Treffpunkt an der Clemenskirche in Münster

Obdachlose feiern St. Martin mit deutlicher Botschaft

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Als sich Gäste und Helfer des Treffpunkts für Obdachlose an der Clemenskirche in Münster zum Martins-Spiel treffen, wird das zu einer deutlichen Botschaft in die Stadt.

Das ist kein klassischer Martins-Umzug: Es fehlen der Reiter hoch zu Ross, das große Lagerfeuer und die vielen Kinder mit ihren Laternen. Stattdessen stehen zwei Dutzend Menschen um eine Feuerschale, der Heilige reitet auf einem selbst gebastelten Steckenpferd, ein Kinder-Lichtschwert am Gürtel. Und doch ist die kleine Feier im Park vor der Clemenskirche in Münster viel näher an der Legende von St. Martin als so viele andere Veranstaltungen in diesen Tagen.

Gäste und Mitarbeitende des Obdachlosentreffs an der Clemenskirche sind gekommen, singen zusammen das Martinslied, hören ein Gedicht und teilen sich gezuckerte „Martinsbrezel“. Wenig Spektakel, aber viel Symbolik. „Ich fühle mich oft selbst wie der Bettler in der Legende“, sagt Michael. „Ich bin obdachlos und sehne mich immer nach Wärme.“ Auf einen Heiligen, der an der Situation grundlegend etwas ändere, warte er nicht, so der 63-Jährige. „Aber vielleicht werden die verantwortlichen Politiker ja mal wach und schaffen mehr Wohnraum.“

Der Politiker als Bettler

Den Bettler, der ein Stück vom roten Umhang bekommt, nachdem das Plastikschwert diesen durchtrennt hat, spielt Richard Halberstadt. Er ist Sozialpolitiker und saß lange im Stadtrat von Münster. Heute arbeitet er ehrenamtlich im Obdachlosentreff. „Diese Feier soll auch eine deutliche politische Ansage sein“, sagt er. „Wir brauchen mehr Angebote für Menschen in Not und ohne Wohnsitz.“ Diese Forderung dürfe aber nicht nur von den wenigen um die Feuerschale formuliert werden. „In unserer so reichen Stadt müssen viele immer wieder Zeichen setzen, damit den Worten Taten folgen.“

Die Form der Botschaft, die von diesem Feuer ausgeht, gibt es noch keine zwei Jahre, hat aber schon eine kleine Tradition. „Als zum Ende der Pandemie Unterkünfte und Suppenküchen für Obdachlose geschlossen wurden, haben wir uns das erste Mal hier versammelt“, sagt Matthias Eichbauer, der den Treffpunkt leitet. „Wir waren richtig sauer.“ Es war kein Martinstag, sondern der 1. April 2022. Viele seiner Gäste wussten damals nicht, wohin sie so plötzlich sollten. „Der Tag hatte viel Kälte, nicht nur durch ihre Situation, auch weil es schneite.“

Wärme gegen den Frust

Der Kreis um das Feuer spendete damals im übertragenen Sinn die Wärme der Gemeinschaft, erinnert sich Eichbauer. „Die Menschen wärmten sich aber auch tatsächlich ihre Hände an den Flammen.“ Genau ein Jahr später trafen sie sich an gleicher Stelle wieder. Da war der große Frust über die damalige Situation nicht wirklich gewichen. „Zwar wurden in der Stadt viele Diskussionen und Kooperationen angestoßen – die Not der Menschen ist aber nicht kleiner geworden.“

Das ist auch an diesem St.-Martins-Tag so. Die Forderung nach weiteren Suppenküchen und Unterkünften, die von öffentlichen Geldern mitfinanziert werden, ist heute noch so aktuell wie beim ersten Treffen um die Feuerschale. Dieses Mal unterstützt die Geschichte des Heiligen die Botschaft. Ohne echtes Pferd, ohne Lichterzug und ohne Musikkapelle. Und gerade deswegen besonders eindringlich.

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