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Im Januar 1999 feierten queere Gläubige in Münster erstmals gemeinsam einen Gottesdienst, die Queergemeinde war geboren. Doch der Anfang war schmerzhaft, erzählt Mitinitiator Michael Baumbach. Was auch mit einem Artikel in „Kirche+Leben“ zu tun hat.
Sie war eine der Ersten in Deutschland: die Queergemeinde in Münster, in der einmal im Monat queere Gläubige Gottesdienst feiern. Als sie sich vor 25 Jahren gründete, ging das ein knappes Jahr gut. Dann wurden die Initiatoren zum Rapport beim zuständigen Regionalbischof vorgeladen, weil das pastorale Angebot für Schwule und Lesben öffentlich geworden war. Heute indes feiert regelmäßig ein Weihbischof mit der Queergemeinde Eucharistie in der Krypta der münsterschen St.-Antonius-Kirche.
Es hat sich einiges getan seit jenem ersten Gottesdienst im Januar 1999 - doch vor allem am Anfang waren die Reaktionen der damaligen Bistumsleitung so „böse“, wie Pater Michael Baumbach das empfand, dass er heute darüber sagt: „Das hatte etwas Missbräuchliches.“
„Den meisten war das zu heiß“
Baumbach war einer der Initiatoren der münsterschen Queergemeinde – als Mitglied einer Gruppe von Theologen, die sich knapp zwei Dutzend Jahre vor “OutInChurch” mit „schwuler Theologie“ befassten. „Irgendwann aber genügte das Theologisieren nicht mehr“, erzählt er. „Es wurde uns wichtig, das eigene Leben, die eigene Persönlichkeit mit gelebtem Glauben in Verbindung zu bringen, mit Gemeinschaft, mit Eucharistiefeier.“
Und so suchten sie nach einer Gemeinde, in der das möglich sein könnte. „Den meisten Pfarreien war das zu heißt“, erinnert sich Baumbach. Wobei sie sich am wenigsten um die Reaktion von Bischof oder Rom geschert hätten. Angst hätte ihnen etwas anderes gemacht: „Was werden unsere Gemeindemitglieder sagen?“
Suche nach Priestern
Themenwoche Queere Gemeinde
Vor 25 Jahren wurde als eine der ersten bundesweit in Münster die Queergemeinde gegründet, in der lesbische, schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche Gläubige eine geistliche Heimat gefunden haben. In unserer Themenwochen schaut „Kirche-und-Leben.de“ auf die Ursprünge und fragt nach bleibenden Herausforderungen für queere Christ:innen einerseits, die Kirche, ihre Lehre und Seelsorge andererseits.
Ludwig Gotthard, der damalige Pfarrer von St. Sebastian in Münster, habe diese Bedenken nicht gehabt, berichtet Baumbach. „Bei uns sind alle willkommen“, habe der gesagt, „unsere Gemeinde hält das aus.“ Aus dem eigentlichen Gottesdienst anfangs vor allem schwuler Männer, später zunehmend auch lesbischer Frauen habe er sich herausgehalten.
Eine ganze Reihe von Priestern aus dem gesamten Bistum wurde gefragt, ob sie mit der Queergemeinde Eucharistiefeiern können – abwechselnd am Abend jedes zweiten Sonntags eines Monats. Baumbach erzählt schmunzelnd: „Wir haben ganz bewusst vor allem Priester angesprochen, die den Ruf hatten, eher Frauen nahezustehen – damit bloß niemand in den Verdacht geriet, selber schwul zu sein.“
Ein Artikel in „Kirche+Leben“ mit Folgen
Tatsächlich seien rasch viele Priester bereit gewesen, in der Sebastianskirche zu zelebrieren. Und vor allem: Es waren viele queere Menschen, die zu diesem Gottesdienst kamen, weit mehr als erwartet: „Bei der ersten Messfeier hatten wir alles in der Werktagskapelle vorbereitet. Doch es kamen so viele, dass wir in die große Kirche gewechselt sind“, erinnert sich Baumbach. „Wir fühlten uns total bestätigt und waren unglaublich motiviert durch diese Resonanz.“
Und dann war es ein Artikel in „Kirche+Leben“, der 2000 mit der Überschrift „Nach langer Zeit wieder zu Haus“ über einen jungen Mann, die Queergemeinde, die Eucharistiefeier in Münsters Sebastianskirche und weitere Pläne berichtete – eingebunden in Zitate aus Beschlüssen und Empfehlungen des kurz zuvor beendeten Diözesanforums wie etwa diesem: „Die Kirchengemeinden, Verbände und kirchlichen Gruppen sind aufgerufen, sich mit der Homosexualität vertraut zu machen, sodass Hemmschwellen und Vorurteile abgebaut werden können und sich ein differenziertes und respektvolles Verständnis entwickeln kann.“
„Warum denn gleich eine Eucharistiefeier?“
Der Beitrag in der Bistumszeitung indes war offenbar zu viel des Guten. Der eine oder andere besorgte Leser hatte wohl den Beitrag nach Rom geschickt, wo in der Amtszeit von Johannes Paul II. Denunziation erfolgreich Gang und Gäbe war. Von dort gab es protokollarisch einen offiziellen Rüffel über den Bischof von Münster an die Redaktion von „Kirche+Leben“. Zudem zitierte der für Münster zuständige Regionalbischof Friedrich Ostermann (+ 2018) die Initiatoren der Queergemeinde zu sich, „den Artikel mit vielen handschriftlichen Anmerkungen daran vor sich“, erzählt Pater Baumbach.
