Sonnenhungrige vor der Heilig-Kreuz-Kirche in Münster bekommen Besuch von Pater Egide

Wenn der Pastor mit Kaffee zur „Liegewiese“ kommt

  • Die Wiese um die Heilig-Kreuz-Kirche in Münster haben die Anwohner mit Bänken und Stühlen zum Sonnentreff umfunktioniert.
  • Pastor Egide Muziazia versorgt sie jeden Tag mit Kaffee und Tee.
  • Er kommt mit vielen Sonnenhungrigen ins Gespräch, sie schätzen ihn als Zuhörer.

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Sie sitzen nicht im Schatten der Kirche, sondern auf der Sonnenseite. Und das im doppelten Sinn: An der Südseite von Heilig-Kreuz in Münster machen sich wie an jedem sonnigen Tag die Menschen breit. Die Wiese vor dem neugotischen Bau hat sich schon früh mit Sonnenhungrigen gefüllt. In Lockdown-Zeiten ist der grüne Fleck für viele zum Gartenersatz geworden. Und pünktlich um zwei Uhr kommt Pater Egide Muziazia mit frischem Kaffee und Tee.

„Die Kirche zeigt hier ihr schönstes Gesicht“, sagt Maria Siam. Sie hat es sich auf zwei Stühlen direkt an der Sandsteinmauer der neugotischen Kirche bequem gemacht. In dem Raum hinter ihr hat ihr Sohn einmal geheiratet. Sie selbst ist keine Kirchgängerin. Als sie im Lockdown aber sah, wie immer mehr Stühle und Bänke auf die Wiese davor gestellt wurden, war das wie eine Einladung für sie. „Genau so sollte Kirche sein – offen, friedfertig, verbindend.“

 

„Das glaubt mir keiner“

 

Auf der großen Wiese vor der Heilig-Kreuz-Kirche gibt es viele ruhige Fleckchen. | Foto: Michael Bönte
Auf der großen Wiese vor der Heilig-Kreuz-Kirche gibt es viele ruhige Fleckchen. | Foto: Michael Bönte

Ihre Freundin zückt indes ihr Handy. „Das muss ich fotografieren, das glaubt mir keiner.“ Sie meint Pater Egide, der gerade mit Joost Feddersen, dem Freiwilligendienstler der Pfarrgemeinde, und den Thermoskannen anrückt. „Warum nicht?“, fragt der aus dem Kongo stammende Pastor. „Wer zu uns zur Kirche kommt, ist immer herzlich willkommen.“

Das überrumpelt einige augenscheinlich. „Was bekommen Sie denn dafür?“, ist die häufigste Frage, die sie hören. Wenn der Pater dann dankend abwinkt, ist das Erstaunen groß. Viele zücken trotzdem das Portemonnaie. Wenigstens für den Klingelbeutel soll es etwas geben. Der Pastor quittiert das auf seine fröhlich-afrikanische Art. „Der Kaffee ist es auf jeden Fall wert.“ Bei den nächsten Gästen lehnt sich Pater Egide lachend noch ein ganzes Stück weiter aus dem Fenster: „Das ist ein gesegneter Kaffee – wer ihn trinkt, ist auch gesegnet.“

 

Bunte Gästeschar

 

Die Gästeschar ist bunt gemischt. Hier die alte Dame, die sichtbar erfolgreich an ihrer Sonnenbräune arbeitet. Dort das junge Paar, das verliebt ein Eis schleckt. Oder die Familie mit kleinen Kindern, die auf einer Decke herumtollen. Die Stühle und Bänke sind wie im ersten Lockdown nach und nach auf die Wiese gestellt worden. Die Anwohner haben sie von ihren Balkons und Terrassen mitgebracht und auch für andere Gäste dort stehen gelassen. Die Fläche vor der Kirche bietet im Vergleich zu ihren Wohnungen für viele eine ersehnte Weite.

Auch für Salie und Anna. Die beiden Studentinnen wohnen in einer WG mit „viel zu kleinem Balkon“. Anna ist kürzlich das Handy über die Brüstung gefallen, jetzt will sie das mit ihrem Laptop nicht auch noch riskieren. Wenn es das Wetter zulässt, sitzen die beiden jeden Tag auf einer Decke vor der Kreuzkirche und lernen für ihre Prüfungen. „Heute waren wir schon um 10 Uhr hier.“ Bis gerade ununterbrochen in der Sonne. Jetzt müssen sie die Decke ein wenig weiterziehen, weil der Schatten des Kirchturms zu ihnen herübergewandert ist.

 

Smalltalks werden zu intensiven Gesprächen

 

Besuch und Gespräch: Oft bleibt es nicht nur beim Kaffee. | Foto: Michael Bönte
Besuch und Gespräch: Oft bleibt es nicht nur beim Kaffee. | Foto: Michael Bönte

„Gerade jetzt in der Corona-Zeit, wo es nicht viel Gemeinschaft und Kontaktmöglichkeit gibt, spürt man solche Gesten besonders“, sagt Salie, als ihr Pater Egide den Kaffee reicht. Den hat er ihnen übrigens schon am Vormittag versprochen, als er sie auf der Wiese sah. Er weiß mittlerweile, dass sie lange bleiben.

Smalltalk gibt es fast immer, oft aber auch lange Gespräche. „Tolle Unterhaltungen über das Leben“ sind das, sagt der Pastor. Genau darum geht es ihm, um den gemeinsamen Moment, um geteilte Lebensfreude. Manchmal aber auch um den Lebensschmerz. „Ich habe immer einige Haltestellen, an denen ich länger stehen bleibe.“ Etwa die Dame, die vor Tagen für Ärger unter einigen Kirchgängen sorgte, weil sie mit kurzer Kleidung in der Sonne lag. „Ich habe lange mit ihr gesprochen und weiß mittlerweile viel über ihren nicht immer leichten Lebensweg.“ Auch heute bleibt der Pastor vor vielen Sitzgruppen etwas länger stehen. Immer dann, wenn die Menschen nicht nur Sonne und Kaffee vom Pastor genießen wollen, sondern auch die Begegnung mit ihm.

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