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Sharon Fehr kennt sich bestens mit den Ursprüngen, den Regeln und der Bedeutung des Fastens im Judentum aus. Er ist Ehrenvorsitzender und kommissarischer Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Münster.
Was bedeutet Fasten in Ihrer Religion?
Seit biblischen Zeiten spielt das Fasten eine bedeutende Rolle. Der Fastende enthält sich dabei jeglichen Essens und Trinkens. Das Fasten soll den g``ttlichen Zorn besänftigen und den Menschen mit G``tt versöhnen. (Anmerkung der Redaktion: Das Judentum vermeidet aus Ehrfurcht die herkömmliche Schreibweise für das Wort Gott, deshalb wird der Name oft G``tt geschrieben).
Fasten kann ein freiwilliger Akt der Reue sein oder eine religiöse Verpflichtung gemäß dem jüdischen Jahreszyklus. Zudem konzentrieren wir uns durch das Fasten wieder mehr auf unseren Glauben und versuchen, G``tt näherzukommen. Wir sollen uns im Inneren verändern, die Seele reinigen. Fasten ist mehr als nur ein Verzicht auf Essen und Getränke.
Es ist unbedingt an Beten und an Spenden für Bedürftige gebunden. Ohne Gebet und Nächstenliebe wäre Fasten unvollständig.
Welche Regeln gibt es?
Themenwoche: Wie fastet ihr?
Für eine Zeit zu verzichten – auf Essen, Verhalten, Gewohnheiten –, das gibt es nicht nur im Christentum. Kirche+Leben hat mit einem Muslim, einem Juden, einem Hindu und einer Jesidin darüber gesprochen. Klar ist: Immer geht es um mehr als mich selbst.
Die Festtage für das Fasten sind im jüdischen Kalender genau festgelegt. Der strengste Fastentag im Judentum ist der Versöhnungstag Jom Kippur („Tag der Sühne“). An diesem Tag herrscht strenges Arbeitsverbot. Die Kinder und Jugendlichen werden von der Schule freigestellt. Die jüdischen Geschäfte haben den ganzen Tag geschlossen, und auch zu Hause ruht die Arbeit. Sex, Duschen, Rasieren, Baden, Parfümieren und Musikhören sind ebenfalls verboten. Der gesamte Verkehr liegt still. In der Synagoge finden über den ganzen Tag verteilt Gebete und Gesänge statt.
Ein weiterer Fasttag Tisha beAv ist im Juli/August. Wir trauern an diesem Tag 24 Stunden in Erinnerung an die Zerstörung von Salomons Tempel in Jerusalem im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Ein weiteres Mal wurde der Tempel dann 70 nach unserer Zeitrechnung zerstört. Die Regeln des Fastens sind jedoch nicht ganz so streng wie an Jom Kippur, und auch der Aufenthalt in der Synagoge ist nicht ganz so lang.
Ein lockerer Fastentag ist Taanit-Esther (Esther-Fasten), das in den März fällt und vor dem Purimfest (das bedeutet: Los, Schicksal) steht. Es ist ein Fasten in dankbarer Erinnerung an die Errettung des jüdischen Volkes aus drohender Gefahr in der persischen Diaspora (356 vor unserer Zeitrechnung).
Wie halten Sie es mit dem Fasten?
Ich persönlich achte sämtliche Fasttage und deren Vorschriften zu den Festtagen. Ebenso beteilige ich mich aus Solidarität am Fasten am Vorabend von Pessach mit allen Erstgeborenen und habe als religiös praktizierender Jude auch vor der Hochzeit gefastet.
Ich beobachte, dass Fasten hierzulande im Trend liegt, quasi als Mode-Fasten für schlankes und noch schlankeres Aussehen. Doch das hat mit dem Fasten, wie religiöse Juden es praktizieren, nichts gemeinsam.
Dass ich beispielsweise nach einem 24-stündigen Fasten wie am Jom Kippur zwei oder drei Kilo weniger auf die Waage bringe, ist eher ein ungewollter, aber doch auch willkommener Nebeneffekt.