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Eine Woche nach Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens hat Kardinal Reinhard Marx vor Journalisten Stellung bezogen. Und ist auch dabei ziemlich mutlos geblieben, findet Jens Joest.
Reinhard Marx ist mit seiner Reaktion auf die Münchner Missbrauchsstudie gescheitert. Seine Erklärung hat gute Ansätze, ihr fehlt aber Mut zur Konsequenz.
Ein Rücktritt hätte Zeichen gesetzt. Auch angesichts des unbeschreiblichen Leids der Betroffenen sexualisierter Gewalt. Erst recht, wenn der Erzbischof seinen Schritt durchgezogen hätte.
Strukturelle Verantwortung
Man stelle sich vor, Marx hätte erklärt: „Heiliger Vater, tun Sie mit mir, was Sie wollen. Nur in diesem Amt bleibe ich nicht. Ich übernehme strukturelle Verantwortung. Dazu gehört, dass ich gehe.“
Im Juni 2021 hatte der Erzbischof genau das überlegt. Das – später abgelehnte – Angebot seines Amtsverzichts war mit struktureller Mitverantwortung begründet. Gilt das heute nicht mehr? Gilt es nicht umso mehr, da das Gutachten Marx auch persönlich Fehler nachweist? Und ein Gutachten für Marx' früheres Bistum Trier noch gar nicht vorliegt?
Kein Amtsverzicht, kein Ungehorsam
Ein konsequenter Amtsverzicht wäre womöglich ungehorsam gewesen. Aber hätte sich der Papst auf Dauer widersetzt? Wenn einer seiner engsten Berater im „Kardinalsrat“ – von Franziskus selbst berufen – unbeirrbar bleibt?
Ein weltweiter Donnerschlag wäre das, keine Frage. Ein Präzedenzfall, der den Druck auf andere Bischöfe erhöht hätte. Aber muss denn noch mehr passieren als der monströse Skandal sexualisierter Gewalt, bis ein Rücktritt angemessen erscheint?
Ende der einsamen Entscheidungen
Er klebe nicht am Amt, so Marx. Immerhin. Und sagt: Falls er oder andere den Eindruck gewinnen, er sei bei der Aufarbeitung eher Hindernis als Hilfe, dann werde er mit Betroffenen und Gremien über seine Zukunft sprechen.
„Keine einsamen Entscheidungen mehr“, heißt das. So synodal ist der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki noch nicht.
Das alte „System“ Kirche nicht infrage gestellt
Im Juni wollte Marx gehen, diesmal verzichtet er auf einen Paukenschlag. Er bleibt „zahm“ – so löblich es ist, ein persönliches Schuldbekenntnis abzugeben.
Eine Woche hatte Marx Zeit, das Gutachten zu lesen. Dass es weitere Schritte der Aufarbeitung geben wird, ist selbstverständlich und als Botschaft zu wenig. Sie stellt nicht die Handlungs- und nicht die Entscheidungsweise (warum muss der Papst einem Rücktritt zustimmen?) der Institution infrage. Dabei ist das alte „System“ Kirche im Missbrauchsskandal endgültig gescheitert.