Themenwoche: Keine Angst vor der Leere (3)

Leere Kirche in Selm: Freiraum für Ungewöhnliches

Chinesisches Qigong unterm romanischen Gewölbe: Das Projekt „Frei:Raum“ in der Friedenskirche in Selm macht es möglich. | Video: Michael Bönte

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Für die Fastenzeit sind die Bänke aus der Friedenskirche in Selm (Kreis Unna) verschwunden. Die ungewohnte Kulisse lädt zu neuen Wegen ein. Die durchaus ungewöhnlich sein können.

Das kommt unerwartet: Als sich die Außentür zur Friedenskirche in Selm öffnet, ist fernöstliche Meditationsmusik zu hören. Eine leise Stimme animiert zu fließenden Bewegungen. Die Arme der Menschen im Kirchraum kreisen in der Luft. Eine Stunde Qigong steht auf dem Programm. Kein Gottesdienst, keine Chormusik, kein Sakrament – sondern eine Stunde Entspannungstechnik aus der chinesischen Medizin.

Möglich ist das nur, weil Platz dafür geschaffen wurde. Das Seelsorgeteam der Pfarrgemeinde St. Ludger hat die Kirche leergeräumt. Für die Fastenzeit sind die Bänke und alles Bewegliche verschwunden. Ein „Frei:Raum“ ist entstanden – so heißt die Aktion. „In der Fastenzeit verzichten wir auf etwas und sorgen dafür, dass Raum entsteht für etwas Neues“, erklärt Pfarrer Claus Themann die Idee. „Wir haben deshalb hier die Möglichkeit geschaffen, anderes in einer Kirche auszuprobieren.“

Aufforderung für Neues

Themenwoche: Keine Angst vor der Leere
Wir wagen in dieser Woche einen Perspektivwechsel. Es fehlt nicht unbedingt etwas, wenn die Bänke aus einer Kirche geräumt oder Bilder verhüllt sind, im Gegenteil. Auch ein Tag ohne Termine und Verpflichtungen kann bei der Suche nach einem neuen Blick auf das Leben und die Welt helfen. Vier Beispiele stellen wir vor.

Es ist eine Aufforderung, sich noch einmal neu auf den Weg zu machen. Die Möglichkeiten dafür sind vielfältig. Kein Tag vergeht, an dem die freigewordene Fläche nicht genutzt wird. Referate, Exerzitien und Lesekreise gehören dazu. Aber auch eine „Kopfhörerparty“, bei der die Musik quasi lautlos zum Tanzen animiert. Oder ein Escape-Room, eine Art Krimi-Rate-Spiel, eine nächtliche Licht- und Musik-Installation und ein Fasten-Essen an einer langen Tafel sind im Angebot.

„Es ist schön, dass sofort so viele auf das Projekt aufgesprungen sind“, sagt Pastoralreferentin Nicole Thien. Bunt, für kleine und große Gruppen, für jedes Alter – der Kreativität der zumeist ehrenamtlichen Helfer wurden keine Grenzen gesetzt. Das Konzept begeistert die Menschen. „Wow, wir erleben den Kirchraum einmal anders“, beschreibt sie Reaktion der Teilnehmer. Und: „Wir erleben einen plötzlich riesig wirkenden Raum, den wir selbst gestalten können und Glauben einmal anders erleben dürfen.“

Menschen werden neu angesprochen

So wie beim Qigong, zu dem etwa 40 Teilnehmende gekommen sind. Die Musik fließt ruhig durch den leeren Raum und hallt im romanischen Gewölbe wider. „Das ist schon eine außergewöhnliche Atmosphäre“, sagt Jens Lütke. Der Protestant kennt die Meditations-Kunst bereits, nicht aber in einer katholischen Kirche. „Ich glaube, dass von einer solchen Idee auch Menschen angesprochen werden, die sonst nicht den Weg hierher finden würden.“

Auch Kathrin Buhl ist am Ende der Meditation begeistert. Die Heilpraktikerin hat das erste Mal Qigong in einer solchen Kulisse angeboten. „Ich habe nicht das Gefühl gehabt, dass wir den Raum hier zweckentfremdet haben“, sagt sie. „Es ist ja auch ein Verbinden von Menschen – ein Miteinander, das sich die Kirche ja wünscht.“

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