Jubiläum mit Regenbogen und einem Weihbischof fast im Zentrum des Bistums

Angst, Stolz und ein zaghafter Segen: Queergemeinde Münster feiert 25 Jahre

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Bis in den Dom haben sie es nicht geschafft, aber fast: Die Queergemeinde Münster feiert im Priesterseminar ihr 25-jähriges Bestehen. Mit dabei: ein Weihbischof, Verletzungen und ein großes Aufatmen.

Rund 200 Menschen haben in Münster das 25-jährige Bestehen einer der ersten deutschen Queergemeinden gefeiert. In einem ökumenischen Gottesdienst in der Überwasserkirche dankte Weihbischof Dieter Geerlings für das „Glaubenszeugnis der Queergemeinde“. Sie habe dazu beigetragen, dass sich der Umgang der katholischen Kirche mit queeren Menschen gewandelt habe. Er selber habe als einer der Zelebranten der monatlichen Eucharistiefeier „viel gelernt“. Dafür sei er dankbar. 

Dem Gottesdienst standen neben Geerlings Münsters evangelischer Superintendent Holger Erdmann und Pfarrerin Klara Robbers von der altkatholischen Kirche vor. Mit dem Weihbischof segneten sie am Ende vom Altar aus die mutmaßlich vornehmlich queeren Menschen im Kirchenschiff.

Ärger und Verletzungen

Die Queergemeinde Münster wurde 1999 von einer Gruppe schwuler Theologen gegründet. Seitdem feiern immer am zweiten Sonntagabend im Monat lesbische, schwule, bisexuelle und transgeschlechtliche wie auch heterosexuelle Gläubige gemeinsam die heilige Messe - zunächst in der St.-Sebastian-Kirche, heute in der Krypta der St.-Antonius-Kirche. 

Anfangs gab es deshalb massiven Ärger mit der Bistumsleitung in Münster und sogar mit dem Vatikan. Die vielen Verletzungen, Verrat und Vertuschung, Denuziationen und Diskriminierungen, Bedrohungen und Ängste nahmen breiten Raum im Jubiläums-Gottesdienst ein. 

Und doch würdigte Gemeindesprecher Jan Baumann auch den „immer besser werdenden Kontakt zur Bistumsleitung“ und Entwicklungen in der katholischen Kirche wie etwa durch die Aktionen „Liebe gewinnt“, „OutInChurch“ oder die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts. Seither müssen queere Mitarbeitende der katholischen Kirche nicht mehr den Verlust des Arbeitsplatzes befürchten.

Geerlings: Binnenpluralismus gestalten

Dennoch sei auch heute längst nicht „alles im Lot“, stellte Geerlings in seiner Predigt in der Überwasserkirche klar. Die Herabwürdigung queerer Menschen durch die kirchliche Lehre nannte er „menschenverachtend“. Ausgehend vom Evangelium der Frau am Jakobsbrunenn betonte der emeritierte Weihbischof: „Kirchen dürfen nicht diskriminieren vom Wasser des Lebens.“ Jesus selbst hole die Menschen aus der Ausgrenzung und mache sichtbar, dass Gott ein Gott der Liebe sei, der alles aus Liebe geschaffen habe. Darum gelte: „Queere Menschen sind so geschaffen. Punkt.“

Geerlings sprach auch die „holprige“ vatikanische Ermöglichung eines Segens für queere Paare an. Sie war zwar in Münster und in Deutschland auf positives Echo, weltkirchlich jedoch auf viele ablehnende Reaktionen gestoßen. In Sachen Segnung sei wohl tatsächlich noch einiges zu klären, so Geerling. Darüber hinaus aber müsse die Kirche sich fragen, „wie Binnenpluralismus zu gestalten und auszuhalten ist“.

Genn: Ein bisschen offen genügt nicht

Beim anschließenden Festakt im Priesterseminar Borromaeum verlas Geerlings ein Grußwort des Bischofs von Münster. Darin dankt Felix Genn der Queergemeinde für ihr Bemühen, Grenzen zu überwinden. 

Er gebe seine persönliche Zusage, so Genn, den Synodalen Weg weiterzugehen und „beharrlich daran weiterzuarbeiten“: „Der Weg in die Kirche darf nicht ein bisschen offen sein, sondern er muss so gestaltet sein, dass alle Menschen willkommen sind und freudig kommen können.“

Stadtdechant und Bürgermeisterin

Am Festakt im Priesterseminar nahmen neben zahlreichen Mitgliedern, Zelebranten und Predigerinnen der Queergemeinde wie die Franziskanerin Schwester Katharina Kluitmann und der Münsteraner Pfarrer Clemens Kreiss auch Angehörige der Pfarrei St. Joseph Münster-Süd teil, der die Gemeinde zugeordnet ist. Darüber hinaus waren zu sehen Münsters Stadtdechant Ulrich Messing, sein Vorgänger und heutige Coesfelder Kreisdechant Jörg Hagemann, der ehemalige Generalvikar Norbert Köster und der zur Gründungszeit als Dechant zuständige Pfarrer Thomas Frings, heute in Köln lebend. 

