Themenwoche „25 Jahre Queergemeinde Münster“ (2) - aus Münster

Warum braucht es noch eine Queergemeinde, Herr Baumann?

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Jan Baumann (32) stammt aus einem Dorf im Westerwald, erlebte in seiner Heimatgemeinde Homophobie. Dennoch engagiert er sich seit Jahren in der Queergemeinde Münster. Im Interview mit „Kirche-und-Leben.de“ sagt er, warum.

Herr Baumann, Sie waren noch ein Kind, als die Queergemeinde in Münster gegründet wurde. Seitdem ist viel geschehen. Warum braucht es überhaupt noch eine Queergemeinde?

Die Queergemeinde ist ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, die sich nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechend fühlen, aber einen tiefen Glauben haben an Gott und an die unfassbar große Liebe, die im Evangelium verkündet wird. Diese Menschen können sich in der Queergemeinde sicher fühlen. Sie treffen auf Gleichgesinnte, auf Menschen, die es gut mit ihnen meinen. Zu uns kommen nämlich auch heteronormative Menschen, die einfach einen qualitätvollen Gottesdienst feiern wollen. Und letztlich ist die Queergemeinde ein Ort, an dem man sich über seine Outing-Geschichte austauschen kann, denn die hat ganz oft auch mit der Kirche zu tun.

Heute gibt es eine Option zu gottesdienstlichen Segensfeiern für queere Paare durch den Synodalen Weg und das Ende arbeitsrechtlicher Konsequenzen für queere Mitarbeitende. Wie „normal“ ist Homosexualität in der Kirche?

Queere Menschen erleben vor allem die römisch-katholische Kirche noch nicht als einen Ort absoluter Gleichstellung – denken Sie etwa an die „Ehe für alle“. Ich habe große Zweifel, ob ich das noch in der katholischen Kirche erleben werde. Oder denken Sie an das römische Gestolpere über eine Segensfeier sich liebender Menschen. Die jüngste Verlautbarung ist zwar sicherlich ein positiver Schritt, aber sie unterstreicht doch auch die unterschiedliche Wertigkeit gegenüber heteronormativen Beziehungen. Allein die Tatsache, dass queere Menschen oder auch wiederverheiratete Geschiedene es nicht wert sind, in einem Gottesdienst gesegnet zu werden, ist für viele eine schmerzliche Verachtung. Das neue Arbeitsrecht ist der weitaus beachtlichere Fortschritt.

Was unterscheidet eine queere Eucharistiefeier von anderen Messen in einer Pfarrei, was die Queergemeinde von einer Pfarreigemeinde?

Unsere Gottesdienste unterscheiden sich nicht wirklich von anderen, was etwa den Ablauf angeht. Aber es gibt bei uns eine unverwechselbare Atmosphäre: Es wird wahnsinnig gut mitgesungen, alle sind ganz im Hier und Jetzt und möchten Gottes Anwesenheit spüren. Von einer Pfarrgemeinde unterscheiden wir uns allerdings tatsächlich gravierend, weil wir komplett aus dem ehrenamtlichen Engagement leben. Niemand bekommt Geld. Und wir machen nur das, was wir ehrenamtlich auch gestemmt bekommen. In einer Pfarrgemeinde aber müssen ja manche Dinge einfach geschafft werden – wie etwa Erstkommunion- oder Firmvorbereitung.

Wie viele Menschen gehören denn überhaupt zur Gemeinde?

Es gibt einen festen Kern von rund zehn Menschen und drumherum zählen sich 40 bis 50 Menschen zur Gemeinde, mal mehr, mal weniger. Aber es gibt keine Leitung. Alle können sich einbringen, wie sie möchten. Ich spiele beispielsweise Orgel oder Klavier, gebe manche Impulse im Gottesdienst und bin einer der Sprecher der Queergemeinde – aber es ist uns wichtig, dass es bei uns keine Hierarchie gibt.

Gibt es so etwas wie eine queere Spiritualität?

Ich persönlich glaube das nicht. Meine Spiritualität ist sehr tief, aber sie hat nichts mit meiner Sexualität zu tun. Für mich ist meine Gottverbundenheit sehr wichtig, dass ich ihn spüre im Alltag, dass er mir Kraft gibt. Die christlichen Werte bedeuten mir unfassbar viel, weil sie nur von Liebe sprechen können.

Wie geht es Ihnen als schwuler Mann in Ihrer heimischen Pfarrei?

Themenwoche Queere Gemeinde
Vor 25 Jahren wurde als eine der ersten bundesweit in Münster die Queergemeinde gegründet, in der lesbische, schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche Gläubige eine geistliche Heimat gefunden haben. In unserer Themenwochen schaut „Kirche-und-Leben.de“ auf die Ursprünge und fragt nach bleibenden Herausforderungen für queere Christ:innen einerseits, die Kirche, ihre Lehre und Seelsorge andererseits.

Ich komme gebürtig aus dem Westerwald, der ja sehr ländlich geprägt ist. Seit meiner Pubertät weiß ich, dass ich schwul bin, aber in der Kirche war das völlig tabu. Ich habe mich immer schon in meiner Gemeinde engagiert – als Ministrant, als Organist. Aber: Als queerer Mensch hat man eine ziemlich gut ausgeprägte Antenne für Queerfeindlichkeit oder Homophobie, und die habe ich in meiner Heimatgemeinde auch erfahren. Heute gehe ich mit meinem Partner ganz selbstverständlich dort in die Christmette, Menschen schreiben von dort, dass sie stolz sind auf mich und mich ermutigen, meinen Weg weiterzugehen. Meine jetzige Gemeinde, St. Joseph Münster-Süd, bedeutet mir unendlich viel, ich fühle mich unglaublich wohl und zuhause, weil die Gemeinde sehr offen ist und großartige Gottesdienste zu feiern weiß, sodass ich mich dort gern und viel engagiere und mich sehr wertgeschätzt fühle.

Zum Geburtstag wünscht man sich Glück und Segen! Was würde Sie, was würde die Queergemeinde glücklich machen – was wäre ein Segen?

Vermutlich für alle queere Christen wäre es ein Segen, nicht als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden – und wenn doch, dass es Menschen gibt, die uns beistehen. Und ich wünsche mir, dass wir weltweit volle Teilhabe in unserer Kirche an diesem wunderbaren Glauben haben. Dass wir überall mit Stolz sagen können: Ich gehöre zur Kirche Christi und habe als queere Christin oder queerer Christ dieselben Rechte und Möglichkeiten. Denn ich bin in erster Linie gläubiger Mensch.

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