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Ist der Kollaps der Altenpflege noch aufzuhalten? Beim Tag der Altenpflege in Cloppenburg gibt Alters-Forscher Thomas Kalwitzki Antworten. Er schlägt einen Systemwechsel vor. Kirche+Leben hat ihn befragt.
Herr Kalwitzki, das Thema des Tages der Altenpflege lautet: „Es muss sich etwas verändern, damit etwas bleibt“ Warum muss sich in der Altenpflege etwas verändern?
Weil wir einen doppelten demografischen Effekt haben: eine steigende Anzahl älterer Menschen und daneben eine abnehmende Anzahl von Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Diese Entwicklungen passen schlecht zusammen und werden immer mehr zum Problem.
Was ist in den letzten 20, 30 Jahren falsch gelaufen?
Mein wesentliches Unverständnis bezieht sich auf den Umgang der Politik mit der demografischen Entwicklung. Denn im Prinzip ist spätestens seit 1975 absehbar, was passieren wird. Man wusste lange: Das Pflegedrama kommt auf uns zu, aber es ist ja noch nicht da. Deshalb floss das Geld zunächst woanders hin. Und das arbeiten wir gerade nach.
Und was muss sich verändern?
Zum einen: Ambulante Pflege zu Hause muss für pflegende Angehörige besser vereinbar sein mit dem Rest ihres Lebens. Zweitens: Für professionell Pflegende müssen wir attraktivere Arbeitsbedingungen schaffen, damit möglichst viele sich für Pflege als Arbeitsfeld entscheiden und bleiben. Aus Studien wissen wir: Die Pflegenden selber sind eigentlich ziemlich überzeugt von ihrem Beruf. Aber sie sagen: „Die Arbeitsbedingungen sind so schlecht, dass ich das nicht auf die Dauer machen kann.“ Das tut dem Beruf nicht gut.
Geht es dabei in erster Linie um bessere Bezahlung?
Lange Jahre war die Frage der gerechten Entlohnung die Hauptfrage. Da muss man aber fairerweise sagen: Da ist in den letzten fünf bis zehn Jahren sehr viel passiert. Das kann also eigentlich nicht mehr das Hauptargument sein. Auch wenn es immer noch einen Unterschied gibt zwischen Kranken- und Altenpflege. Altenpflegerinnen und Pfleger bekommen immer noch ein paar hundert Euro weniger, bei jetzt gleicher Ausbildung.
Um was geht es denn noch?
In erster Linie um gute Arbeitsbedingungen. Pflegende wollen qualitativ so pflegen können, wie sie es mal gelernt haben. Und der Job muss zu ihrer Lebensphase passen. Deshalb ist ein Punkt familiengerechte Dienstplanung. Wo Mitarbeiter später anfangen können, wenn die Kinder vorher versorgt werden müssen. In anderen Branchen geht das, nur in der Pflege heißt es meistens: „Das ist unmöglich. Wir müssen ja Schichtdienst machen.“ Da brauchen wir neue Konzepte.
Warum sollten Arbeitgeber daran interessiert sein, hier neue Wege zu gehen?
Weil das letztlich in ihrem Sinne ist. Denn von der Zahl der Pflegekräfte hängt es ab, wie viele Pflegebetten sie anbieten können. Und wenn die Frage lautet „Wie bekomme ich gute Pflegekräfte?“, dann lautet die Antwort: „Indem ich gute Arbeitsbedingungen biete.“
Pflege muss aber auch für Pflegebedürftige bezahlbar bleiben…
Die Kosten für Langzeitpflege bestehen zu rund 85 Prozent aus Personalkosten. Wenn die Lohnkosten um zehn Prozent steigen, wird nach dem jetzigen System der Gesamtpreis um 8,5 Prozent höher. Das ist sehr viel und wird von den Pflegebedürftigen getragen.
Die Erhöhungen gehen also zu einem großen Teil zulasten der Pflegebedürftigen oder des Sozialamts?