Zwei Seelsorger aus Horstmar über das gelingende Miteinander der Konfessionen

So wächst Ökumene an der Basis: „Für engherziges Denken keine Zeit“

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Ökumene wächst an der Basis. Seit Jahren pflegen Christen in Horstmar und Leer (Kreis Steinfurt) intensive ökumenische Kontakte, etwa durch regelmäßige Gottesdienste am Sonntagabend. Über das, was in der Ökumene selbstverständlich ist und was auf Gemeinde-Ebene weiterentwickelt werden kann, darüber sprach „Kirche-und-Leben.de“ mit dem dortigen katholischen Pfarrdechanten Johannes Büll und mit dem Prädikanten (Prediger) der evangelischen Kirchengemeinde Borghorst-Horstmar, Alexander Becker.

Herr Büll, in Ihrer katholischen Pfarrei in Horstmar und Leer wird Ökumene seit Jahren gepflegt, ebenso in der evangelischen Gemeinde, für die Sie, Herr Becker, Antwort geben. Wie bewerten Sie die Ökumene in Horstmar?

Johannes Büll: Wir schauen in Horstmar auf ein jahrzehntelanges ökumenisches Miteinander unserer Gemeinden, bei dem vieles gewachsen und zur guten Selbstverständlichkeit geworden ist. Wichtig ist, immer wieder zu schauen, wie die Menschen, die im Hier und Heute unserer Gemeinden leben, dieses ökumenische Miteinander erfahren und leben. So haben wir uns vor gut zehn Jahren „Kreuzweise“ neu auf den Weg gemacht. Regelmäßige gemeinsame Gottesdienste ließen uns spüren, wie stark uns Jesus Christus als gemeinsame Mitte verbindet. Ein ökumenisches Straßenfest über die gesamte Wegstrecke zwischen unseren Kirchen zeigte die Verbindung über die kurzen Wege zueinander. Der „Kreuzweise-Fonds“, der mit dem Gewinn des Straßenfestes grundgelegt wurde, gibt die Möglichkeit direkter und unbürokratischer Hilfe für Menschen in Horstmar und Leer, die finanzielle Unterstützung brauchen. Das geschieht in enger Vernetzung mit den Beratungs- und Hilfsangeboten von Diakonie und Caritas. Auch in diesen Bereich konkreter Hilfe und tatkräftiger Nächstenliebe ist die Ökumene in Horstmar und Leer nicht mehr wegzudenken.

Alexander Becker: Am Beginn von allen ökumenischen Aktivitäten stehen Zweifel und Bedenken. In unserer Gemeinde war das vor allem die Angst, dass wir auf gewisse Weise das eigene Profil verlieren, wenn wir zu viel zusammen machen. Das Gegenteil war der Fall. Beide Gemeinden haben durch die regelmäßige Zusammenarbeit und das gute Miteinander Profil gewonnen und eben diese ökumenische Offenheit wechselseitig zum Profil von Kirche in Horstmar und Leer gemacht. Mittlerweile ist das „Zusammen“ einer der selbstverständlichen Normalfälle. So haben wir uns das gewünscht.

Sie feiern regelmäßig die ökumenischen „Kreuzweise-Gottesdienste“. Was verbinden Sie mit dem Angebot in Ihren jeweiligen Gemeinden?

Der evangelische Prädikant Alexander Becker (links) und Pfarrdechant Johannes Büll setzen in Horstmar Akzente für eine gelebte Ökumene. | Foto: privat
Der evangelische Prädikant Alexander Becker (links) und Pfarrdechant Johannes Büll. | Foto: privat

Büll: Seit nunmehr zehn Jahren feiern wir die ökumenischen „Kreuzweise-Gottesdienste“, die im Lauf der Jahre ein sich wandelndes Format bekommen haben. So entstanden in der Zeit der Corona-Pandemie und des Lockdowns die Online-Gottesdienste, die gerade in den Zeiten, als die Gottesdienste in Präsenz stark eingeschränkt waren, eine lebendige Brücke der Verbundenheit mit Gott und der Gemeinde vor Ort für die Menschen blieben. In dieser Zeit bekamen die Open-Air-Andachten, die wir seit vier Jahren in den Sommermonaten am Alten Bahnhof in Horstmar feiern, noch stärkeren Zulauf. Sie sind auch inzwischen für viele Menschen unserer Pfarrei ein geschätztes Gottesdienstangebot, das sich neben der Sonntagsmesse gut etabliert hat.

Becker: Am ersten Sonntag im Monat sind die „Kreuzweise-Gottesdienste“ für unsere Gemeinde die Sonntagsgottesdienste, die vor Ort gefeiert werden. Das hat sich völlig etabliert und die Form wird als Abwechslung von der Gemeinde geschätzt. Es wird als gut und in der Regel „normal“ empfunden.

