Interview mit dem Leiter des Priesterseminars in Münster, der nach zwölf Jahren aufhört

Scheidender Regens Niehues will neue Form des Priesterseins probieren

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Zum 31. August scheidet Hartmut Niehues nach zwölf Jahren als Regens des Priesterseminars Borromaeum in Münster aus. Sein Weg wird ihn voraussichtlich in die Seelsorge einer Pfarrgemeinde führen. Wie ist sein Blick auf den Priesternachwuchs, Klerikalismus und die Kirche der Zukunft, hat ihn „Kirche-und-Leben.de“ gefragt.

Herr Niehues, nach zwölf Jahren, warum ist es jetzt Zeit, die Aufgabe des Regens abzugeben?

Ich habe Bischof Felix vor zwei Jahren gesagt, dass es nach zehn Jahren in dieser Aufgabe an der Zeit ist, über einen Wechsel nachzudenken. Nicht, weil mir die Arbeit im Borromaeum keine Freude mehr gemacht hätte – ganz im Gegenteil! Aber es braucht nach einer gewissen Zeit einen Wechsel – für das Priesterseminar und genauso auch für mich persönlich. Zwei Jahre später ist es jetzt so weit. Und dabei gilt für mich: Vom Kopf her ist es klar, dass ein Wechsel angebracht ist. Vom Herzen her fällt mir der Abschied nicht leicht – da bin ich ganz ehrlich.

Was hat Ihnen Freude bereitet?

Die Arbeit mit jungen Menschen, die dabei sind, ihren Lebensweg zu entdecken – mit Gott. Es ist einfach großartig zu erleben, wie junge Menschen sich entwickeln. Mit welchen Fragen sie unterwegs sind und welche Antworten sie finden. Dafür das Konzept des Priesterseminars so umgestalten zu dürfen, wie wir es heute haben, war bei aller Herausforderung eine riesige Freude. Heute gehören zu unserer Hausgemeinschaft ganz unterschiedliche Menschen: Priesterkandidaten, Studierende verschiedenster Fächer, Frauen und Männer im Sprachenjahr, im Freiwilligen Sozialen Jahr. Dazu noch Menschen auf der Flucht, ehemalige Wohnungslose, Menschen von allen Kontinenten. Die Mitte unserer Hausgemeinschaft ist der gemeinsame Weg im Glauben.

Hat die allgemeine Kirchenkrise eine Rolle für ihren Abschied von der Aufgabe gespielt?

Nein, überhaupt nicht. Der Prozess der Transformation, den wir hier in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht haben, spiegelt natürlich die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und kirchlichen Veränderungen wider. Bei allen Herausforderungen bin ich fest davon überzeugt, dass die Botschaft Jesu Christi eine Gegenwart und eine Zukunft in unserer Welt hat. Und ich erlebe hier im Borromaeum jeden Tag, dass das sehr gut gelingen kann: gemeinsam Kirche zu sein. Ich bin froh und dankbar, dass der Bischof uns die Freiheit gegeben hat, diese Wege so zu entdecken.

Erst in zwei Jahren werden voraussichtlich wieder drei Priester im Bistum geweiht. Was danach kommt, weiß keiner. Braucht es für die kleine Zahl an Kandidaten noch ein Seminar und einen eigenen Regens?

Ja, unbedingt – unabhängig von dieser Zahl. Unser Ausbildungskonzept sieht vor, dass wir eine lebendige Gemeinschaft junger Menschen im Borromaeum haben, die sich individuell die Frage stellen, was Gott mit ihnen in ihrem Leben vorhat. Dafür braucht es einen Raum. Eigentlich bräuchten wir ganz viele solcher Seminare des Volkes Gottes. Wo junge Menschen Glauben alltäglich miteinander leben können. In dieser Hausgemeinschaft finden die Priesterkandidaten das passende Umfeld, um gut ausgebildet zu werden und selbst der Fragen nach ihrer Berufung nachzugehen. Im Übrigen startet das neue Sprachenjahr (Propädeutikum) jetzt im September mit sechs Leuten, von denen die meisten den Gedanken haben, Priester zu werden.

Frauen in Weiheämtern und verheiratete Priester würden sicher noch andere Zahlen ermöglichen, oder?

