Kontroverse um Priester und Sozialpolitiker und Münsters Bistums-Akademie

War der Namensgeber des Franz-Hitze-Hauses ein Antisemit?

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Über den katholischen Sozialpolitiker und Reformer Franz Hitze (1851-1921) ist anlässlich seines 100. Todestags am 20. Juli 2021 eine Kontroverse darüber entbrannt, aus welcher Haltung heraus er in seinen frühen Schriften antisemitische Vorurteile bediente. Der Historiker Olaf Blaschke aus Münster spricht von einer „dunklen Seite“ des Prälaten Hitze, der auch Namensgeber der Akademie des Bistums Münster ist. Muss sie ihren Namen ändern?

Es ist ein Vorwurf, der vor wenigen Tagen laut wurde: In einem Interview mit der Tageszeitung „Westfälische Nachrichten“ über den Sozialreformer Franz Hitze erwähnt der Historiker Olaf Blaschke eine in der Geschichtsschreibung bislang „ausgeblendete dunkle Seite“. Brisant: Hitze ist Namensgeber der 1952 gegründeten Katholisch-Sozialen Akademie des Bistums Münster am Kardinal-von-Galen-Ring in Münster.

In den Antworten und einem späteren Beitrag für die „Westfälische Nachrichten“ unter dem Titel „Der berühmte Sozialreformer – ein Antisemit?“ erwähnt Blaschke frühe Schriften von Hitze, in denen er aus dem „Reservoir des modernen Antisemitismus“ schöpfte. Genannt werden die Schriften „Die soziale Frage und die Bestrebungen zu ihrer Lösung“ von 1877 und das Werk „Kapital und Arbeit“ von 1880.

 

Rede von den „listigen Juden“

 

Franz HitzeDer katholischen Sozialreformer Franz Hitze (1851-1921). Zu sehen ist das Gemälde in der gleichnamigen Akademie des Bistums Münster. | Foto: Johannes Bernard

Darin habe Hitze, wie Blaschke schreibt, Juden Eigenschaften wie Geiz, Habsucht, Wucherei und Ausbeutung unterstellt. Mehr noch: Hitze habe Juden für „destruktiv, listig und materialistisch“ gehalten, kurzum: Juden seien ein Fremdkörper im deutschen Volk.

In der Betrachtung der Historiker sind diese Charakterisierungen neu. In der Geschichte der katholischen Arbeiterbewegung und der deutschen Sozialpolitik spielt Hitze eine bedeutende Rolle. Der aus dem Sauerland stammende Priester des Erzbistums Paderborn machte sich einen Namen in der Arbeiterschutzpolitik, aber auch bei der Einführung der Sozialversicherungen.

 

Hitze-Haus zeigt sich überrascht

 

Dass die „soziale Frage“ zum zentralen Kernthema der Katholiken im deutschen Kaiserreich avancieren konnte, geht auf das Engagement von Hitze zurück. Als Reichstagsabgeordneter prägte er die sozialpolitische Entwicklung bis zum Beginn der Weimarer Republik wesentlich mit. Hitze war zudem Professor für christliche Gesellschaftslehre an der Universität Münster und Mitglied der Weimarer Nationalversammlung. Dort arbeitete er an der demokratischen Reichsverfassung mit.

In der Akademie Franz Hitze Haus zeigte man sich überrascht von den Thesen des Historikers Blaschke. „Uns waren die judenfeindlichen Äußerungen von Hitze in dessen frühen Schriften nicht bekannt“, sagte Maria Kröger, stellvertretende Direktorin der Bistums-Akademie, auf Anfrage von „Kirche-und-Leben.de“.

 

Köster: Ideen leichtfertig übernommen

 

Zur Frage, wie die judenfeindlichen Äußerungen von Hitze in seinen jungen Jahren einzuordnen sind, sagt der Kirchenhistoriker Norbert Köster aus Münster im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“: „Franz Hitze hat sich als junger Theologiestudent und neu geweihter Priester sehr eigenständig in volkswirtschaftliche Fragen eingearbeitet. Dabei ist er natürlich auch Verschwörungstheorien begegnet wie der, dass sich das gesamte Kapital in der Hand von Juden befindet.“

Diese Theorien habe er zunächst leichtfertig übernommen, sagte Köster: „Da Hitze sich aber immer mehr Fachkenntnisse erwarb und auf betriebswirtschaftliche und sozialpolitische Fragen konzentrierte, kamen antisemitische Ideen bei ihm sehr bald nicht mehr vor.“

 

Antisemitismus kein Bestandteil des Katholischen

 

Über die Bewertung eines „katholischen Antisemitismus im Kaiserreich“ sagt Köster, der Begriff sei sehr schwierig zu deuten, „weil er den Anschein erweckt, der Antisemitismus wäre fester Bestandteil des Katholischen gewesen und aus ihm erwachsen. Das kann man so sicher nicht sagen, und diese These hat sich auch nicht durchgesetzt.“

Gleichwohl, so Köster, habe es Katholiken gegeben, die Antisemiten wurden. „Das ist keine Frage. Wie viele Katholiken es letztlich waren, lässt sich aber nur schwer beantworten.“

 

Köster: „Hitze kann als Vorbild gelten“

 

Hitze könne nach wie als Vorbild gelten und auch weiterhin Namensgeber der Bistums-Akademie sein, meint Köster: „Hitze hat auf die Sozialgesetzgebung im Kaiserreich sehr großen Einfluss gehabt. Unser heutiges System der Krankenversicherung fußt auch auf seinen Ideen.“

In manchen Punkten sei der Sozialreformer seiner Zeit sogar weit voraus gewesen. In einigen Fragen habe sich der Zentrumspolitiker nicht durchsetzen können, zum Beispiel bei den Themen Kinderarbeit und Mutterschutz.

 

Akademie von Hitze-Worte überrascht

 

Das Franz-Hitze-Haus in Münster wird am 24. August eine Fachtagung zum 100. Todestag Hitzes durchführen und die Biografie in allen Facetten thematisieren. Mehrere Experten kämen zu Wort. Auch ein neuer Film über den Sozialreformer werde gezeigt.

Der Historiker Blaschke wird nach Auskunft der stellvertretenden Akademie-Leiterin Kröger Anfang Dezember an einer Fachtagung zum Thema Kirche, Nationalsozialismus und Widerstand teilnehmen. „Unser Haus steht für einen Diskurs. Wissenschaftliche Kontroversen sind Bestandteil unserer Seminare und Kurse.“

 

Blaschke: Hitze revidierte frühe Aussagen

 

Blaschke wird seine Ergebnisse über Hitze in den nächsten Monaten in der Schriftreihe „Westfälische Forschungen“ darlegen. Wie Blaschke schon jetzt verrät, hat sich Hitze in dessen späteren Jahren deutlich von seinen judenfeindlichen Äußerungen distanziert. Auch sei Hitze nach seinen „frühen Schriften“ wohl nie wieder judenfeindlich in Erscheinung getreten.

Veranstaltungshinweis
Den 100. Todestag des Sozialpolitikers nimmt die Akademie Franz Hitze Haus in Münster zum Anlass für eine Tagung über ihren Namensgeber. Im Mittelpunkt der Veranstaltung am Dienstag, 24. August 2021, um 18.30 Uhr steht die Vorschau des dokumentarischen Filmporträts „Franz Hitze – Ein Sozialreformer aus Westfalen“. Im Anschluss an den Film des LWL-Medienzentrums wird es eine Gesprächsrunde geben. Weitere Informationen und Anmeldungen finden Sie hier.

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