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Nach gut 18 Jahren als Leiter der Gemeinschaft von Taizé gibt der deutsche Katholik Frère Alois (Löser, 69) zum ersten Advent den Stab weiter an den britischen Anglikaner Frère Matthew (Andrew Thorpe, 58). Ein Gespräch über Pläne, über die Missbrauchsfälle in Taizé – und über Frauen in der Gemeinschaft.
Frère Alois, was ist das für ein Gefühl, nach 18 Jahren zurück ins Glied zu treten?
Frère Alois: Es ist ein neuer Lebensabschnitt für mich, aber auch für die ganze Communauté! Ich habe das Gefühl eines Aufbruchs, der aber bereits seit zwei Jahren vorbereitet wird. Schon vor längerer Zeit habe ich den Brüdern gesagt, dass wir in eine neue Lebensphase eintreten. Und, dass es gut ist, dass die Communauté dafür einen neuen Prior hat.
Frère Matthew, wie ist Ihnen zumute?
Frère Matthew: Ich kann mich auf meine Brüder stützen; sie sind sehr gut zu mir. Als Frère Alois mir die Frage gestellt hat, ob ich diese Aufgabe übernehmen könnte, habe ich nicht sofort Ja gesagt. Aber nach einem anfänglichen Zögern war ich bereit und gehe die Aufgabe mit einem inneren Frieden an. Ich konnte Ja sagen, auch durch Gespräche mit Menschen von außerhalb der Communauté. An diesen Punkt kann ich mich noch gut erinnern, wie an einen Gründungsmoment. Ich empfinde große Dankbarkeit gegenüber Frère Alois für alles, was er in diesen 18 Jahren und davor für die Communauté getan hat. Er hat uns durch eine schwierige Zeit und auf einen neuen Weg des Austauschs innerhalb unserer Brüdergemeinschaft geführt. Wir sind jetzt freier in unseren Gesprächen, das ist sehr schön.
Was meinen Sie mit „freier sprechen“?
Frère Matthew: Während der Pandemie mussten wir in kleinen Gruppen leben, um Ansteckungen zu vermeiden und die älteren Brüder zu schützen. Das hat uns zu einem neuen Miteinander gebracht. Es hat uns erlaubt, einander noch tiefer kennenzulernen.
Haben Sie in den vergangenen Monaten eine Art „Lehre“ gemacht bei Frère Alois?
Frère Matthew: Wir haben natürlich unsere Regel, die unser Gründer, Frère Roger, geschrieben hat. Das ist für uns eine Art Lebensbuch. Und, ja, natürlich habe ich in den vergangenen Monaten viel mit Frère Alois gesprochen. Aber er hat mir auch viel Freiheit für meine eigenen Ideen und Impulse gelassen.
Frère Roger hat dafür Sorge getragen, dass der historische und administrative Rucksack der Gemeinschaft klein bleibt – keinen Besitz, wenig Strukturen. Wie muss man sich das „Gedächtnis“ von Taizé vorstellen, das da jetzt übergeben wird?
Frère Alois: Wir sind eine Gemeinschaft von knapp 90 Brüdern, also nicht besonders groß. Daher spielen die persönlichen Beziehungen eine wichtige Rolle. Nach dem Tod von Frère Roger war die Einheit unter uns Brüdern für uns alle eine große Hilfe. Es stimmt, dass wir wenig Strukturen haben. Vielleicht sind wir bis jetzt immer noch in der Anfangszeit unserer Communauté gewesen. Aber wir spüren nun, im Übergang zu einem neuen Prior, dass für die Kontinuität auch gewisse Strukturen notwendig sind: Mehr Beteiligung aller Brüder an der Entscheidungsfindung, auch in materiellen und pastoralen Fragen. Frère Roger als Gründer war eine charismatische Persönlichkeit. Er hat einen deutlichen Weg gezeigt und wir Brüder sind diesen Weg mit ihm gegangen. Für die Zukunft müssen wir nun einfache Strukturen finden, um gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Das bedeutet ein starkes Aufeinander-Hören, auch noch mehr auf die Brüder, die von den anderen Kontinenten kommen. Das Interkulturelle in unserer Gemeinschaft ist ein großer Schatz und gleichzeitig eine große Aufgabe, an der wir weiterarbeiten müssen.
Frère Alois, wo werden Sie künftig leben?