Thorsten Rahner von der katholischen Suchtberatung „quadro“ im Interview

Suchtberater: Mit Cannabis-Freigabe geht ein Stop-Signal verloren

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Die Bundesregierung hat Eckpunkte einer begrenzten Cannabis-Legalisierung vorgelegt. Erwachsene sollen bis zu 30 Gramm besitzen und drei Pflanzen pro Kopf anbauen dürfen, lizenzierte Verkaufsstellen sind geplant. Thorsten Rahner (51) ist Suchttherapeut, Geschäftsführer des Katholischen Verbands für soziale Dienste (SKM) im Kreisdekanat Warendorf und leitet die „quadro“ Sucht- und Drogenberatung am Standort Warendorf.

Herr Rahner, wie bewerten Sie die Regierungspläne?

Ich verstehe, dass man den Erwerb, Besitz, Konsum und Anbau kleiner Mengen nicht länger kriminalisieren will, halte die Pläne aber für nicht zu Ende gedacht. Cannabis bleibt ein Suchtmittel. Und wenn es über eine begrenzte Freigabe populärer wird, wenn ein offizieller Markt entsteht, wozu führt das? Zu mehr Konsumenten, mehr Süchtigen und mehr Hilfsbedürftigen? Die Gefahr, dass Menschen abhängig werden, steigt jedenfalls mit dem Konsum einer Substanz. Wer regelmäßig einen Joint am Abend raucht, der braucht vielleicht irgendwann einen zweiten und dritten. Damit wird dem von der Regierung betonten Aspekt des Gesundheitsschutzes im Grunde nicht richtig Rechnung getragen. Auch denke ich, dass es weiter einen Schwarzmarkt gäbe, auf dem Cannabis womöglich günstiger ist als in offiziellen Verkaufsstellen.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält die bisherige deutsche Politik für gescheitert: Ein Viertel aller 18- bis 25-Jährigen habe 2021 Cannabis konsumiert, eine ebenso steigende Tendenz gebe es bei Minderjährigen. Ist die begrenzte Freigabe nicht eine Kapitulation?


Thorsten Rahner. | Foto: SKM.

Ein Stück schon. Vor allem geht eine Signalwirkung verloren. Bei Erziehungsberechtigten und bei den Konsumenten selbst gab es bisher eine Sensibilität: „Achtung, Cannabis ist illegal!“ Das wirkte – im Straßenverkehr respektieren die Menschen ja auch Stoppschilder. Weil es das Verbot gab, konnten wir auch junge Erwachsene und Jugendliche besser mit Präventions- und Beratungsangeboten erreichen – obwohl sie nicht immer freiwillig zu uns kommen.

Welche Rolle spielt Cannabis auf dem Markt und in Ihrer Arbeit?

Ziemlich sicher ist Cannabis die Droge im Kreis Warendorf, die am zweitmeisten konsumiert wird – wenn wir von Nikotin absehen, wobei Kiffer häufig auch Raucher sind. Die Die „quadro“ Sucht- und Drogenberatung hatte 2021 im Kreis Warendorf 790 Klienten. In 306 Fällen ging es um Alkohol, in 161 um Cannabis. Das macht zusammen bereits mehr als die Hälfte aller Kontakte aus; andere Drogen oder Phänomene wie Spielsucht folgen mit Abstand. Um es etwas pointiert zu sagen: Wir haben schon genug Herausforderungen mit Alkohol – braucht es da das Signal, dass Cannabis „nicht so schlimm“ ist?

Angenommen, die EU blockiert das Vorhaben nicht und das Gesetz zur Cannabis-Freigabe in Deutschland kommt: Was müsste sichergestellt sein?

Wir brauchen tragfähige Präventionskonzepte. Für Jugendliche bis 18 Jahre sollen Besitz und Konsum ja verboten bleiben und bei Verstößen sollen sie zur Teilnahme an einem Interventions- oder Präventionsprogramm verpflichtet werden können. Dafür muss der Staat Geld in die Hand nehmen. Wir brauchen Kurse, und wir müssen die Fachleute bezahlen, die sie anbieten – nicht nur für Jugendliche, sondern auch für deren Erziehungsberechtigte.

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