Oper zum 100. Todestag am 29. August in Xanten

Zu Ehren Humperdincks: Wenn Flüchtlingskinder "Hänsel und Gretel" spielen

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Zu Ehren des 100. Todestags des Musikers Engelbert Humperdinck organisiert die Stadt Xanten gleich mehrere kulturelle Höhepunkte. Darunter ist ein Schauspiel, das von Flüchtlingskindern gestaltet wird. Sie sind mit Freude dabei, auch wenn die deutsche Märchenoper "Hänsel und Gretel" einige Herausforderungen bereithält.

Mehdi Pour Bakhsh gibt den jungen Schauspielern als Regisseur letzte Anweisungen. Mit ausgestreckter Hand steht er vor ihnen und zeigt, worauf es ihm ankommt. 18 Kinder von Flüchtlingen stehen im Halbkreis vor der Kriemhild-Mühle in Xanten und proben die pantomimische Aufführung der Humperdinck-Oper "Hänsel und Gretel".

„Konzentriert euch“, ruft er ihnen zu. „Schaut auf die Bühnenfläche, nicht in die Reihe der Zuschauer oder zu euren Eltern.“ Mit großen Augen folgen die Kinder dem Regisseur. Und dann beginnt der Erzähler mit dem Märchen. Hänsel und Gretel betreten die Bühne vor der historischen Kulisse vor der Stadtmauer Xantens. Hänsel will den Anweisungen seiner Mutter nicht länger folgen. Er will nicht länger Besen binden, wie es die Mutter fordert. Denn die Familie von Hänsel und Gretel ist arm. Doch Hänsel will Spaß haben. Außerdem hat er Hunger.

 

Wie ein Profi auf der Bühne

 

Der 12-jährige Iso Midin Sacharow aus Tadschikistan spielt den Hänsel. Er lebt seit 2015 in Xanten. Begonnen hat er mit der Schauspielerei schon in dem damaligen Förderzentrum der Stadt, wo eine Notunterkunft für Flüchtlinge untergebracht war. Ein Freund des Vaters hatte ihn gefragt, ob er Theater spielen will. Begeistert hatte er sofort zugesagt. Damals hat er in dem Stück Frederick gespielt, einer Mäusegeschichte.

Auch die Rolle des Hänsels hat er freudig übernommen. „Mit anderen Kindern zu spielen, macht mir großen Spaß“, sagt er. Die Kostüme, die Musik, die Pantomime – das begeistert ihn. Wie ein Profi bewegt er sich über die Bühne. Spielt den bockigen Sohn. Den liebevollen Bruder, der sich von seiner Schwester Gretel die Leviten lesen lässt. „Meine Mutter sagt, ich sei der geborene Schauspieler, ich könne gut lügen“, meint er augenzwinkernd.

 

Deutsche Märchenoper als echte Herausforderung

 

Seine kleine Partnerin ist die Tochter des Regisseurs, Thea Pour Bakhsh. Das siebenjährige Mädchen aus dem Iran ist stolz darauf, die Rolle der Gretel spielen zu dürfen. „Es war nicht so einfach“, sagt sie. „Ich habe dafür intensiv proben müssen.“ Aber die Theaterarbeit macht auch ihr großen Spaß. Auch wenn die Aufführung einer deutschen Märchenoper für sie eine Herausforderung ist. „Die Arbeit mit der deutschen Musik und dem Märchen ist für mich ungewohnt. Das kenne ich aus meinem Heimatland nicht.“ Doch sie ist froh, Mitglied der Truppe zu sein. Und die pantomimische Darstellung zusammen mit Iso gelingt ihr überzeugend. Gemeinsam drehen sie sich gekonnt zur Musik Humperdincks im Tanz. Im Wald begegnen sie später der Hexe.

