Leiter des Priesterseminars in Münster über eine Lebensform unter Druck und Freude an Berufung

Neuer Regens Philip Peters: Überhöhtes Priester-Ideal ist zerstörerisch

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Zwei Jahre ohne Priesterweihen, ein großes Haus mit wenig Kandidaten und Priester, die aufhören: Der neue Leiter des Münsteraner Priesterseminars, Philip Peters (40), über eine Lebensform unter Druck, Frauenweihe, theologische Bildung und den Reichtum der Berufung.

Herr Peters, das Jahr Ihres Amtsantritts ist das erste Jahr ohne Priesterweihe im Bistum Münster. Bleiben wir bei den Zahlen: Wie viele Priesteramtskandidaten gibt es zurzeit im Bistum Münster?

Wir haben sechs Priesteramtskandidaten – einer von ihnen ist gerade im Gemeindejahr, sodass er nicht hier im Haus wohnt. Dazu kommen fünf junge Männer im Sprachenjahr, die hier im Borromaeum leben und auch prüfen wollen, ob das Priestersein etwas für sie sein kann. Im kommenden Jahr werden wir dann voraussichtlich eine Diakonenweihe und in zwei Jahren wieder zwei Priesterweihen haben.

Warum tun Sie es sich in dieser Zeit an, Leiter des Priesterseminars in Münster zu werden?

Weil ich diese Aufgabe nach wie vor und trotz allem für wunderschön, wertvoll und unverzichtbar halte. Ich selber habe in den Gemeinden bislang immer erfahren, dass mein Dienst sehr wertgeschätzt wurde. Ich habe noch nie erlebt, dass mir jemand gesagt hätte, Priester wären überflüssig. Von daher bleibe ich begeistert und möchte diejenigen gern begleiten, die sich ebenfalls für diesen Weg interessieren. Darüber hinaus spielt für mich eine Rolle, dass unser Haus durch die Vorarbeit meines Vorgängers Hartmut Niehues offen ist nicht nur für die zugegebenermaßen wenigen Priesteramtskandidaten, sondern auch für auch Studierende ganz anderer Fächer, Männer wie Frauen, die bei uns in Wohngemeinschaften leben und ihrer eigenen Berufung auf die Spur kommen wollen. Dieses Zusammenleben ist auch für die Priesteramtskandidaten wichtig. Von daher konnte ich mir gut vorstellen, diese Aufgabe zu übernehmen.

Ein anderes bedeutendes Jahr war 2010. Da wurde der Missbrauchsskandal in Deutschland bekannt – und Sie wurden zum Priester geweiht. Wie hat Sie das geprägt – wie hat das Ihr Verständnis vom Priestersein verändert?

Ich muss ganz ehrlich sein: Im jugendlichen Eifer, in der Freude über die Weihe für mich persönlich und auch vor dem Hintergrund, dass ich damals noch in Rom lebte, wo der Missbrauchsskandal längst noch nicht in der Wucht wie hier angekommen war, hat es bei mir lange gebraucht, bis ich die Sprengkraft dieses Themas ergründet hatte. Das änderte sich maßgeblich, als sich mir das erste Mal Betroffene im seelsorglichen Gespräch anvertraut haben. Über die Jahre hat sich auch für mich immer massiver herauskristallisiert, welch immenser Vertrauensverlust damit verbunden war. Ganz persönlich bin ich perfekten Idealen gegenüber kritischer geworden. Vermeintliche Ideale zu retten, indem ich sie in einem hehren leuchtenden Weihrauchlicht stehen lasse, ohne meine eigene Gebrochenheit ins Wort zu bringen, zerstört letztlich diese Ideale.

Dabei ist klar: Priester zu sein ist persönliche Berufung, Sakrament, also etwas ungeheuer Wertvolles. Was ist für Sie das Bereichernde an Ihrem Dienst, an Ihrer Lebensform?

Zur Person
Philip Peters, 1982 geboren, wuchs in Duisburg-Homberg auf. Nach einem Studium in Münster, Wien und Rom wurde er im Oktober 2010 in Sant' Ignazio in Rom zum Priester geweiht. Nach vier Jahren als Kaplan in Oelde wurde er 2015 stellvertretender Leiter am Studienhaus St. Lambert Lantershofen, einem Priesterseminar für Spätberufene. Parallel promovierte Peters bis 2019 an der Jesuitenhochschule in St. Georgen über das Ehesakrament in dogmatisch-pastoraler Perspektive. Anschließend war er Pfarrer in Materborn und Reichswalde am Niederrhein, zusätzlich ab 2021 moderierender Priester in St. Willibrord Kleve, wo ein Leitungsteam aus Ehren- und Hauptamtlichen wirkt. | pbm, jjo, mn

Es ist ein Geschenk, die verschiedenartigen Einbrüche Gottes in unser Leben und unsere Welt zu suchen, zu finden, zu entdecken und zu feiern. Anderen das mitzugeben, wovon man selber zutiefst überzeugt ist, weil es lebensfördernd und sinnvoll ist – das erfüllt einen auch selber. Gerade in dieser Zeit mit so vielen Zukunftsängsten: Im Zentrum steht unser Glaube, dass Wandlung möglich ist! Wenn wir Eucharistie feiern und den Leib Christi empfangen, halten wir ein Stück Zukunft, ein Stück neuer Schöpfung in Händen. Das gibt Kraft, die Hoffnung nicht zu verlieren.

