Stummfilmpianist ersetzt Fernseh-Kommentatoren

WM-Spiele als Stummfilm – mit Musik von der Kirchenorgel

Es gibt ja Menschen, die Fußballspiele ohne Ton schauen, weil der Fernseh-Kommentator sie nervt. Auf eine ganz andere Idee ist ein Berliner Stummfilmpianist gekommen: Kirchenorgel-Musik zum WM-Spiel.

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Die 88. Spielminute eines dramatischen Fußball-WM-Spiels in Sotschi. Auch gut 200 Besucher in der Mainzer Altmünsterkirche blicken gebannt auf die Großleinwand im Altarraum. Dazu erfüllt ein sorgenvolles Tremolo der Orgel den Kirchenraum, während Cristiano Ronaldo sich auf den entscheidenden Freistoß vorbereitet. Augenblicke später gehen die kräftigen Akkorde mit Motiven aus der portugiesischen Nationalhymne im Jubel der Kirchgänger unter, als Portugals Superstar den Ball an der spanischen Abwehr vorbei zum 3:3-Endstand in die rechte obere Ecke des Tors platziert.

Die Partie zwischen Portugal und Spanien bildet den Auftakt einer Serie von Fußball-Konzerten, bei denen der Berliner Stummfilmpianist Stephan von Bothmer die WM-Begegnungen live auf der Kirchenorgel begleitet. Gekonnt vertont er die Aufregung vor dem Anpfiff und den Zorn der fluchenden Trainer. Fiese Dissonanzen schmerzen in den Ohren der Zuhörer wie das Schienbein des zu Fall gebrachten Stürmers. Nach einem verpatzten Ballwechsel stolpert von Bothmer förmlich aus der schnellen Melodie heraus, die er gerade begonnen hatte.

 

Kein großer Schritt vom Stummfilm zum Fußball

 

Und gibt es einmal eine Phase ohne sehenswerte Attacken und Konter, spielt er auch schon einmal den Strauss-Walzer „An der schönen blauen Donau“ oder „Mein kleiner grüner Kaktus“ im Drehorgel-Sound. „Große Gefühle, Verfolgungsjagden und Streit - Fußball ist eben ganz großes Kino“, erklärt der 47-jährige Pianist, der an Kirchenorgeln seit Jahren auch Stummfilmklassiker wie „Nosferatu“ oder Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ begleitet. Der Schritt vom Stummfilm- zum Fußball-Pianisten sei gar kein so großer.

Allen, die noch nie ein auf stumm geschaltetes Fußballspiel in einer so ungewohnten Umgebung gesehen haben, erklärt Gemeindepfarrer Hendrik Maskus zur Begrüßung, wie sich Fußballfans in einer Kirche zu benehmen haben: „Man darf in der Kirche auch mal jubeln. Oder mal ein Bier trinken.“ Kurze Zeit später ist schon das charakteristische Ploppen der Bügelverschlüsse zu hören.

 

„Die bessere Mannschaft kriegt die bessere Musik“

 

Auf der Empore verfolgt der Musiker das Geschehen auf dem Fußballplatz über einen eigenen Fernseh-Bildschirm, den er links von der Orgel aufgestellt hat. Bei seinen Konzerten ist er ganz unparteiisch. Zumindest versucht er es. „Die bessere Mannschaft kriegt die bessere Musik“, stellt er klar.

Die Idee, den Nationalmannschaften jeweils für ihre Länder charakteristische Klangmuster und Melodien zuzuordnen, habe er schnell wieder beerdigen müssen, da sie sich als nicht umsetzbar erwies: „Eine Mannschaft hat den Ball, und die andere will den Ball. Wessen Klangwelt soll ich da spielen?“

 

Das Lied vom Tod

 

Manchmal greift der Berliner zu außergewöhnlichen Mitteln. Von Bothmers Augen leuchten, wenn er von einer Begegnung zwischen Deutschland und Italien berichtet. „Die Deutschen spielten sehr langsam und schlecht“, erinnert er sich. Während er noch überlegt habe, wie er das Geschehen an der Orgel vertonen sollte, sei sein Blick auf eine Mundharmonika gefallen. Kurzerhand aber er sich die gegriffen und „Spiel mir das Lied vom Tod“ angestimmt. „Das Publikum hat getobt wie auf einem Rockkonzert.“

Auch in Mainz kommen die Besucher auf ihre Kosten, nicht zuletzt, weil die Partie Portugal gegen Spanien zum ersten echten Höhepunkt der WM wurde. Das Konzert in der Kirche sei viel atmosphärischer gewesen als normales Public Viewing, findet der Mainzer Student Kevin: „Und es ist eine gute Abwechslung zu den Kommentatoren, die allen schon auf die Nerven gehen.“

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