Themenwoche: Keine Angst vor der Leere (1)

So wichtig ist Bischof Overbeck ein leerer Tag - zum Beispiel in Gerleve

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Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck verordnet sich regelmäßig einen „leeren Tag“. Warum das für ihn eine wichtige Unterbrechung ist und wobei ihm das hilft.

Bischof eines Bistums, Militärbischof, Adveniat-Bischof: Wie voll ist Ihr Kalender? Könnten Sie uns eine Vorstellung Ihres Wochenpensums vermitteln?

Wenn ich alle Termine und die Zeit zusammenrechne, die ich an meinen Schreibtischen mit vorbereitenden Arbeiten verbringe, dann komme ich wöchentlich auf ein sehr hohes Arbeitspensum. Dankenswerterweise bin ich in der Situation, dass ich mich mit Blick auf weitere Tätigkeiten, wie zum Beispiel die anfallende Haushaltsarbeit, auf meine Mitarbeitenden im Bischofshaus verlassen kann. Sonst wäre mein Wochenpensum, das so bereits sehr viel Disziplin erfordert, langfristig gar nicht möglich.

Dennoch verordnen Sie sich regelmäßig einen „leeren Tag“. Warum?

Die bewusst gesuchte Erfahrung von Leere kann etwas wahrhaft Kraftgebendes und Befreiendes haben, das in einem positiven Sinne auch manches relativiert. Diese Gewissheit ist nicht spezifisch christlich, sondern steht religionsübergreifend im Zentrum vieler unterschiedlicher spiritueller Traditionen. Ich bin stark in der christlichen Mystik beheimatet, die überaus viele spirituelle Schätze bereithält, die uns dabei helfen können, unserer Existenz als Mensch wirklich zu begegnen. Der Jesuit Michel de Certeau hat einmal gesagt, dass Gott nicht damit aufhört, uns in unserer Sehnsucht, ihn „zu fassen“ zu kriegen, ins Leere laufen zu lassen. Er lässt uns ins Leere laufen – denn wir erwarten Gott oft nicht da, wo er sich erweist. Leere bringt auch spirituell eine Mehrdeutigkeit mit sich, die im Alltag oft nur schwer zu erfahren beziehungsweise auszudeuten ist.

Wie sieht ein solcher leerer Tag aus? Worauf kommt es dabei besonders an?

Auch dieser Tag braucht eine feste Struktur, etwa in Form von feststehenden Gebetszeiten. Für mich ist es auch entscheidend, einen solchen leeren Tag nicht in meiner gewohnten Alltags- und Arbeitsumgebung zu verbringen, sondern einen Ort zu wählen, der es wirklich auch zulässt, Leere bewusst zu erleben. Oft ist das für mich zum Beispiel die Benediktinerabtei Gerleve.

Was bewirkt ein solcher Tag in Gerleve bei Ihnen? Wie nachhaltig ist er?

Ein solcher Tag ist zunächst einmal eine wichtige Unterbrechung, die mir neben der persönlichen Bedeutung auch dabei hilft, viele der Herausforderungen zu ordnen, denen ich mich als Bischof alltäglich zu stellen habe. Aber das ist gar nicht intendiert, sondern geschieht, wenn man so will, in der „Ergebnisoffenheit“ der Leere. Ich weiß deshalb nicht, ob die Frage nach Nachhaltigkeit hier die richtige Kategorie ist, denn das würde diesen leeren Tag wieder in die Funktionszusammenhänge meines Alltags stellen. Und das möchte ich ganz bewusst nicht, um den Charakter dieses Tages erhalten zu können.

Welchen Rat geben Sie Menschen, die sich einen solchen Tag wünschen, den Wunsch aber nur schwer realisiert bekommen?

Die Benediktinerabtei Gerleve beschreibt sich selbst als ein Ort christlicher Gottsuche, des Gebets und der Gastfreundschaft. Das kann ich nur bestätigen und es gilt auch für viele andere Orte christlichen Lebens, an denen solche Tage gut möglich sind. Gerade, wenn Sie sich einen solchen Tag wünschen und nach einer Form suchen, die zu Ihnen passt, empfiehlt sich oft das direkte Gespräch mit bekannten Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die meist entsprechende Orte kennen oder Ansprechpartner vermitteln können. Gerade dann, wenn man persönlich das Gefühl hat, den Wunsch alleine schwer realisieren zu können, ist eine anfängliche Begleitung sinnvoll.

Themenwoche: Keine Angst vor der Leere
Wir wagen in dieser Woche einen Perspektivwechsel. Es fehlt nicht unbedingt etwas, wenn die Bänke aus einer Kirche geräumt oder Bilder verhüllt sind, im Gegenteil. Auch ein Tag ohne Termine und Verpflichtungen kann bei der Suche nach einem neuen Blick auf das Leben und die Welt helfen. Vier Beispiele stellen wir vor.

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