Samian Anwar Salem spielt die Hexe. Die 17 Jahre junge Frau aus dem Irak ist die Älteste. Sie hat sofort zugesagt, als sie gefragt wurde. „Die Musik der Oper ist für mich einfach toll“, meint sie. Sie möchte der Hexe in dem Stück das Furchtbare nehmen. „Ich will die Rolle lustiger gestalten“, sagt sie. „Die Kinder, die zuschauen, sollen auch etwas Lustiges sehen.“ Schwungvoll schwingt sie den Besen, der ihr wichtigstes Attribut auf der Bühne ist. Auch ein Hut mit breiter Krempe verleiht ihr ein hexenwürdiges Aussehen. Kinder und Erwachsene haben bei der ersten Probe im Kurpark ihren Spaß.

 

18 Kinder aus verschiedenen Ländern spielen mit

 

Die Kinder und Jugendlichen haben auch in intensiver Arbeit das Bühnenbild gestaltet. | Foto: Jürgen Kappel
Die Kinder und Jugendlichen haben auch in intensiver Arbeit das Bühnenbild gestaltet. | Foto: Jürgen Kappel

Ein Stück zu spielen, das der deutschen Kultur entsprießt, war für sie zunächst schwierig. „Es ist für mich nicht so einfach, das Märchen und die Musik zu begreifen“, meint sie. Es sei typisch deutsch, fremd für sie. „Aber gut, dass es sowas wie dieses gemeinsame Projekt gibt. Das verbindet uns Flüchtlinge mit den deutschen Menschen hier vor Ort. Und ich habe sehr gut Deutsch gelernt.“ Mit den Kindern gemeinsam das Stück zu gestalten, hat sie trotz der Schwierigkeiten doch begeistert. 18 Kinder aus vielen Fluchtländern spielen mit: aus dem Irak, dem Iran, aus Tschetschenien, Syrien, Georgien und Armenien.

Dieses Schauspielprojekt ist nicht erst jetzt ins Leben gerufen worden. Schon seit 2016 gibt es die Idee und eine erste konkrete Aufführung. Ins Leben gerufen hat Dörte Dreher-Peis das Projekt. Die 69-jährige Xantenerin hat damals im Auftrag der Caritas die Notunterkunft im Förderzentrum geleitet, und als das Förderzentrum geschlossen wurde, die Flüchtlinge beraten. Wegweisend wurde das Integrationsprojekt „Be here be you – Sei hier sei du“. „Mir war es wichtig, mit den Flüchtlingen auf Augenhöhe zu kommunizieren.“ Sie sollten sich einerseits in dem neuen Land, in dem sie untergebracht waren, integrieren und die Sprache lernen, aber andererseits ihre eigene Identität nicht aufgeben“, erläutert sie den Ansatz ihrer Arbeit.

 

Xantener Humperdinck-Festival fragte an

 

Anfang 2016 setzte sie in dem Förderzentrum das Buch „Frederick“ in Szene. Schon damals mit Mehdi Pour Bakhsh, der in Köln Schauspiel studiert hat. Das Buch beschreibt eine Mäusefamilie, die Nahrung für den Winter sammelt. Nur die Maus Frederick sammelt Sonnenstrahlen für die Seele. Dieses Bühnenprojekt wurde in Deutsch, Farsi und Arabisch aufgeführt.

Aus dieser Schauspielerinitiative gründete Dreher-Peis später die Migrantenorganisation „KuBiDia – Kultur Bildung durch Dialog“. Und zu dieser Gruppe nahmen die Organisatoren des Xantener Humperdinck-Festivals, Heike Sauer und Uli Schönhoff, Kontakt auf. „Ich habe getrommelt, um die Flüchtlingskinder für die Aufführung zu bekommen. Und sie sind gekommen“, sagt Dreher-Peis. „Gern waren sie bereit, die Haupt- und Nebenrollen zu übernehmen. Es hat sich gut entwickelt, weil nicht jeder oder jede eine tragende Rolle übernehmen möchte beziehungsweise kann.“

Das Stück "Hänsel und Gretel" soll nach dem Willen von Dreher-Peis auf jeden Fall für die Zukunft weiterentwickelt werden. „Wir wollen unsere integrative Arbeit weiter ausbauen. Wir werden Schulen ansprechen, wo wir das Stück aufführen können, und neue Flüchtlingskinder gewinnen“, sagt Dreher-Peis. Sie ist in ihrem Elan für Flüchtlinge nicht zu bremsen. Doch jetzt beobachtet sie die Aufführung in Xanten.

