Zwischen abgelehnten Rücktritten, Segnungsfeiern und Frauen in Spitzenämtern

Jahresrückblick in Bildern: 2021 und die Kirche in Deutschland

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In Deutschland prägte die Missbrauchs-Krise das Jahr, vor allem im Erzbistum Köln. Wie es dort nach der Auszeit des Kardinals weitergeht, ist offen. Für Lichtblicke sorgten Frauen – in einigen Spitzenpositionen und als Engagierte an der Basis.

Wo steht die katholische Kirche in Deutschland am Ende des Jahres 2021? An einem toten Punkt, wie der Münchner Kardinal Reinhard Marx formulierte, oder an einem Abgrund? Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck fühlt sich an die Zeit kurz vor der Reformation erinnert: Er frage sich, ob der Missbrauchsskandal nicht heute eine ähnliche Rolle spielen könnte wie der Ablassskandal.

Die Theologen Hans-Joachim Sander und Rainer Bucher sehen die Kirche an einem „Kipppunkt“. Der Begriff aus der Klimaforschung beschreibt einen Moment, in dem ein System so instabil wird, dass es in einen neuen Zustand umschlägt.

Statistiken untermauern das: Laut dem im Sommer vorgestellten „MDG-Trendmonitor“ zur religiösen Kommunikation hat mehr als ein Drittel der Katholiken bereits an Austritt gedacht. Die Kirchenbindung nimmt in hohem Maße ab – selbst bei jenen, die sich bislang in den Gemeinden engagierten.

Das zeigt auch die Zahl der Kirchenaustritte: 2020 kehrten bundesweit 221.390 Personen der katholischen Kirche den Rücken – der zweithöchste je gemessene Wert.

Kölner Entscheidungen

Treiber der Verunsicherung sind die Vorgänge um die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt vor allem im Erzbistum Köln. Papst Franziskus verordnete Erzbischof Rainer Maria Woelki nach einer Apostolischen Visitation eine mehrmonatige Auszeit – wegen schwerer Fehler in der Kommunikation und im Umgang mit der Vertrauenskrise.

Die beiden durch Pflichtverletzungen belasteten Kölner Weihbischöfe Dominikus Schwaderlapp und Ansgar Puff beließ der Papst – wie auch den Hamburger Erzbischof Stefan Heße – im Amt. Zuvor hatte der Papst im Juni bereits das Rücktrittsangebot von Marx abgelehnt. Marx hatte ein Zeichen persönlicher Verantwortung und Betroffenheit für die Missbrauchsfälle setzen wollen.

Enttäuschte Erwartungen

Mit großer Spannung erwartet worden war das von Woelki in Auftrag gegebene und am 18. März vorgestellte Missbrauchsgutachten der Kanzlei Gercke für das Erzbistum Köln: Es weist Heße elf Pflichtverletzungen im Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt nach, Schwaderlapp acht und Puff eine. Woelki hat sich laut Gutachten keine Pflichtverletzung zuschulden kommen lassen.

Die Entscheidungen des Papstes befeuerten eine Debatte darüber, wer in der Kirche wie Verantwortung für Fehlverhalten übernimmt. Bei den Laien lösten die Papst-Entscheidungen Entsetzen aus: Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, sagte, er hätte erwartet, dass Franziskus der Kirche zu einem Befreiungsschlag verhilft.

Bätzing, der Werber für Reformen

Angesichts der Kölner Wirren hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, erheblich an Profil gewonnen. Schien er sich anfangs eher als Moderator zu verstehen, wirbt er mittlerweile für weitreichende Veränderungen und nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er den Umgang des Vatikans mit der Kirche in Deutschland kritisiert.

Bätzing plädiert unter anderem für eine Änderung des Katechismus in Fragen der Homosexualität. Er wünscht sich Segnungen für Paare, die nicht kirchlich heiraten können. Und räumt ein, es werde immer schwieriger, das Verbot der Diakonen- und Priesterweihe für Frauen zu begründen. In Rom und auch international hat Bätzing begonnen, mit theologischen Argumenten für deutsche Reformprojekte wie den Synodalen Weg zu werben.

„Liebe gewinnt“

Währenddessen durchlebte die Kirche in Deutschland Tage organisierten Ungehorsams: Im Zug der Aktion „Liebe gewinnt“ gab es im Mai bundesweit 110 Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare – eine klare Gegenposition zu der im März veröffentlichten Erklärung der Glaubenskongregation, die Kirche habe keine Vollmacht, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu segnen.

Beim Ökumenischen Kirchentag im Mai wurden Protes­tanten zur Eucharistie eingeladen. Katholische Frauen organisierten einen bundesweiten „Predigerinnentag“.

Sorge im Vatikan, Synodaler Rat in Deutschland

Aus dem Vatikan, dem Ausland und durch Konservative in Deutschland wurden Sorgen laut, die Deutschen seien auf dem Weg in eine Nationalkirche. Bätzings Antwort: Man könne nicht immer auf den Letzten warten. Die Kirche müsse auch darauf achten, dass der Graben zwischen ihr und der jeweiligen Kultur nicht immer größer werde.

In diese Richtung bewegt sich der Reformdialog Synodaler Weg, der sich im September in Frankfurt zur zweiten Synodalversammlung traf. Für die 13 Papiere, die in Erster Lesung beraten wurden, lagen die Zustimmungsraten zwischen 76 und 92 Prozent. Gefordert wird unter anderem eine Demokratisierung der Kirche, Rechtswege für einzelne Katholiken gegenüber der Hierarchie und die Mitwirkung von Nichtgeweihten in einem bundesweiten „Synodalen Rat“.

Frauen an der Spitze

Darüber hinaus sollen neue theologische Fundamente für das Priestertum gesucht werden – eine Forderung, die in Rom Besorgnisse auslöste, weil sie dort von manchen als Startschuss für eine Debatte über eine Abschaffung des sakramentalen Priestertums gedeutet wurde. Verabschiedet sind all diese Papiere noch lange nicht – dies kann erst nach einer Zweiten und Dritten Lesung 2022 geschehen.

Derweil setzte die Kirche ihr Vorhaben um, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Mit Beate Gilles übernahm im Juli erstmals eine Frau die Leitung des Sekretariats der Bischofskonferenz in Bonn. Im November wurde Eva Maria Welskop-Deffaa zur ersten Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes gewählt. Wenig später wählte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken Irme Stetter-Karp zu seiner Präsidentin.

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