Themenwoche: Wie fastet ihr? (4) - Hinduismus

Hinduismus: Wo Fasten Heil bringt - zu Gast in Europas größtem Tempel

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Viva Sri Arumuga Paskarakurukkal ist Oberster Priester des Sri Kamadchi Ampal Tempels in Hamm, des größten tamilischen Tempels in Europa. Das Fasten ist fester Bestandteil des Glaubens.

Wer in die Siegenbeckstraße in Hamm-Uentrop fährt, dem fällt sofort der große bunte Turm auf, der die anderen Gebäude in dem Industriegebiet überragt und selbst an einem grauen Wintertag nicht zu übersehen ist. „Vanakkam“, so heißt der Priester Besucher im Sri Kamadchi Ampal Tempel herzlich willkommen. „Vanakkam“ bedeutet im Tamilischen „Gruß, einander grüßen“. Bevor man jedoch den Tempel betritt, ist das Ausziehen der Schuhe Pflicht. Darauf weisen Schilder am Eingang hin. Ein hinduistischer Tempel ist ein geweihter, heiliger Ort. Nach Hindu-Glauben residieren im Tempel die Götter. Nichts, was den Ort verunreinigen und entweihen würde, darf in die Nähe oder gar mit in den Tempel gebracht werden.

Die Geschichte des Tempels ist mit der Flucht von zehntausenden Tamilen eng verbunden. Sie verließen Sri Lanka ab 1983, als sich der Konflikt zwischen der singhalesischen Mehrheit und der tamilischen Minderheit verschärfte. Einige von ihnen kamen nach Hamm und gründeten hier 1989 eine hinduistische Gemeinde mit einem Tempel. Vier Jahre später feierten sie das erste Tempelfest mit einer öffentlichen Prozession. Zu den Gläubigen der ersten Stunde gehört auch der Oberste Priester Viva Sri Arumuga Paskarakurukkal (60).  Er floh 1985 nach Deutschland und strandete in Hamm, wo er seitdem als Priester tätig ist wie auch seine Vorfahren. Zur NRW-Hindu-Gemeinde zählen mehr als 5.000 Menschen, etwa 60.000 tamilische Hindus leben insgesamt in Deutschland.

Tempel im südindischen Stil erbaut

Themenwoche: Wie fastet ihr?
Für eine Zeit zu verzichten – auf Essen, Verhalten, Gewohnheiten –, das gibt es nicht nur im Christentum. Kirche+Leben hat mit einem Muslim, einem Juden, einem Hindu und einer Jesidin darüber gesprochen. Klar ist: Immer geht es um mehr als mich selbst.

Das in südindischem Stil erbaute Tempelportal (Gopuram) ist 17 Meter hoch, der Tempel misst 27 mal 27 Meter. Er ist damit der größte erbaute tamilische Tempel Europas. Die Baukosten belaufen sich auf etwa zwei Millionen Euro, finanziert durch Spenden und Darlehen der Gläubigen. Er ist das Zentrum des Hinduismus im Exil. Sogar einen Ersatz für den Ganges haben die Gläubigen im Industriegebiet von Uentrop gefunden. Für Waschungen geht es 300 Meter weiter unter eine Brücke am Datteln-Hamm-Kanal.

Farbenfroh, exotisch, mit Figuren und Göttern verziert empfängt das Innere des Tempels den Besucher. Der Duft von Räucherstäbchen liegt in der Luft. Der Tempel ist streng nach rituellen Vorgaben konzipiert, die Göttin Sri Kamadchi Ampal (übersetzt: die Wünsche von den Augen abliest) blickt vom Zentralschrein in Richtung Osten, zur aufgehenden Sonne. „Sri“ ist eine respekterweisende Anrede. „Ampal“ bedeutet im Tamilischen „Mutter Gottheit“ und „Kamadchi“ ist die Göttin mit den Augen der Liebe. Für den nur mit Spenden finanzierten Bau sowie die vielen Skulpturen und Verzierungen wurden extra mehrere Tempelbauer aus Indien beschäftigt. Insgesamt schmücken den Bau aber nicht nur die große Granitstatue der namensgebenden Göttin, sondern auch über 200 weitere Figuren von Gottheiten.

Fasten ist fester Teil des Glaubens

Dreimal täglich findet ein Gottesdienst statt, zu dem jeder eingeladen ist. Für den Obersten Priester beginnt der Tag morgens um 5.30 Uhr schon mit dem Gebet. Vorher trägt er einen Punkt, genannt Tilak oder tika, aus Sandelholzpaste und roter Farbe auf die Stirn auf. Er bedeutet, sich bewusst zu sein, dass das Göttliche in einem wohnt. „Wenn der Mann nicht betet, geht es der Familie schlecht“, sagt der Oberste Priester. Das gilt umgekehrt auch für die Frauen, die für die Gesundheit ihrer Männer die Götter anrufen. Und nicht nur das. Die Frauen fasten, wenn ihre Männer erkrankt sind. Einmal im Jahr am 16. August ist ein besonderer Festtag mit Namen Varalaxshumi Vitharam, an dem die Frauen auf Essen verzichten, und um Gesundheit für ihre Männer bitten. Viele hinduistische Frauen verzichten zudem montags auf Nahrung, um einen guten Ehemann zu bekommen.

Als eine der älteren religiösen Traditionen bildet das Fasten einen festen Teil des hinduistischen Glaubens. Im Hinduismus wird das Fasten „Upavasa“ genannt und kann unterschiedliche Formen haben. Die Feier zu Ehren von Shiva am Jahresanfang ist ein wichtiges Fastenereignis. Tradition hat das Fasten im Hinduismus auch freitags, wie früher in der katholischen Kirche, als an diesem Tag auf Fleisch verzichtet wurde. Es gibt Ausnahmen vom Fasten für Kranke, Schwangere und Kinder. Einmal im Jahr, im Oktober, fasten Hindus sechs Tage. Meistens nehmen sie sich dafür Urlaub. Die Enthaltsamkeit soll der Läuterung und Selbstkontrolle dienen. Darüber hinaus wird das Fasten laut hinduistischem Glauben auch als Zeichen des Dankes aufgenommen, um verschiedenen Göttern Freude zu bereiten.

Tempelfest dauert zwei Wochen

Manche Hindus fasten auch aus politischen Gründen. Sie wollen mit ihrem Verzicht auf Nahrung auf Unterdrückung, Verfolgung, Ungerechtigkeiten und Bestechung aufmerksam machen. Damit folgen sie ihrem großem Vorbild Mahatma Gandhi, der auf diese Weise auf Missstände hingewiesen hat.

Beim jährlichen, zwei Wochen dauernden Tempelfest kommen mehr als 25.000 Gläubige und Besucher aus der ganzen Welt, berichtet Viva Sri Arumuga Paskarakurukkal. Es ist das größte Hindufest in Deutschland, bei dem Göttin Sri Kamadchi Ampal schützend ihre Hand über Hamm, Tempel und Kanal hält.

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