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Wenn Thomas Beile zu seinem Arbeitsplatz auf der Orgelbühne der Pfarrkirche in Lippetal-Lippborg klettert, kann er dankbar für seine sportliche Figur sein. Den Kopf muss der Lehrer und Organist dennoch einziehen, wenn er die enge, lange Wendeltreppe zum Orgelspieltisch hinaufsteigt. Oben angekommen, kann Menschen gesetzteren Alters schon mal die Puste ausgehen.
„Das war ein Grund dafür, dass wir vor einigen Jahren eine Digitalorgel angeschafft haben“, erläutert Beile. Zwar leiste die 1938 gebaute Pfeifenorgel der Firma Speith weiterhin gute Dienste, „aber für den Chor war es einfacher, unten neben dem neuen Spieltisch zu singen“. Die Digitalorgel, die sogar um fünf Register größer ist als die herkömmliche und doch gänzlich ohne Pfeifen auskommt, versteht Beile „als Ergänzung der alten Orgel, nicht als Ersatz. Und das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt auch“ – laut Katalog des Herstellers kostet das Lippborger Modell heute um die 10.000 Euro.
Orgel ist Bürde und Würde
Der Spieltisch steht vor dem Altarraum, die Musik kommt aus zehn Lautsprechern, die hinter dem Hochaltar versteckt sind. „Viele Gemeindemitglieder hören keinen Unterschied zur Pfeifenorgel“, sagt Beile. Besonders bei meditativen Gottesdiensten oder Totengebeten seien die leisen, weichen Klänge beliebt – „etwa das ungewohnte Panflöten-Register“. Die Orgel biete aber auch einen satten, vollen Klang bei feierlichen Anlässen.
Digitale Orgeln in katholischen Kirchen – das ist für viele Organisten ein Unding. Als 2017 sogar im Petersdom ein solches Instrument eingebaut wurde, beschwerten sich Orgelbauer mit einer von 8.500 Menschen unterzeichneten Petition beim Präfekten der Gottesdienst-Kongregation. Im Bistum Münster hingegen bleibt man gelassen. Ulrich Grimpe, Leiter des Referats Kirchenmusik im Generalvikariat sagte „Kirche+Leben“, die Gemeinden sollten selbst entscheiden. „Digitalorgeln zu verbieten, wäre nicht zeitgemäß.“
Was sagt das Bistum Münster zu Digitalorgeln?
Es gebe gute Gründe, die für eine digitale Orgel sprechen – etwa in kleinen Kapellen, in denen eine Pfeifenorgel nicht aufgestellt werden kann. Grimpe räumt ein: „Beim Kosten-Nutzen-Effekt verliert fast immer die Pfeifenorgel.“ Aber er ist auch davon überzeugt: „Eine Pfeifenorgel ist Bürde und Würde zugleich.“ Er werbe weiterhin für die „Pfeifenorgel als Kulturgut“.
Neben praktischen und finanziellen Aspekten denkt Grimpe zudem in die Zukunft: „Wer soll denn dann die Orgel spielen? Wenn uns an gut ausgebildeten und engagierten jungen Organistinnen und Organisten gelegen ist, stellt sich die Frage, ob die nach ihrer Ausbildungszeit auf einer digitalen oder nicht doch eher auf einer Pfeifenorgel ihren Dienst tun wollen.“
Worauf der Organist lieber spielt
Thomas Beile jedenfalls ist zufrieden mit dem digitalen Instrument in der Lippborger Kirche – aber für ihn ist klar, welche Orgel er lieber spielt: „Das ist und bleibt die Pfeifenorgel. Ihr Klang im Raum ist unübertroffen.“ Der Kirchenchor allerdings hat sich inzwischen aufgelöst – aus Altersgründen.
So funktionieren Digitalorgeln
Bei einer Digitalorgel kommt der Klang nicht aus Pfeifen, sondern aus Lautsprechern. Jeder einzelne Ton wurde von einer originalen Orgel aufgenommen („gesampelt“) und wird dann digital wiedergegeben. Selbst die „Anblas-Geräusche“, die beim Einströmen der Luft in eine Pfeife entstehen, und das Klappern von Ventilen sind dezent zu hören. Sogar die Stimmung der Orgel ist nicht technisch-perfekt, sondern gewissermaßen minimal „natürlich verstimmt“. So entsteht ein nahezu authentischer Klang. Digitalorgeln kosten rund ein Zehntel des Preises, der für eine Pfeifenorgel anfällt. Manche Geräte können sogar ohne Organisten auskommen: Die Lieder aus dem „Gotteslob“ lassen sich vom Gottesdienstleiter per Knopfdruck abrufen – Vorspiel inklusive. | Markus Nolte