Zugleich ist Priestersein etwas Unterscheidendes. Wie ist das zu leben, ohne exklusiv zu werden? Anders gesagt: Wie gelingt Kleriker-Sein ohne Klerikalismus?

Die Gefahr ist zweifellos da. Wenn ich an meine fünf Studienjahre in Rom denke, sehe ich in der Hinsicht einiges auch an mir selbst durchaus kritisch. Vielleicht gehört dieses Unterscheidende aber auch gerade in einer Zeit, in der Priestersein so angefragt ist, phasenweise dazu, um diesen Weg überhaupt gehen zu können. Wichtig ist, dass sich das nicht in einer falschen Weise festsetzt. Die Weihe ist nichts neben dem Volk Gottes, sondern in ihm, aus ihm heraus und für es. Auch vor dem Hintergrund ist das Borromaeum als „Seminar des Volkes Gottes“ zu verstehen, wie Hartmut Niehues das genannt hat. Und ganz simpel gesagt: Wir brauchen schlichtweg Kontakte zu „normalen“ Leuten, wenn ich das so sagen darf. Meine Schwester etwa warnt mich manchmal: „Philip, das ist schräg! Bleib auf dem Teppich!“ Oder vor kurzem haben mir Freunde gesagt: „Jetzt hast du gesprochen wie ein Pastor. Lass das mal lieber.“ Ich brauche Menschen, die mir ehrlich sagen, was sie denken.

In den letzten Wochen und Monaten haben eine ganze Reihe Ihrer Mitbrüder im Bistum Münster das Priestersein aufgegeben oder eine Auszeit genommen. Manche wegen des Zölibats, andere wegen mangelnder Reformen in der Kirche, andere wegen des Drucks, der auf Priestern lastet. Können Sie sie verstehen? Wie gehen Sie persönlich mit diesen Anfragen um?

Natürlich geht mir das nahe, besonders, wenn Priester ausscheiden, die noch gar nicht lange geweiht sind. Was meinen Umgang mit den Anfragen angeht, hilft mir das Gelassenheitsgebet: „Gib mir die Gelassenheit, Dinge zu akzeptieren, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Ich kann hier auf meiner Ebene nicht einfach entscheiden, Frauen zu weihen, beispielsweise.

Würde sich denn Ihrer Meinung nach etwas ändern, wenn die Zugangsbedingungen zum Priesteramt geändert würden – etwa für Frauen, etwa ohne Zölibat?

Man hätte sicherlich mehr Leute, zumindest für einen gewissen Zeitraum. Es gibt ja Menschen, von denen man weiß, dass Zölibat oder die Frauenfrage der Hinderungsgrund ist, Priester zu werden. Ich bin aber auch nicht der Auffassung, dass das die Lösung aller Probleme ist. Am Ende ist die Frage nach der Relevanz eines sakramental und kirchlich gebundenen Gottesglaubens das Entscheidende. Wenn Papst Franziskus am kommenden Sonntag die Zugangsbedingungen zum Priesteramt ändern würde, wären am Sonntag darauf die Kirchen nicht voller. Aber, keine Frage, natürlich würde es etwas ändern, klar.

Priester zu sein hat nach wie vor viel mit Leitung zu tun. Sie selber waren Leitender Pfarrer in einer Pfarrei und in einer anderen moderierender Priester mit einem Leitungsteam. Viele Ihrer Mitbrüder tun sich aber schwer, Leitender Pfarrer immer größerer Einheiten zu sein. Woher also kompetentes und bereitwilliges Personal nehmen?

Ich habe sehr gute Erfahrungen mit der Einstellung einer Verwaltungsreferentin gemacht. Allerdings muss man auch bereit sein, Dinge abzugeben! Natürlich sind viele durch die anstehende Strukturreform verunsichert. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass sie Chancen mit sich bringt. Einen Priester als Leitung wird es wohl geben müssen, da ist kirchenrechtlich gut hinzuschauen, sonst macht Rom nicht mit. Aber es öffnet einen größeren Raum für Priester, die nicht leiten wollen, das zu tun, was etwa mit Katechese und Sakramentenpastoral zu tun hat.

Berufung ist das eine, theologische Bildung das andere. Für wie wichtig erachten Sie die intellektuelle, wissenschaftliche Ausbildung künftiger Priester?

Gerade weil wir derart angefragt sind, müssen Priester intellektuell verantwortet Rede und Antwort stehen können. Daher sind Berufung und intellektuelle Bildung keine zwei unterschiedlichen Dinge: Theologisches Wissen ist ein Kriterium von Berufung.

Im Erzbistum Köln gibt es neben der theologischen Fakultät an der Universität Bonn eine eigene kirchliche Hochschule, die auch zur Ausbildung künftiger Priester dienen soll. Was ist besser?

Weltkirchlich betrachtet ist das deutsche System ein Sondersystem, denn weltweit geschieht die Priesterausbildung nahezu ausschließlich in kirchlichen Hochschulen. Darum ist das Kölner Modell nicht per se schlecht. Aber wir haben in Deutschland nun einmal unsere Tradition, dass die Theologie auch an staatlichen Universitäten beheimatet ist. Angesichts dessen, dass es wichtig und chancenreich ist, in diesem Kanon der Wissenschaften vertreten zu sein und eine Stimme zu haben, sollte man sich hüten, daraus leichtfertig auszusteigen.

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