Diese beiden Fragen sollten wir nicht mit dem Blick auf die Zahlen diskutieren. Dafür sind sie an sich viel zu wichtig. Ich würde mir konkrete Schritte wünschen. Und was die Entwicklung der Kirche angeht, braucht es einen viel weiter gehenden Umkehrprozess in der Kirche. Wir brauchen eine Erneuerung im Glauben, jenseits aller Strukturdebatten. Wir brauchen die Besinnung darauf, dass wir eine Gemeinschaft sind, die von Gott zusammengerufen ist. Und, dass wir in den Sakramenten des Alltags zusammen erfahren können: Gott ist bei uns. Da, wo es uns gelingt, das zu leben, mache ich mir keine Sorgen, dass Menschen sich dafür in den Dienst nehmen lassen.

Wie sieht es mit Ihrer eigenen Begeisterung aus, mit der Sie Priester geworden sind?

Die gibt es noch – total. Sie hat sich aber verändert. Wenn ich an meine Ausbildungszeit in den 1990er Jahren denke, da gab es bei mir ganz viel von dem jugendlichen Weltverbesserer: Wenn wir kommen, machen wir es anders und besser. Ich habe dann sehr schnell erlebt, dass wir zwar eine gute Arbeit gemacht haben, es aber trotzdem nicht besser wurde. Da wird man schnell Realist. Was nicht heißt, dass die Begeisterung verschwunden ist. Sie ist geblieben, sie hat sich aber insofern gewandelt, als es weniger eine äußerliche Begeisterung ist. Ich bin sehr gerne Priester, ich feiere immer noch gerne jeden Tag die Eucharistie und freue mich, wenn ich Menschen im Gespräch oder ganz praktisch helfen kann. Da brennt das Feuer weiter. Aber es ist heute mehr eine innere Begeisterung.

An dem Gefühl haben auch der Missbrauchsskandal und der oft geäußerte Generalverdacht gegen die Priester nichts geändert?

Ich höre von Priestern in den Pfarrgemeinden, dass sie ein sehr großes Vertrauen in der konkreten Begegnung mit den Menschen erleben. Auf der anderen Seite aber gibt es ein großes institutionelles Misstrauen gegenüber der Kirche und generell gegen Priester. Das tut weh, ist aber gleichzeitig verständlich. Und das macht es für junge Männer nicht einfacher, sich auf dem Weg zum Dienst als Priester zu machen. Wer heute Priester werden will, muss aber die Verantwortung den Betroffenen gegenüber tragen, alles dafür zu tun, um Missbrauch zu verhindern.

Wie hat das die Arbeit im Seminar verändert?

Allein die Tatsache, dass hier jetzt Frauen und Männer unter einem Dach leben, dass wir das Thema „Gemeinsam Kirche sein“ in den Mittelpunkt stellen, das ist sicher eine wirksame Methode zur Vermeidung von Klerikalismus. Damit sich keiner aufgrund seiner Weihe für etwas Besseres hält und Privilegien einfordert. Hier im Seminar ist es ganz wichtig, einen Akzent auf das gemeinsame Priestertum zu setzen. Daraus ergeben sich dann unterschiedliche Ausprägungen der Berufungswege, die aber in der Würde nicht unterschiedlich zu werten sind. Wir brauchen Priester. Und wir brauchen sie als Teil des Volkes Gottes.

Was bedeutet das künftig für die Arbeit der Priester?

Mit einem solchen Bewusstsein, Kirche gemeinsam zu sein, sollten wir die traditionelle Trennung von Klerikern auf der einen und sogenannten Laien auf der anderen Seite überwinden. Ich würde heute sogar sagen: Die Trennung von auf der einen Seite Bezahlten, auf der anderen Seite Ehrenamtlichen. Das Entscheidende ist, ein neues Miteinander zu entdecken. Und genau das versuchen wir hier im Priesterseminar schon seit einigen Jahren so zu leben.

Vor diesem Hintergrund: Wie sieht ihr künftiger Weg als Priester aus?

Ich sehe mich als Priester in einer Pfarrei und möchte mitwirken bei der Suche nach einer neuen Form, Kirche zu sein. Dazu wünsche ich mir Mut und Risikobereitschaft, neue Wege des Dienstes und Lebens als Priester ausprobieren zu dürfen.

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