Zu Besuch zwischen Marienbasilika und Gnadenkapelle

Eine Stunde Kirche konkret (3): Auf dem Kapellenplatz in Kevelaer

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Was geschieht in einer Stunde? Die Reporter von "Kirche-und-Leben.de" haben 60 Minuten lang hingeschaut, begleitet, zugehört. Und aufgeschrieben. Mehr nicht. An vier Orten im Bistum Münster, an denen Kirche auf ganz unterschiedliche Weise konkret wird. Heute auf dem Kapellenplatz in Kevelaer zwischen Marienbasilika, Gnadenkapelle, Kerzenkapelle und Beichtkapelle.

Wohl wenige Menschen sind mit so schöner Regelmäßigkeit auf dem Kapellenplatz unterwegs wie Marvin (30), und zwar „seit 15 oder 16 Jahren jeden Tag“, schätzt er. Sein Morgen startet mit einem Stoßgebet in der Beichtkapelle. Wie er anschließend die Passanten rund um die Gnadenkapelle anspricht, hat er sich gut überlegt, schließlich will er niemandem auf die Nerven gehen: „Nach 50 Cent fragen, das nimmt mir keiner übel. Fünf Euro wären zu viel.“

Marvin stammt aus Kevelaer, ist „bei Freunden untergebracht“, so nennt er seine Wohnverhältnisse, und er spricht mit der durchdringenden Stimme eines Menschen, der viel draußen auf der Straße ist. 

„Die Leute auf dem Platz sind superhöflich“ 

Während er noch sinniert, ob es nicht doch korrekt wäre, nach einem Euro zu fragen, bringt ihm jemand ein belegtes Brötchen vorbei. „Dreimal am Tag muss ich essen“, sagt Marvin, „wenn ich kein Frühstück hatte, kriege ich mittags richtig Hunger.“ Unzufrieden sieht er nicht aus, im Gegenteil: „Die Leute auf dem Platz sind superhöflich, und die geben auch Geld.“ Davon wird er sich gleich zum Brötchen noch ein Getränk kaufen. 

Mit 17 ist er damals raus aus der Familie. Erst auf der Straße und dem Kapellenplatz hat er gemerkt, „dass man gar nicht so blöde ist, wie man zu Hause behandelt wurde“. Immerhin hatte er noch die Fachoberschulreife gepackt, gelte jetzt aber trotzdem als arbeitsunfähig: „Die ARGE sagt, ich bin vergesslich.“ Raucht er vielleicht was Falsches? Marvin grinst und schweigt, ist aber bereit für ein Foto und positioniert sich dafür mitten auf dem großen, leeren Platz. 

In Kevelaer um Regen gebetet, dann soff der Garten ab

Ein paar Meter weiter an der Außenmauer der Kerzenkapelle entzünden Karl-Heinz (84) und Monika (72) einige Kerzen. „Ein paar Jahre war ich nicht mehr hier“, erzählt Karl-Heinz, „früher war viel mehr Betrieb, da kam ich gar nicht nah ran an das Gnadenbild.“ Da fällt ihm gleich eine alte Geschichte ein: Wie damals der Schrebergarten unter einer Sommerdürre litt und er zu seiner damaligen Frau Waltraud sagte: "Ich muss doch mal wieder in Kevelaer eine Kerze anstecken."

Drei Tage später soff der Garten in den Regenfluten fast ab, und Waltraud drohte scherzhaft: "Geh du mir noch mal nach Kevelaer…". Jetzt ist er wieder hier, es gibt einen Anlass: Zusammen zünden Karl-Heinz und Monika Lichter für ihre längst verstorbenen früheren Ehegefährten an – „und für uns beide“, sagt Monika. 

„Ort der Besinnung“ – „Abschreckender Prunk“

Vis à vis der Basilika machen zwei Männer Rast auf einer schattigen Bank. Heinrich (74) aus Herford und Dors (70) aus Straßburg umrunden ganz Deutschland mit dem Fahrrad. Seit fünf Jahren sind sie immer wieder unterwegs, nun auf der vorletzten Etappe: 360 Kilometer von Aachen nach Emden. Landschaften und Kulturen zwischen Tschechien und dem Niederrhein kennenzulernen und überall mit Menschen ins Gespräch zu kommen, das finden die Männer reizvoll.

Wie finden sie Kevelaer? „Für mich hat das hier etwas Spirituelles, es ist ein Ort der Besinnung“, sagt Historiker Heinrich. Dors dagegen ist zwar mit der Kirche und einem „großartigen Heimatpfarrer“ herangewachsen, war Messdiener und Lektor. Aber: „Ich habe mich von der Kirche wegentwickelt und bin dann ausgetreten. In Kevelaer begegnet mir zu viel abschreckender Prunk.“

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