Welttag der Suizidprävention am 10. September

Was tun, wenn jemand Suizidgedanken äußert, Herr Grundhoff?

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Den Welttag der Suizidprävention begehen Verbände und die Weltgesundheitsorganisation seit 2003 am 10. September. Wie viele Menschen nehmen sich das Leben? Was kann man tun, um dies zu verhindern? Antworten von Michael Grundhoff, dem hauptamtlichen Leiter der ökumenisch getragenen Telefonseelsorge Hamm. Sie ist für diese Stadt, für den Altkreis Beckum im Kreisdekanat Warendorf und den Altkreis Soest zuständig.

Herr Grundhoff, wie oft ist Suizid Thema in Gesprächen der Telefonseelsorge?

Etwa 15 Prozent der Gespräche, die wir 2022 von Hamm aus geführt haben, behandelten das Thema Suizid. Bei den Chats waren es sogar fast 20 Prozent. Es melden sich nicht nur suizidgefährdete Menschen, sondern auch viele, die durch den Suizid eines Verwandten, Arbeitskollegen oder Freundes betroffen sind. In Deutschland gibt es etwa 10.000 Suizide jedes Jahr. Das sind mehr Menschen als bei Verkehrsunfällen, durch illegale Drogen und Gewaltverbrechen zusammen zu Tode kommen. Die Zahl der Suizidversuche liegt mehr als zwanzig Mal höher. Und noch viel größer ist die Zahl jener Menschen, die sich ernsthaft mit dem Gedanken beschäftigen.

Wie geht Ihr Team damit um, wenn Menschen über Suizid nachdenken?


Michael Grundhoff leitet die Telefonseelsorge Hamm am südlichen Rand des Bistums Münster. | Foto: pd

Der Kontakt zur Telefonseelsorge kann ein letzter Hilferuf sein. Die Menschen melden sich ja bei uns. Das heißt: Sie wollen noch etwas, haben den Entschluss offenbar noch nicht endgültig gefasst. Da ist es wichtig, dass unsere geschulten Ehrenamtlichen – wir in Hamm haben 92 – nicht in Hektik verfallen. Sie versuchen, ins Gespräch und in Beziehung zu kommen, zuzuhören, Beweggründe zu erfahren. Wichtig dabei ist, nicht in die Verantwortung zu kommen, die Hilfesuchenden retten zu „müssen“ – letztlich entscheidet jeder Mensch selbst, was er tut. Es gibt auch nicht den „goldenen Satz“, der die Krise beendet. Wir erfahren auch nicht, ob jemand nach einem guten Gespräch nicht trotzdem sein Leben beendet. Die Gespräche verlaufen anonym. Aber es kann sein, dass die dunkelsten Gedanken nach dem Gespräch erst einmal verschwunden sind. Einfach, weil sich jemand Zeit genommen, zugehört und das Besprechen des Themas ausgehalten hat.

Hat die Zahl der Menschen zugenommen, die sich mit Suizidgedanken melden – etwa in der Corona-Zeit?

Da sehe ich kaum Veränderungen, auch in der Pandemie nicht. Es mögen mal fünf Anrufe mehr gewesen sein, aber das sind keine belastbaren Zahlen. Grundsätzlich gilt: Es gab und gibt immer Menschen, die in einer bestimmten Situation keinen Ausweg mehr zu sehen glauben.

Was tun, wenn im eigenen Umfeld jemand Suizidgedanken äußert?

Dabeibleiben, sprechen, nachfragen. Es gibt ja oft Anzeichen. Menschen ziehen sich zurück, sind nicht mehr so gesellig. Oder sie verschenken plötzlich Dinge, die ihnen ganz wichtig sind. Zum Beispiel die Gitarre, auf der sie fast täglich gespielt haben. Wenn man das bemerkt, sollte man auf denjenigen zugehen und sagen: „Wenn Du ein Problem hast, ich bin da. Mir liegt etwas an Dir, ich halte das aus.“ Oder man bietet im Gespräch an, gemeinsam zu Hilfsangeboten zu gehen, zu Ärzten oder in die Ambulanzen von Kliniken. Lieber einmal zu viel nachfragen als einmal zu wenig!

Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe
Menschen mit Suizidgedanken können sich an die Telefonseelsorge wenden. Sie ist unter den Rufnummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 täglich rund um die Uhr erreichbar, berät kostenfrei und anonym. Der Anruf findet sich weder auf der Telefonrechnung noch in der Übersicht der Telefonverbindungen wieder. Es gibt auch eine E-Mail-Beratung. Sie läuft über die Internetseite der Telefonseelsorge und ist daher nicht in Ihren digitalen Postfächern zu finden. Hier geht es zur Telefonseelsorge.

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