Und er erinnert sich, dass Ostermann gesagt habe: „Warum muss das denn eine Eucharistiefeier sein? Warum denn gleich das Heiligste und Höchste?“, so Baumbach. Am Ende sei klar gewesen: Der Queer-Gottesdienst darf keine Messe mehr sein. „Zelebranten wurden darauf hingewiesen, dass sie dazu keine Erlaubnis haben.“ Schriftlich sei das indes nie festgehalten worden. Dennoch blieb es zunächst „nur“ bei Wortgottesdiensten.
„Das hatte etwas Missbräuchliches“
Im Rückblick sagt Baumbach: „Es fühlte sich mies an, wie eine Ablenkung vom Wesentlichen. Uns wurde scheinbar großzügig etwas zugesagt, nämlich überhaupt Gottesdienst zu feiern, aber die Eucharistiefeier wurde uns versagt.“ Seine Bewertung: „Letztlich wurde uns etwas angetan, ohne dass wir es merken sollten. Das hatte etwas Missbräuchliches.“ Das sei so ähnlich wie jüngst bei den vatikanisch erlaubten Segnungsfeiern für queere Paare: „Man darf segnen, aber nicht so richtig“, so der Ordensmann.
Lange verfangen hat das Eucharistieverbot für die Queergemeinde in Münster jedoch nicht. „Wir haben das knapp fünf Monate durchgehalten, dann war uns klar, ohne das wir das richtig begründen konnten: Das passt so nicht.“ An Palmsonntag 2001 haben sie darum einfach wieder angefangen, Eucharistie zu feiern. Anfangs hätten hinten in der Kirche drei Personen gestanden, die keiner kannte. Irgendwann gingen sie, und eine Frau aus dem Liturgie-Team habe ihm zugeraunt: „Judas ist gegangen.“ Heute sagt Baumbach: „Und so feiern wir einfach Eucharistie, selbstbewusst, regelmäßig, einmal im Monat, weil es uns wichtig ist. Wir haben dazu nie wieder etwas von der Bistumsleitung gehört.“
„Heimat für viele Menschen“
Seitdem feiern christliche Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender an jedem zweiten Sonntag im Monat die heilige Messe in der Queergemeinde, seit Längerem schon in der Krypta der St.-Antonius-Kirche – und immer wieder kommt auch Münsters emeritierter Weihbischof Dieter Geerlings als Zelebrant. „Natürlich ist jeder willkommen, auch wenn er oder sie nicht queer ist“, betont Pater Baumbach.
Und darum sei die Queergemeinde wichtig, ist er überzeugt. „Weil sie Heimat ist für eine ganze Reihe von Menschen, das zuallererst und in der ganzen Ambivalenz von Heimat, die auch manches Problematische verklärt“. Die Gemeinde sei aber auch wichtig für das Bistum Münster, sagt er – nicht ohne Kritik: „So kann man, wenn auch nicht ganz unberechtigt, nämlich auch sagen: Wir tun was! So weit sind wir bei uns schon!“
Maltes Tod und eine beachtete Rede
Auch für die Stadt Münster sei die Queergemeinde von Bedeutung, wie sich etwa nach der Tötung von Malte beim Christopher-Street-Day 2022 gezeigt habe. Die Tat hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Bei einer Gedenk- und Demonstrationsveranstaltung vor dem Historischen Rathaus wenige Tage später mit mehr als 5.000 Teilnehmenden hatte auch Jan Baumann gesprochen, ausdrücklich für die Queergemeinde, und für seine Rede viel Aufmerksamkeit und Applaus erhalten.
Und in der Pfarrei St. Joseph Münster-Süd, heute Heimat der Queergemeinde nach diversen Fusionen, Auslagerungen und Rückkehren, und mit traditionellen Gottesdiensten auch in Heilig Geist zum Christopher-Street-Day samt Hissen der Regenbogenfahne an der Kirche, gehöre sie ganz selbstverständlich dazu, erzählt Michael Baumbach: „Als vor Kurzem das neue Leitungsteam der Pfarrei aus Haupt- und Ehrenamtlichen eingeführt wurde, war Jan Baumann von der Queergemeinde selbstverständlich einer derjenigen, die offiziell die Ernennungsurkunden vorlasen. Ganz sicher mit gutem Grund.“