 

In intensiver Arbeit Bühnenbild gestaltet

 

Ein Video mit der Ankündigung des Humperdinck-Festivals finden Sie bei Facebook.

Konzentriert agieren die Flüchtlingskinder nach den Anleitungen des Regisseurs vor der historischen Kulisse der Stadt Xanten. Durch die pantomimenhafte Darstellung, die Kostüme und die Kulisse gestalten sie die weltberühmte Oper von Engelbert Humperdinck auf anrührende Weise. Die spätromantische Märchenoper enthält viele Volksweisen, wie „Suse, liebe Suse“ und „Ein Männlein steht im Wald“. Andere Lieder wie „Brüderchen, komm tanz mit mir“ wurden erst durch die Oper zu bekannten Volksliedern. Durch die Hilfe der Kinder und Jugendlichen wird die Oper nicht nur szenisch umgesetzt. Sie haben auch in intensiver Arbeit das Bühnenbild gestaltet.

Doch zur Oper gehört auch die Musik. Die spielt ein 15 bis 20-köpfiges Blechbläserensemble, ein Orchester der "Jeunesse Musical". Einer Organisation, die sich der Kunst und der Völkerverbindung verschrieben hat. „Durch Musik als internationale Sprache der Verständigung möchte sie Brücken der Verständigung aufbauen“, sagt Heike Sauer von der Kölner Musikhochschule. Das Ensemble präsentiert das Grimmsche Märchen in der von Humperdinck komponierten Fassung für Blechbläser und Sprecher im Kurpark von Xanten. Sprecher ist Josef Protschka.

 

Hintergrund: Engelbert Humperdinck und die Stadt Xanten

 

Engelbert Humperdinck, dem dieses Projekt gewidmet ist, ist vor 100 Jahren gestorben. Der Musiker hat sich unter anderem in den Städten Siegburg, Bonn, Köln und Bayreuth und eben auch zehn Jahre in Xanten aufgehalten. Zwischen 1877 und 1886 hat er dort in den Räumen des früheren Lehrerinnenseminars gelebt, dem heutigen Rathaus, wo sein Vater als Leiter des Lehrerinnenseminars arbeitete. Ausgedehnte Spaziergänge in der ländlichen Idylle haben den Musiker inspiriert. Hier entstanden auch einige seiner musikalischen Werke, zum Beispiel die „Wallfahrt nach Kevelaer“. Kein Wunder also, dass die Stadt den Todestag in entsprechender Weise würdigen will.

Der Verein Stadtkultur, das Siegfriedmuseum in Xanten, sowie die Kölner Musikhochschule für Musik und Tanz haben ein kulturelles Paket geschnürt, um die vielfältigen Facetten des Künstlers zu zeigen. „Denn gemeinsam können wir deutlich mehr erreichen als getrennt“, sagt Heike Sauer von der Musikhochschule.

Damit der berühmte Musiker auch in Xanten in Zukunft die Beachtung findet, die er verdient, gestalten die Musikhochschule und der Verein drei musikalische Projekte: Am 29. August die szenisch aufgeführte Märchenoper „Hänsel und Gretel“ um 18 Uhr im Xantener Kurpark, am 6. November ein Kammerkonzert um 19 Uhr in der Klosterkapelle Xanten-Mörmter und am 20. November die Humperdinck-Wallfahrt nach Kevelaer und die Bruckner f-Moll Messe um 19 Uhr im St.-Viktor-Dom in Xanten.

Vom 7. November 2021 bis zum 16. Januar 2022 illustriert eine Ausstellung im Siegfriedmuseum das Leben und Werk des Künstlers. Infos bei der Touristeninformation Xanten unter der Telefonnummer: 02801/772200.

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