Pfarrer ist als Wallfahrtsseelsorger tätig

Was fasziniert Pilger am Wallfahrtsort Kevelaer, Herr Innig?

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„Kevelaer ist bedeutsamer als viele denken“, sagt Pfarrer Heiner Innig. Seit Februar 2022 ist er Wallfahrtsseelsorger an diesem Ort am Niederrhein, an dem Jahr für Jahr Hunderttausende von Pilgerinnen und Pilger das Heiligtum der „Trösterin der Betrübten“ verehren. Im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“ erklärt der 55-Jährige, der 22 Jahre große Pfarreien im Bistum Münster geleitet hat, das Faszinierende an dieser Stätte der Besinnung und warum kirchliche Strukturdebatten nur sehr wenig mit dem religiösen Bedürfnis der Menschen zu tun haben.

Herr Innig, warum ist Kevelaer so wichtig für die spirituelle Dimension der katholischen Kirche?

Der mütterliche Aspekt durch Jesu Mutter ist Teil unserer Religion, der katholischen Kirche. Die Gottesmutter, hier in Kevelaer dargestellt durch das Gnadenbild, wird von Frauen und Männern verehrt. Im übertragenen Sinn zeigt das Bild der Gottesmutter: Mütter trösten. Das Wichtigste an dem Wallfahrtsort sind die Pilgerinnen und Pilger, die offenkundig auf den Schultern von Riesen stehen, die seit Jahrhunderten kommen. Einige Gruppen pilgern tatsächlich seit Jahrhunderten nach Kevelaer. Das erkennt man an den Schildern in der Kerzenkapelle. Sie sind zum Teil 350 Jahre alt und älter. Aber das Wichtige ist, dass die Menschen hier gezielt hinkommen, weil sie etwas mitbringen in ihrem Inneren, aus ihrer Lebenswelt, aus ihrer Geschichte, und weil sie etwas erwarten, wenn sie hier sind: nämlich Trost, Gemeinschaft und ein religiöses Erlebnis. Bedeutungsvoll ist, dass es diesen besonderen Ort gibt, an denen Menschen außerhalb ihres Alltags, auch ihres kirchlichen Alltags, etwas für sich geistlich und persönlich tun können.

Was können Menschen in Kevelaer spüren oder erfahren?

Im Grunde immer beides. Etwas ganz für sich allein: Es gibt genügend Räume, Ecken und Gebetsstätten, in die sie sich zurückziehen können, Spazierwege und gleichzeitig Gemeinschaft mit Bekannten oder Unbekannten. Sie treffen Gleichgesinnte, egal ob sie zur Anbetung gehen, den Kreuzweg beten oder an irgendeiner Führung oder Andacht teilnehmen. Gleichzeitig spüren die Menschen, dass sie hier eine engere Verbindung zu Jesus, zu Gott, zu Jesu Mutter, zu den Heiligen haben. Sie sagen das uns Seelsorgern und schreiben das in die Fürbittbücher. Die Menschen können in Kevelaer erleben, dass ihr Vertrauen auf die Fürbitte Mariens und den Schutz Gottes einen Widerhall findet in ihrem Inneren, wenn sie hier den Wallfahrtsort besuchen.

Wie gestalten Sie die Wallfahrtsseelsorge? Was sind Ihre Aufgaben?

Ich habe einmal programmatisch gesagt, fast flammend: Ich bin händeringend bemüht, zu verhindern, dass der Pilgerbetrieb, die Frömmigkeit und die einzelnen Gebetsformen zu Museumsstücken oder zur Folklore erstarren. Eine meiner wesentlichen Aufgaben ist es, die Dinge aus der Museumsecke zu holen, zu aktualisieren, zu deuten.

Wie machen Sie das?

