Die Basis und die Kirchen-Krise (3): ein Ehrenamtlicher aus Recklinghausen

Gregor Kortenjann: „Liebe Kirche, Du wirst mich nicht so schnell los!“

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Hohe Kirchenaustrittszahlen, weniger Gottesdienstbesucher – viele Menschen sind enttäuscht von ihrer Kirche. Auch kirchlich Engagierte hadern mit der Institution, für die sie doch oft genug sprichwörtlich „den Kopf hinhalten“. „Kirche-und-Leben.de“ hat mit einigen kirchlich aktiven Frauen und Männern darüber gesprochen, wie sie die Kirchenkrise empfinden und was diese für ihr eigenes Engagement bedeutet, so zum Beispiel mit Gregor Kortenjann aus Recklinghausen. Er engagiert sich seit vielen Jahren in der Gastkirche und im Gasthaus Recklinghausen, wo soziale Arbeit ganz praktisch organisiert wird.

Zu meiner Person: Ich bin 75 Jahre alt, verheiratet und zweifacher Opa. Im wahrsten und übertragenen Sinne des Wortes habe ich ein Drittel meines Lebens im Schatten der Kirche, genauer gesagt der St. Michaelskirche in Recklinghausen-Hochlarmark verlebt. Mit dem Begriff Schatten beschreibe ich allerdings nicht mein damaliges Erleben von Kirche. Im Gegenteil: Meine familiär bedingte Sozialisation mit und in der katholischen Kirche bescherten mir eine schöne Kinder- und Jugendzeit in fast allen damals möglichen kirchlichen Funktionen.

Scheußliche Missbrauchssituationen, wie sie heute aufgedeckt werden, habe ich nie erlebt. Dennoch wird mir mit zunehmendem Alter bewusst, dass auch ich damals eine Art Missbrauch erlebt habe: den systemischen Machtmissbrauch.

Bild vom strafenden Gott

Die Gewissens(ver)formung durch Vertreter der Kirche – in der Regel sich der „heiligen“ Kirche gegenüber verpflichtet fühlende Priester – macht mich immer noch nachdenklich, manchmal sogar zornig. Ich denke an den uns vorgestellten Sündenkatalog, an die Vermittlung eines strafenden Gottesbildes, an einen Gott, den in seiner Größe nur die Katholiken für sich „gepachtet“ hatten, an Auftritte von kirchlichen, an die „schöne“ Zeit der Monarchie erinnernde Würdenträger.

Diese Wahrnehmungen haben mich seit meiner Heirat vor fast 50 Jahren zu einem veränderten Handeln oder Engagement innerhalb der Kirche geführt. Meine damalige Ortsgemeinde wurde uns zu „eng“, sodass wir nach einigen Jahren des „Kirchentourismus“ durch „offen und modern“ erscheinende Gemeinden schließlich in der Recklinghäuser Pfarrei Heilig Kreuz ankamen.

Rückzug aus dem Pfarrgemeinderat

Als man uns dort – ich war mittlerweile Pfarrgemeinderatsvorsitzender – herauskomplimentierte („Ich wünsche Ihnen, dass Sie in einer anderen Gemeinde ihre Heimat finden“), wurden wir vom damaligen Gastkirchenpfarrer Bernhard Lübbering herzlich eingeladen und haben seitdem dort unsere kirchliche Heimat gefunden.

Im Bereich Gastkirche/Gasthaus versuchen wir uns unterschiedlich einzubringen: Gesprächsdienst, Gasthausrat, Empfangsdienst und wo manchmal Bedarf ist. Das machen wir gern, weil wir hier „un-normale“ Erfahrungen
machen, uns hier Wertschätzung und viel Vertrauen entgegengebracht wird, unser Leben sinnvoll strukturiert wird und wir, in Gemeinschaft mit anderen, Gott in verständlichem Wort, in ansprechender Liturgie und gelebter Tat erleben und wirken lassen können.

Dogmengläubigkeit der katholischen Kirche

Angesichts augenblicklicher vielfältiger Diskussionen innerhalb und außerhalb der Kirche hat das Wort „Kirchenaustritt“ für mich noch nie eine Rolle gespielt. Ich zahle übrigens noch immer Kirchensteuer!

Ich gebe Kirchenkritikern vielfach recht. Ich schäme mich manchmal, „einem solchen Verein“ anzugehören, mich überkommt „Fremdschämen“ angesichts mancher folkloristischer Verkleidungen und Titel. Ich kann und konnte den Text „Ich glaube an die Kirch´ allein, die einig, heilig, allgemein...“ noch nie ehrlichen Herzens mitsingen. Ich verzweifle fast an der Dogmengläubigkeit der katholischen Kirche. Ich wünsche mir eine von überholten Vorstellungen gereinigte, auf die Person Jesus hin ausgerichtete Reformation.

Veränderung durch Mitgestaltung

Aber um etwas zu bewahren und erfolgreich zu ändern, bedarf es einer Organisation, eben der Kirche, welche ich vor Ort in einer Gemeinde – ich zum Beispiel in der Gastkirchengemeinde – erleben und mitgestalten kann.

Zwei persönliche Erlebnisse bestärken mich in dem Entschluss, „dabei“ zu bleiben: Wenn ich „kirchenfremden“ Personen davon erzähle, dass ich noch „dazu“ gehöre, muss ich schon mit einem höflichen „Stirnrunzeln“ rechnen. Wenn diese Personen allerdings ortskundig sind und erfahren, dass ich etwas mit der Gastkirche und dem Gasthaus zu tun habe und dort auch mitgestalten kann, kommt oft die Reaktion „Ja dann...“.

Einsamkeit nach Kirchenaustritt

Vor wenigen Tagen sagte mir eine gute Bekannte, die nach ernsthafter Überlegung sich von ihrer Kirche losgesagt und das auch offiziell vollzogen hat: „Ich fühle mich irgendwie einsam.“

Fazit: Liebe Kirche, Dich werde ich und Du wirst mich so schnell nicht los!

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