Themenwoche 25 Jahre Queergemeinde Münster (5)

Was eine Kerze in Kevelaer mit einer Schwulengruppe in Bocholt zu tun hat

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Dass es in der katholischen Kirche gläubige Homosexuelle gibt, war 1991 noch gewöhnungsbedürftig. Reinhold A. Ihorst, damals Leiter der Familienbildungsstätte in Bocholt, wollte das ändern. Und traf auf skurrile Reaktionen, auch von zwei jungen Schwulen.

Die Meldungen über Segensfeiern für homosexuelle Paare in der katholischen Kirche und die Kritik daran haben Reinhold A. Ihorst aus Bocholt mehr als irritiert. „Wo leben denn der Vatikan und Teile der Kirche heute? Wir haben das Jahr 2024. Die lange Diskussion und das ständige Hin und Her kann ich nicht mehr nachvollziehen. Wann wird das Ganze endlich zu einem guten Ende kommen für die Paare, die sich lieben und den kirchlichen Segen wünschen?“, fragt sich der überzeugte Katholik.

Familienvater Ihorst hat bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 2010 rund 25 Jahre die katholische Familienbildungsstätte (Fabi) in Bocholt geleitet und an vielen Sitzungen teilgenommen, in denen es auch immer wieder darum ging, wie die katholische Kirche mit homosexuellen Menschen umgehen soll. Bis heute verfolgt er die Diskussion darüber und erinnert sich an Begegnungen und Gesprächen, die er in seiner beruflichen Stellung geführt hat.

Homosexuelle informieren Pastoralkonferenz

Themenwoche Queere Gemeinde
Vor 25 Jahren wurde als eine der ersten bundesweit in Münster die Queergemeinde gegründet, in der lesbische, schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche Gläubige eine geistliche Heimat gefunden haben. In unserer Themenwochen schaut „Kirche-und-Leben.de“ auf die Ursprünge und fragt nach bleibenden Herausforderungen für queere Christ:innen einerseits, die Kirche, ihre Lehre und Seelsorge andererseits.

Im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“ erzählt Ihorst, wie zu Beginn der 1990er Jahre die Kirche in Bocholt erstmals offen das Thema aufgegriffen hat und mit welchen Urteilen, Ängsten und Irritationen über schwule und lesbische Menschen gesprochen worden ist. Den Anfang habe eine Klausurtagung der Pastoralkonferenz im Dekanat Bocholt im Frühjahr 1991 gemacht, als zwei junge homosexuelle Männer zum Thema sprachen und baten, sich in kirchlichen Räumen treffen zu dürfen.

„Beim Abendessen setzte sich der damalige Weihbischof Alfons Demming zu mir an den Tisch. Er sagte: ‚Können wir die Treffen bei Ihnen in der Fabi Bocholt stattfinden lassen? Sie hatten schon öfter Ärger“, berichtet Ihorst von den Gesprächen in der Kirchenrunde.

Gründung von Selbsthilfegruppen

Bei der folgenden Pastoralkonferenz in Bocholt sprach Josef Köhne aus Münster zum Thema. Er war Psychiater und Psychotherapeut und Leiter der katholischen Beratungsstellen für Ehe-, Familie- und Lebensfragen auf Bistumsebene. „Er hielt einen fachlich fundierten Vortrag zum Thema Homosexualität und veränderte sichtlich die Einstellung vieler konservativer Seelsorger“, erinnert sich Ihorst.

Das Programm der Fabi Bocholt 1991/92 stellte dann die Angebote der Selbsthilfegruppe „Homosexuelle“ mit deren regelmäßigen Treffen vor. Im Programm hieß es: „Die meisten homosexuellen Männer und Frauen verstecken sich. Die ‚Homosexuelle-Initiativ-Gruppe und Freunde‘ möchte mit der Selbsthilfegruppe Mut machen, zu ihrer Veranlagung zu stehen.“

Bürgermeister wundert sich

Bei einem Besuch der Fabi wurde dem damaligen Bürgermeister von Bocholt das Programm vorgelegt, das den weiteren Hinweis enthielt: „Nach gesicherten Erfahrungen sind rund fünf Prozent der männlichen Bevölkerung gleichgeschlechtlich liebend, das heißt für Bocholt mindestens 1.650 Männer und fast ebenso viele Frauen und Bisexuelle.“ An die Antwort des Bürgermeisters kann sich Ihorst noch gut erinnern: „Er sagte zu mir: So viele Homosexuelle gibt es in Bocholt nicht. Ich kenne die Bocholter.“

Für Eltern und Geschwister von homosexuellen Männern und Frauen bot die Fabi eine eigene Selbsthilfegruppe an. In der Programmausschreibung hieß es: „Für Eltern und Geschwister ist es sehr schwer zu akzeptieren, dass der Sohn/die Tochter bzw. der Bruder/die Schwester homosexuell veranlagt sind. Viele Fragen, aber auch Schuldgefühle (‚Was haben wir falsch gemacht?‘) stellen sich ein.“ 1992/93 gab es dann eine eigene Selbsthilfegruppe „Lesbische Frauen“, die sich ebenfalls in der Fabi traf.

Eine besondere Kevelaer-Kerze

Wie Ihorst weiter ausführt, erzählten die beiden jungen Männer der schwulen Gruppe beim ersten Treffen in der Fabi, dass sie Kevelaer-Wallfahrer seien und eine dicke Kerze für Kevelaer spenden wollten, wenn die Schwulen-Gruppe zustande käme.

Einige Monate später erhielt Ihorst einen Anruf von der Kerzenfabrik Jaspers, ob die Homosexuellen-Initiative-Gruppe – kurz H-I-G ¬– eine kirchliche Gruppe sei. Diese hätte eine große Kerze mit einem „H-I-G-Logo“ bestellt. Ob das wohl richtig sei?

Zeichen am Bocholter Kreuz

Wenig später traf Ihorst zufällig abends um 22 Uhr Dechant Heinrich Westhoff in der Fabi und fragte ihn: „Was machst Du denn noch so spät hier?“ Westhoffs Antwort sei gewesen: „Ich war in der Schwulen-Gruppe. Die haben mir diese große Kerze für Kevelaer überreicht.“

Kurz darauf sah der Fabi-Leiter in der Bocholter Stadtkirche St. Georg, dass die H-I-G-Kerze vor dem mittelalterlichem „würdigen hilligen Kruce“ stand. Nach zwei Monaten wurde sie auf der großen Bocholter Kevelaer-Wallfahrt der Männer mitgenommen und in der Kerzen-Kapelle in Kevelaer aufgestellt.

Ärger um Veröffentlichungen

Hinweise auf die Treffen der H-I-G-Gruppe seien damals regelmäßig in den Pfarrnachrichten der Bistumszeitung “Kirche+Leben” veröffentlicht worden, sagt Ihorst weiter. Dagegen habe die Bocholter Tageszeitung grundsätzlich nichts über die Gruppe veröffentlicht. 

„Deren Verleger schrieb an den Pastor von Liebfrauen, dass er als Eigentümer der Fabi laut neuem Weltkatechismus die Treffen der Schwulen-Gruppe in kirchlichen Räumen zu untersagen habe“, erinnert sich Ihorst noch gut an die damalige Zeit. Der damalige Pfarrer von Liebfrauen, der Ihorsts Dienstvorgesetzter war, habe dem Verleger geantwortet, „dass er in diesem Punkt den Weltkatechismus wohl falsch verstehe“.

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