Lexikon des Judentums (16)

Jom Kippur – Umkehr und Versöhnung ganz in Weiß

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Wissen ist das beste Mittel gegen Vorurteile und Antisemitismus. Zum Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ erläutert diese Serie Begriffe jüdischen Glaubens – diesmal von Astrid Reuter, Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Münster.

Sabbat Sabbaton (‚Sabbat der Sabbate‘), so bezeichnet die Tora den Versöhnungstag Jom Kippur (Lev 23,32), der am 10. Tischri (im ersten Monat des jüdischen Lunisolarkalenders) gefeiert wird und im gregorianischen Kalender zwischen Mitte September und Anfang Oktober wandert.

Jom Kippur, mit dem eine am Neujahrstag Rosh-Ha-Schana beginnende zehntägige Zeit der Selbstbesinnung, Umkehr und Versöhnung zum Abschluss kommt, gilt als wichtigster jüdischer Feiertag. Hierzulande ist er auf erschütternde Weise durch den Anschlag vom 9. Oktober 2019 auf die Synagoge in Halle, in der die jüdische Gemeinde zu den Jom-Kippur-Feierlichkeiten versammelt war, ins öffentliche Bewusstsein getreten.

 

Tag strengen Fastens

 

Jom Kippur ist von ernster Feierlichkeit geprägt. Es ist ein Tag strengen Fastens, das sich nicht allein auf Nahrungsaufnahme, sondern auch auf Körperhygiene, sexuelle Kontakte oder aufwändige Kleidung bezieht. Idealerweise wird zum Zeichen der Reinheit weiße Kleidung getragen. Der Tora­schrank und die Torarollen in der Synagoge sind an diesem Tag in weiße Tücher gehüllt.

Gemäß jüdischer Tradition, nach der ein Tag mit dem Sonnenuntergang beginnt, entzünden die Feiernden am Vorabend des 10. Tischri in der Dämmerung zu Hause ein Licht für ihre Verstorbenen. Verschiedene Synagogen-G‘‘ttesdienste* erstrecken sich über den Jom Kippur. Am Vorabend wird das Kol Nidre (‚Alle Gelübde‘) gebetet, mit dem sämtliche nicht eingehaltene Versprechen gegenüber G‘‘tt aufgehoben werden.

 

Gedenken an verstorbene Angehörige

 

* Anmerkung der Redaktion: Unsere Autorin verwendet den Gottesnamen in der Schreibweise G“tt aus Respekt vor der jüdischen Glaubenspraxis, den Gottesnamen aus Ehrfurcht nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich nicht auszuformulieren.

Diese Versöhnung mit G‘‘tt sollte die zwischenmenschliche Versöhnung vorangegangen sein; dem dienten die zehn Tage seit Rosh-Ha-Schana. Wenn sich die Gemeinde am frühen Morgen erneut versammelt, wird mit dem Jiskor genannten Gebet der verstorbenen Angehörigen gedacht. Im anschließenden G‘‘ttesdienst wird die Avoda rezitiert, eine Schilderung des einstigen jährlichen Sühnerituals im Tempel in Jerusalem (Lev 16). Dieses vollzog der Hohepriester an Jom Kippur im ‚Allerheiligsten‘ des Tempels (das er nur an diesem einen Tag betreten durfte), um stellvertretend für das Volk Israel G‘‘ttes Vergebung zu empfangen, indem er sämtliche Sünden des Volkes einem Widder (‚Sündenbock‘) übertrug, der anschließend in die Wüste gejagt wurde.

Am Nachmittag wird der jüdischen Märtyrer gedacht; hier wird, wie schon im morgendlichen Jiskor, auch an die Ermordeten der Schoa erinnert. Der Abschlussg‘’ttesdienst heißt Ne’ila (‚Schließung‘), was sowohl auf die Schließung der Tore des Tempels als auch auf die Schließung der ‚Himmelstore‘ verweist und so auf die zentrale Thematik des Jom Kippur (Versöhnung mit G‘‘tt) Bezug nimmt.

Zum Abschluss des Jom Kippur wird – wie auch beim Rosh-Ha-Schana-Fest – das Schofarhorn (Widderhorn) geblasen und feierlich das Fasten gebrochen. Die Vorbereitungen auf das vier Tage später beginnende siebentätige Laubhüttenfest Sukkot können beginnen.

Die Autorin:
Astrid Reuter ist seit 2019 Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Münster.
Astrid Reuter ist seit 2019 Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Münster.

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