Überdies nahm in Vertretung von Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe die Bürgermeisterin Maria Winkel teil sowie Vertretende von christlichen Queergemeinden in anderen Städten und queeren Gruppen in der Stadt Münster. 

Wachsende Queerfeindlichkeit

Jan Baumann, der mit Frank Linnemann am Saxophon den vorangegangenen Gottesdienst an der Orgel begleitet hatte, begrüßte alle Gäste freudig als „liebe Gotteskinder“ und lobte die Anti-AfD-Demonstration tags zuvor mit mehr als 20.000 Teilnehmenden auf Münsters Domplatz. In einer „Zeit voll Hass und Hetze, Krieg und Gewalt, in der Fremden- und Queerfeindlichkeit wieder größer zu werden scheinen“, schafften Vernetzungen wie die mit anderen queeren Gruppen, mit der Stadt und mit der Kirchenleitung „Sicherheit, sicheres Auftreten und neue Perspektiven“. 

Baumann führte durch das Programm des Festakts, in dem die Kölner Crossover-Elektro-Formation „MoveDove“ mit spacigen Psalm-Vertonungen begeisterte.

Horstmann: Konversiontherapien im Bistum Münster

Die Diversitäts-Beauftragte des Bistums, Iris Horstmann, erinnerte an dunkle Zeiten in der Diözese vor knapp 20 Jahren. Auch das Bistum Münster habe seinerzeit Konversionstherapien in Auftrag gegeben, mit denen homosexuelle Menschen vermeintlich „geheilt“ werden sollten; heute sind derlei Behandlungen verboten. 

Horstmann räumte zudem ein, das Bistum habe die Queergemeinde anfangs intensiv beobachtet: „Teilnehmende wurden angerufen, Kündigungen für kirchliche Mitarbeitende standen im Raum.“ 

Fürchterliches Schweigen

Noch bei der Vorbereitung des Bistumsjubiläums 2005 habe es lautstarken Widerstand sowohl des damaligen Bischofs Reinhard Lettmann als auch von Mitgliedern des Diözesanrats gegen einen Infostand queerer Gläubiger gegeben. Das Schweigen angesichts solcher Äußerungen damals sei fürchterlich gewesen – „und auch ich selber habe damals nichts gesagt“, bekannte Horstmann in ihrem Festtags-Statement. 

Heute mache sie gleichwohl ein „Tauwetter in der katholischen Kirche“ aus, nicht zuletzt durch das Engagement der Queergemeinde Münster: „Ihr habt das auch für das Bistum Münster getan. Nur, wenn wir uns verändern, werden wir bleiben.“

Baumbach: Es geht um Menschenwürde

Pater Michael Baumbach, einer der Initiatoren der Queergemeinde, betonte angesichts des Veranstaltungsorts, die Gemeinde sei in 25 Jahren so reif geworden, „dass sie sich traut, in der Schmiede der Priesterausbildung einen Festakt zu veranstalten“. Er erinnerte an den „Zauber des Anfangs“, aber auch an „den Geruch der Angst“ in den Nasen jener, die damals zu den ersten Gottesdiensten kamen. 

Bis heute gibt es laut Baumbach Denunziation und Drohung. Indes seien diejenigen weiter notwendig, „die kritisch fragen, die mit dem kreativen Stift. Die Menschen mit dem Koffer voller Ideen, mit der Gitarre, die begleitet“, nicht zuletzt „die mit dem Bischofsstab, der nicht schlägt, sondern beschützt, wie wir es heute erlebt haben.“

Menschenrechte und Menschenfreund

In den Gottesdiensten der Queergemeinde gehe es letztlich nicht um Zugehörigkeit und Anerkennung, so Baumbach, sondern um die Menschenrechte. „Es wird unsere Gesellschaft, unsere Kirche und uns selbst verändern, wenn wirklich das auf der Tagesordnung steht: Menschen und ihre Rechte, ihre Würde.“ 

Darum gehe es wirklich im Gottesdienst. „Und der große Menschenfreund wird auf uns schauen und lächeln und sagen: Hab' ich gut gemacht. Bleib ich dran.“

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