Lexikon des Judentums (14)

Der Jüdische Kalender

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Wissen ist das beste Mittel gegen Vorurteile und Antisemitismus. Zum Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ erläutert diese Serie Begriffe jüdischen Glaubens – diesmal von Clemens Leonhard, Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster.

Dieser Artikel erscheint zum 17. Elul 5781. Termine werden im Judentum nach dem Jahr seit der Erschaffung der Welt (5781) und den Tagen (17.) innerhalb eines der zwölf Mondmonate (Elul) angegeben.

Das Jahr beginnt in der (nordeuropäischen) Jahreszeit des Herbstes mit dem Neujahrsfest am 1. und 2. Tischri (oder Tischrei). Die Jahre christlicher (ab der Geburt Christi) und jüdischer Zeitrechnung sind daher nicht deckungsgleich. Die jüdischen Gottesdienste teilen das Jahr in zwei Jahreszeiten. Ab Sukkot wird im täglichen Gebet um Regen gebetet, ab Pesach um Tau. Die Monate entsprechen heute dem berechneten Lauf des Mondes. Sie beginnen und enden um den jeweiligen Neumond. Da die Mondphasen nicht in das Sonnenjahr von ungefähr 365 Tagen passen, wird jeweils nach zwei oder drei Jahren in einem 19-jährigen Zyklus ein Monat, ein zweiter Adar, vor dem Nisan eingeschoben.

 

Siebentagewoche unabhängig von Monaten und Jahren

 

In der Antike setzte der oberste jüdische Gerichtshof in Jerusalem den Beginn des jeweils neuen Monats aufgrund der Beobachtung des neuen Mondes fest. Zu Beginn des Monats konnte man sich melden und bezeugen, dass man die Sichel des Mondes gesehen hatte. Daraufhin sandte der Gerichtshof Boten aus, die über den Beschluss berichteten. Da die Boten nicht immer und auch nicht absolut zuverlässig die Diaspora erreichen konnten, gilt als Erinnerung an diese Methode bis heute, dass in der Diaspora (zum Beispiel in Deutschland) zur Sicherheit die Feste (mit Ausnahme des Versöhnungstags) an zwei Tagen gefeiert werden.

Vollkommen unabhängig von Monaten und Jahren läuft die Siebentagewoche, die mit dem Sonntag beginnt. Der Wochenzyklus ist von astronomischen Beobachtungen unabhängig. Die Schriftrollen vom Toten Meer bezeugen einen Kalender, der auf der Grundlage der Siebentagewoche ein 364-tägiges Jahr einrichtet. Es bestand aus vier Quartalen zu je 91 Tagen, die zu jeweils drei Monaten à 30 Tagen einen Zusatztag enthalten.

Die exakt 52 Wochen des Jahres stellen sicher, dass alle Feste immer auf denselben Wochentag fallen. Das einzelne Jahr und die globale Zeitrechnung dieses Kalenders beginnen mit dem Mittwoch, an dem nach Gen 1,14 die Gestirne als Voraussetzung jeder Zeitrechnung erschaffen wurden. Es ist nicht klar, ob der Kalender an das Sonnenjahr angepasst wurde. Ohne Ausgleich wären Pesach und Sukkot nach einem guten Jahrhundert gegenüber den Jahreszeiten vertauscht.

 

Kalender bleiben menschliche Erfindungen

 

Der 364-tägige Kalender, der weder vom Lauf des Mondes noch der Sonne abhängt, hat sich im Judentum nicht durchgesetzt. Die astronomischen Beobachtungen und Berechnungen lassen die Kalender als naturgegeben erscheinen. Der Blick auf den jüdischen (und andere) Kalender erinnert daran, dass sie menschliche Erfindungen sind.

Dieser Artikel erscheint zum 25. August 2021 n. Chr. Das liegt nicht nur an den Sternen und nicht nur an der Qualität des in Deutschland verbreiteten Kalenders. Es liegt daran, dass sich christliche Menschen mit Gewalt gegen andere durchgesetzt haben. Am 1. Tischri 5782 (7. September 2021) ist trotzdem Neujahr.

Der Autor
Clemens Leonhard ist Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt unter anderm die Liturgie des Judentums.
Clemens Leonhard ist Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt unter anderm die Liturgie des Judentums.

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