Hier ist so eine Überfülle an kirchlicher Kunst aus allen Epochen, das können sie nicht alles zeigen und beschreiben. Ich greife eins heraus und verbinde es mit dem Leben von Menschen der Gegenwart und/oder mit Gedanken aus dem kirchlichen Glauben oder aus der Bibel. Nichts anderes habe ich in der Pfarrei als Seelsorger auch gemacht, nur eben ohne einen Wallfahrtsort. Ich bin nach wie vor Übersetzer und Vermittler. Und ich bin dazu da, sehr zugewandt zu arbeiten, mit den Menschen, die hier leben, die sehr regelmäßig kommen aus der näheren Umgebung oder die eben nur sehr punktuell oder einmal im Leben hier sind. Sich denen zuzuwenden, christliche Gastfreundschaft spirituell und auch menschlich zu leben und diese zu bieten, ist ein wesentliches Merkmal.

Was kann die Kirche von Münster von Kevelaer lernen?

Seit Jahren wird bei den Wandlungsprozessen unserer Pfarreien von alternativen und neuen Formen der Seelsorge oder des religiösen Lebens gesprochen. Hier, in Kevelaer, ist alles da. Die Menschen kommen von selbst, sie kommen freiwillig, sie kommen in ihrer Freizeit, sie kommen als Gruppe oder allein und sie sind grundsätzlich in irgendeiner Form präsent und ansprechbar. Sie gehen an Schriftenstände, in Kirchen. Wir können hier eine alternative Sonderform der Einzel- und Gruppenseelsorge, gottesdienstlich wie in der Gesprächsform wie in Gruppen erleben und üben. Die alternativen Formen sind also schon da. Wir müssen sie nur mit den Lebenswelten der Gegenwart verbinden. Die Kirche von Münster ist gut beraten, diesen Wallfahrtsort personell und strukturell weiter gut auszustatten, denn hier geschieht etwas, was ansonsten an sehr vielen anderen Orten nicht ansatzweise in dieser Größenordnung erlebbar wird.

Wie sieht Ihre berufliche Zukunft in Kevelaer aus?

Zum einen bin ich ernannt für die Pfarrseelsorge und für die Wallfahrtsseelsorge, egal wie die Struktur der Pfarreien sich hier und in dieser Gegend entwickeln wird. Ich werde weiterhin Kinder taufen, Paare trauen, Menschen beerdigen und Angebote in der Katechese machen. Das ist aber nur ein Teil meiner Tätigkeiten. Ich bin dauerhaft vorgesehen für priesterliche Dienste hier in der Wallfahrt. Das war auch eine einzig echte Überraschung für mich: die Dimensionen, die Größenordnung und die Intensität der Seelsorge, die hier verlangt wird durch die Menschen, die kommen. Diesem Verlangen und dieser Anforderung stelle ich mich gern, aber das ist hoch anspruchsvoll.

Was verlangt Ihr priesterlicher Dienst?

Ich bin froh über jede Erfahrung, die ich mitbringe, und alles, was ich irgendwann mal gelernt habe. Das kann ich hier alles gebrauchen: interkulturell wie sprachlich wie pastoral oder auch psychologisch, soziologisch. Ich bin langfristig hier, um in diesem Gesamtgebilde die Rolle eines Liturgen, Katecheten und Begleiters auszufüllen.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Der Priestermangel erfordert neues Denken. Die Verantwortung von Laien nimmt zu. Was bedeutet das für Kevelaer? Was können ausgebildete Laien an diesem besonderen Ort tun?

Praktisch alles, außer die Beichte abzunehmen und zu konsekrieren. Hier ist aber ansonsten alles schon da. Hier sind ehrenamtliche und hauptamtliche Laien in sämtlichen Funktionen tätig. Einige Ordensbrüder und Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten sind hier ganztägig im Wallfahrtsgeschehen aktiv beteiligt. Einfach gesagt können Priester und Laien hier Schulter an Schulter den ganzen Tag auf Augenhöhe gleich arbeiten. Das wird hier längst gelebt. Und deswegen ist das eigentlich keine Zukunftsfrage.

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