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Wissen ist das beste Mittel gegen Vorurteile und Antisemitismus! Zum Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ erläutert diese Serie Begriffe jüdischen Glaubens – diesmal von Ludger Bornemann, Priester in Münster und langjähriger geistlicher Leiter des Pilgerhospizes Tabgha in Israel.
Purim ist das lustigste Fest in der jüdischen Welt. Wenn es wegen der Corona-Pandemie nicht gerade ausfällt, sollte es in diesem Jahr am 25./26. Februar gefeiert werden: Kinder verkleiden sich, Erwachsene trinken Alkohol. Manchmal auch ein Glas zu viel, was unüblich ist im Judentum. Das spaßige Fest hat einen ernsten Hintergrund. Gefeiert wird, wie Juden in biblischer Zeit mit List und Tücke einem Pogrom, einer Verfolgung, entgingen.
Der biblische Hintergrund ist das Buch Ester. Es ist aus verschiedenen Gründen sehr interessant: Es spielt nicht im Land Israel, sondern in der Diaspora, im persischen Großreich. In diesem Buch werden das erste Mal in der Bibel die Juden „Yehudim“, also die Diaspora-Bezeichnung für Juden, genannt, nicht „Kinder Israels“. Und die ganze Geschichte kommt ohne göttliche Intervention aus: Die Juden retten sich selbst und zwar mithilfe einer List – indem sie selber um ihr Leben kämpfen.
Der biblische Hintergrund
Die biblische Geschichte erzählt, dass der König des persischen Großreichs – ohne es zu wissen – eine jüdische Frau hat, nämlich Ester. Sie hat ihm verheimlicht, dass sie Jüdin ist. Der persische König hat einen Minister, Haman. Der wird wütend, weil der Onkel von Ester, Mordechai, sich nicht vor ihm verbeugt hat. Haman beschließt deswegen, nicht nur Mordechai umzubringen, sondern alle Juden im persischen Großreich.
Es gelingt Ester – weil sie zum Glück an der richtigen Stelle sitzt –, den König dazu zu bringen, dass er den Juden das Recht gibt, sich gegen ihre Feinde zu wehren. Außerdem wird Mordechai noch geehrt, während Haman, der schon einen Galgen hat bauen lassen, an dem Mordechai aufgehängt werden sollte, selber an genau diesem Galgen aufgeknüpft wird. Die Juden dürfen sich gegen ein Pogrom, eine Verfolgung, wehren.
Grund genug für einen über den Durst
Das ist eher eine ernsthafte, brutale Geschichte. Vielleicht hatte sie damals, als sie geschrieben wurde, einen Humor, der sich uns heute nicht mehr so mitteilt. „Wer zuletzt lacht, lacht am besten!“, wird hier erzählt. Und wenn man aus höchster Not gerettet wird, dann ist das doch schon mal ein Grund, einen über den Durst zu trinken.
Im ansonsten nicht sehr dem Alkohol zugetanen Judentum ist das etwas Besonderes. Die Rabbiner sagen, man soll so lange trinken, bis man nicht mehr unterscheiden kann zwischen „Gesegnet sei Mordechai“ und „Verflucht sei Haman“ …
Krach und Kostüme
Neben Alkohol gehört zum jüdischen Purimfest noch etwas: Krach und Kostüme. Beim Gottesdienst in der Synagoge wird die Festrolle des Buches Ester vorgelesen. Immer wenn der Name Haman fällt, soll von den anwesenden Kindern mit Tuten, Rasseln und Ratschen (jiddisch „Grägger“) so viel Lärm wie möglich gemacht werden.
Purim ist für Juden quasi das, was für Menschen in christlich geprägten Gegenden der Karneval ist. Grundprinzip des Karnevals ist die verkehrte Welt, dass alles anders ist als im normalen Leben. Purim ist genauso: Das nüchterne Volk trinkt, weil der Pogrom nicht stattfindet. Stattdessen kann die jüdische Minderheit einen kleinen Pogrom an den Antisemiten ausführen, was auch wirklich nötig war.
„Le Chaim! Auf das Leben!“
Und man verkleidet sich, weil man auch in seiner Kleidung ein anderer ist als im Alltag. Es gibt richtige Purim-Umzüge – da, wo es viele Juden gibt, und da, wo Juden sich das trauen können, auf die Straße zu gehen und zu Purim einen Umzug zu machen.
Ganz früh schon findet man bei Juden eine Reaktion auf die Erfahrungen des Antisemitismus, mit dem sie in ihrer Geschichte immer wieder konfrontiert wurden – bis in die jüngste Vergangenheit hinein. Im Grunde ist Purim eine lustige Art, mit einem Trauma umzugehen.- Da bleibt dann nur noch eines zu sagen: „Le Chaim!“, ein wunderschöner hebräischer Trinkspruch, der übersetzt heißt: „Auf das Leben!“
Der Autor
Ludger Bornemann ist Pfarrer bei der Brüdergemeinschaft der Canisianer in Münster und Geistlicher Leiter des Deutschen Vereins vom Heiligen Land. Von 1996 bis 2016 lebte in Tabgha am See Gennesaret. | Foto: Michael Bönte