Kommentar von Markus Nolte zur Umfrage in deutschen Klostergemeinschaften

Missbrauchs-Bericht der Orden: Ein ziemlich später, vager Anfang

Zehn Jahre nachdem ein Jesuitenpater den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland aufgedeckt hat, legen die Orden Umfrageergebnisse über Missbrauch in ihren Reihen vor. Sehr spät, sagt Chefredakteur Markus Nolte im Kommentar.

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Zehn Jahre nachdem ein Jesuitenpater den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland aufgedeckt hat, legen die Orden Umfrageergebnisse über Missbrauch in ihren Reihen vor. Sehr spät, sagt Chefredakteur Markus Nolte in seinem Kommentar. Das kann und darf nur ein Anfang sein.

Es kann – schlimm genug – niemanden ernsthaft überraschen, dass Kinder und Schutzbefohlene auch in Klös­tern und ihren Einrichtungen missbraucht wurden. Dass die Ordensgemeinschaften spät, aber immerhin jetzt einen eigenen Vorstoß gemacht haben, um Licht in dunkle Klostergeheimnisse zu bringen, ist zwar löblich.

Aber man fragt sich, warum das erst zehn Jahre nach dem Aufdecken des Missbrauchsskandals durch einen Ordensmann an einem Ordenskolleg, Pater Klaus Mertes, angegangen wurde. Diese Art von Schweigen bringt den hohen Wert der Stille in Verruf. Sich nicht in die Karten schauen zu lassen, beleidigt die hohe Bedeutung klösterlicher Klausur als Raum der Sammlung, nicht des Vertuschens. 

 

Wo sind die Orden als prophetisches Korrektiv?

 

Zudem bleibt der Bericht in vielem vage, ungenau und merkwürdig vorsichtig: Der Zeitraum für die Erfassung von Missbrauchsfällen wurde nicht definiert, Nennungen beruhen teils auf kaum objektivierbaren Erinnerungen, und völlig unberührt ist die Frage, wer wann was wusste, meldete – oder verschwieg.

Wie kann es sein, dass ausgerechnet die Orden, die immer auch als prophetisches Korrektiv der bischöflich verfassten Kirche wichtig waren, so lahm hinterherhinken, merkwürdig verhalten und mutlos wirken, wenn es um die Auseinandersetzung mit der eigenen Missbrauchsgeschichte geht? 

 

Wo die Orden Vorbild sind

 

Ein Grund mag sein, dass die Orden massiv Mitglieder verlieren, überaltern und daher nicht mehr zu einer profunden Aufarbeitung im Stande sind. Umso respektabler, dass die Gemeinschaften mehr als vier Millionen Euro an „Zahlungen in Anerkennung des Leids“ an Betroffene geleistet haben – aus eigenen Rücklagen, nicht aus Kirchensteuermitteln, wohlgemerkt! Darin dürften sie den Bis­tümern Vorbild sein.

Doch die Klöster sind es allemal den Betroffenen schuldig, dass sich die Ordensmänner und -frauen damit auseinandersetzen, wie auch ihre Gelübde Keuschheit und Gehorsam zu Strukturen beitragen, die Missbrauch ermöglichen. Das darf weder an Mitteln und Möglichkeiten scheitern noch daran, dass sich Gemeinschaften nicht reinreden oder -blicken lassen wollen. Wenigstens die Lektion sollten nach zehn Jahren alle gelernt haben. 

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