Christian Germing zur Bedeutung des Dienstes am Nächsten

Nächstenliebe öffnet Augen - was die Kirche von der Caritas lernen kann

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Die katholische Kirche befindet sich in einer schweren Krise. Um aus dem Ab- wieder einen Aufschwung zu machen, sollte sich die Kirche auf den Dienst am Nächsten besinnen, erklärt Caritasvorstand Christian Germing in seinem Gast-Kommentar.

Vor zehn Jahren endete das Pontifikat von Papst Benedikt XVI.. In Erinnerung bleibt mir Benedikt XVI. neben seinem Besuch beim Weltjugendtag 2005 in Köln durch seine Enzyklika „Deus caritas est“. Die Enzyklika betont die Bedeutung der gelebten Nächstenliebe. „Der Liebesdienst ist für die Kirche nicht eine Art Wohlfahrtsaktivität, (…) sondern er gehört zu ihrem Wesen, ist unverzichtbarer Wesensausdruck ihrer selbst.“

Der Weltjugendtag und die Enzyklika fallen rückblickend in eine andere Zeit. Der erhoffte Aufschwung durch den Weltjugendtag blieb aus. Stattdessen befindet sich die Kirche nach dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in einer kolossalen Krise. Galt lange die demografische Entwicklung als Grund für den Rückgang der Mitgliederzahl, so überstieg im Jahr 2021 erstmals die Zahl der Austritte die Todesfälle. Und für das Jahr 2022 wird ein neuer – trauriger – Höhepunkt erwartet.

Gottesliebe und Nächstenliebe untrennbar

Der Autor
Christian Germing ist seit 2018 Vorstand des Caritasverbandes für den Kreis Coesfeld e.V.

Vor diesem Hintergrund hat die Bistumsleitung einen Strukturprozess begonnen, der zur Bildung neuer „pastoraler Räume“ führen soll. Die Notwendigkeit einer Anpassung der Struktur einer schrum­p­fenden Kirche ist nicht wegzudiskutieren. Auf eine zentrale Frage gibt der Strukturprozess aber keine Antwort: Wie erreichen wir als Kirche die Menschen mit der Botschaft Jesu?

Bei einem „Zwischenhearing“ im Strukturprozess gab es jüngst eine interessante Antwort. Auf die Frage, welche Eigenschaft ihnen für die Kirche wichtig ist, wurde am häufigsten „diakonisch“ genannt. Da lohnt ein Blick in die Enzyklika: „Nur meine Bereitschaft, auf den Nächsten zuzugehen, ihm Liebe zu erweisen, macht mich auch fühlsam Gott gegenüber. Nur der Dienst am Nächsten öffnet mir die Augen dafür, was Gott für mich tut und wie er mich liebt. […] Gottesliebe und Nächstenliebe sind untrennbar.“

Raus auf die Straße

Markus Nolte, Chefredakteur von „Kirche-und-Leben.de“, hat es bei einem Vortrag so formuliert: „Der Einsatz für die anderen, die Schwachen, Kranken und Ausgegrenzten – das ist der Ernstfall des Glaubens.“ Die Kirche ist heilig, wenn sie heilsam ist und als heilsam erfahren wird. „Dazu muss sie aus ihrem heiligen Bezirk hinaus. Raus auf die Straße, ins Schmutzige, in die Welt.“

Als Caritas sind wir in diesem Sinne „heilsam“, nicht nur für die Menschen, die wir in unserer Arbeit begleiten. Als Caritas können wir auch heilsam für die Kirche sein.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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