gemeinsamen Einsichten“ des Papiers, das in eine Reihe wechselseitiger Zusagen mündet. Eine davon: „Wir sagen einander zu, wo immer es möglich ist, gemeinsam zu handeln und einander aktiv zu unterstützen.“

Das ist ambitionierter, als es vielleicht aufs erste Lesen wirkt. In manchen strittigen gesellschaftspolitischen Fragen haben die Kirchen es zuletzt vorgezogen, ihr eigenes Ding zu machen. Pläne für einen vierten Ökumenischen Kirchentag liegen auf Eis, ohne dass es jemanden groß zu stören scheint. Man kommt mit getrennten Katholiken- und evangelischen Kirchentagen offenbar auch ganz gut – besser gar? – parat.

Ökumene des Versagens

Im Umgang mit sexualisierter Gewalt schließlich haben die Kirchen es auf eine Ökumene des Versagens ankommen lassen – mit einer so bestürzenden wie skandalösen Unfähigkeit, im Blick auf die jeweils andere Kirche die eigenen Abgründe zu erkennen und ihnen wirksam zu begegnen.

Da ist also noch viel Luft nach oben für „mehr Sichtbarkeit in der Einheit und mehr Versöhnung in der Verschiedenheit“. Die Notwendigkeit benennt das Ökumene-Papier in dankenswerter Klarheit: „Welche neuen Schritte … die Kirchen jeweils in selbstkritischer Erneuerung gehen, wird darüber entscheiden, wie glaubwürdig sie in ihrem diakonischen und ethischen Engagement in Erscheinung treten werden.“

Glaubwürdigkeit – darauf muss es einer Gemeinschaft von Glaubenden zuallererst ankommen. Das neue Ökumene-Papier liegt als kleine Lektüre-Hilfe bereit.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

 

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