Wie könnte die Ökumene weiterentwickelt werden – in Horstmar und darüber hinaus?

Becker: Das ist ein bisschen ein Blick in die Glaskugel, denn Ökumene ist ja erstmal kein Allheilmittel. Es wird wichtig sein und bleiben, dass wir als Kirchen mit aller Kraft dafür arbeiten, für die Menschen vor Ort relevant zu bleiben, beziehungsweise zu zeigen, wie relevant die Frohe Botschaft des Evangeliums im echten Leben ist. Der gemeinsame Weg ist bei diesem großen gemeinsamen Ziel naheliegend. Zusammen müssen wir uns und unsere Formen ständig hinterfragen lassen und im Sinn der gemeinsamen Horstmarer Vision von „Kirche mit Zukunft“ im Dreiklang von Service, Tradition und Seelsorge für die Menschen da sein.

Büll: In den vergangenen Jahren haben wir neben der Feier gemeinsamer Gottesdienste und dem Schaffen des sozialen Netzwerkes auch eine gemeinsame Horstmarer Vision zum Kirchesein entwickelt, bei der sich zeigt, wie wir als Christen für die Menschen da sein wollen und ihnen Hilfen anbieten, damit ihr Leben und Glaube gelingen kann. Diese Vision muss immer wieder mit Leben gefüllt werden. Oft erlebe ich, dass unser Flyer „Kirche mit Zukunft – Seelsorge, Tradition und Service“ zu guten Gesprächen auch mit Menschen weit über die Grenzen von Horstmar und Leer hinaus anregt.

Was erwarten Sie von Ihren Kirchenleitungen?

Becker: Wir erleben hier in Horstmar, dass Ökumene ein Herzensanliegen der Menschen ist, weil von den meisten Christen und Neugierigen ein Betonen der konfessionellen Unterschiede überhaupt nicht nachvollzogen werden kann. Von der Kirchenleitung würde ich erwarten, dass sie diese Realität erkennt und die Weichen entsprechend stellt. Es darf organisatorisch und strukturell keine Stolpersteine geben, die ein Zusammenrücken der Konfessionen erschweren.

Büll: Das gute und vielerorts selbstverständliche Miteinander sowohl der Menschen in den Gemeinden vor Ort, als auch in den Kirchenleitungen muss vertrauensvoll weiter ausgebaut werden, indem wir das Verbindende betonen und uns nicht ängstlich über konfessionelle Abgrenzungen definieren. Als christliche Kirchen werden wir nur gesellschaftlich relevant bleiben können, wenn wir mit einer Stimme sprechen und uns zu den Themen äußern, die die Menschen betreffen. Hier haben wir als Christen von Jesus Christus her eine frohe und befreiende Botschaft anzubieten, die topaktuell ist. Im Blick auf die Kommunion- und Abendmahlsgemeinschaft und die wechselseitige Einladung hierzu wünsche ich von unseren Kirchenleitungen weitere mutige Schritte, die dem Herzensanliegen der Menschen in unseren Gemeinden Rechnung tragen und die persönliche Gewissensentscheidung des Einzelnen wertschätzen.

Schauen wir auf Strukturen oberhalb der Pfarrei: Wie sollte die Ökumene in einem katholischen Pastoralen Raum und im evangelischen Kirchenkreis verankert sein?

Becker: In unserem Kirchenkreis diskutieren wir im Moment auch die Strukturen von Personalplanungsräumen und denken auch personell in größeren Strukturen als denen der eigenen Gemeinde. Dabei wird klar, wie groß die Unterschiede der einzelnen Gemeinden und Orte in ihrer jeweiligen Verortung im Sozialraum sind, und wie wichtig es ist, das zu berücksichtigen. Ökumene kann man wahrscheinlich nicht kirchenkreisweit „verordnen“, aber als zukunftsweisende Option sollte überall darauf hingearbeitet werden. Und strukturell darf dem nichts entgegenstehen, dass sich Ökumene vor Ort entwickelt und aufblüht.

Büll: Im Blick auf die jetzt im Bistum Münster entstehenden Pastoralen Räume muss klar sein, dass die Pfarreien, die in diesen Pastoralen Räumen zusammenkommen, zum Teil recht unterschiedlich geprägt sind. Das gilt auch im Blick auf das ökumenische Miteinander mit der jeweiligen evangelischen Gemeinde vor Ort. Diese Unterschiedlichkeit muss wahrgenommen werden. Da Ökumene existentiell wichtig für die Zukunft beider Kirchen ist, müssen alle Bemühungen um eine gelingende Ökumene in den katholischen Pastoralen Räumen und den evangelischen Kirchenkreisen gefördert werden. Für engherziges Klein-Klein-Denken ist keine Zeit mehr. Wir brauchen die Weite und Weitherzigkeit Jesu, der in seinem Testament seinen Vater bittet: „Alle sollen eins sein … damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21).

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